§ 7 I VOL/A 2009 enthält nicht mehr die nachfpolgend anzutreffenden Schranken aus § 8 Nr. 1 II und III VOL/A 2006. Gleichwohl gelten die entsprechenden Grundsätze ungeschrieben weiter.

  • Hierbei wird dies teils auf § 2 III VOL/A oder auch § 2 I VOL/A (Wettbewerb und Tranparenz) gestützt. Es ist im Grunde selbstverständlich, dass dem Bieter alle preisbildenden Umstände vorliegen müssen und er ferner keine ungewöhnlichen Wagnisse übernehmen muss. Das haben mehrere OLGe entschieden.

    noch in VOL/A 2006 enthalten - in VOL/A 2009 entfallen - ungewöhnliche Wagnisse und alle preisbildenden Umstände
    § 8 Nr. 1 III VOL/A ("soll") sowie § 9 Nr. 3 VOB/A ("darf kein") verbieten es dem Auftraggeber , dem Auftragnehmer ein "ungewöhnliches Wagnis" aufzubürden.

    Literatur
    Brauer, Eva, Die Behandlung ungewöhnlicher Wagnisse nach der Neufassung der VOL/A, VergabeR 2012, 343

    Gehlen, Hans von/Hirsch, Veit, Verbindliche Abnahmemengen auch bei Rahmenvereinbarungen?, NZBau 2012, 736 (zu OLG Dresden, Beschl. v. 2.8.2011 – Verg 4/11 – NZBau 2011, 775 – Streusalz)

    Laumann, Daniel Thomas/Scharf, Jan Peter, Liefer- und Abnahmepflichten bei Lieferverträgen und Rahmenvereinbarungen, VergabeR 2012, 156 - zu OLG Dresden, Beschl. v. 2.8.2011 – Verg 4/11
    Rechtsprechung
  • Vertragsstrafe - Unzumutbarkeit - OLG Celle, Beschl. v. 19.03.2019 - 13 Verg 7 – 18 - Rahmenvertrag über Postdienstleistungen – Vertragsstrafe Zumutbarkeit - – „.... Ob die entsprechenden Vertragsbedingungen sonst rechtlichen Bedenken begegnen mögen – etwa im Hinblick auf §§ 307, 343 BGB – ist im Hinblick auf die nach § 160 Abs. 2, § 168 Abs. 1 GWB allein entscheidungserhebliche Übereinstimmung mit dem Vergaberecht unerheblich. Vertragsklauseln wie die vorgenannten werden von den Vergabenachprüfungsinstanzen grundsätzlich nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit geprüft, da letztere keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB sind. Außerhalb des Vergabeverfahrens und des Anwendungsbereichs vergaberechtlicher Vorschriften liegende Rechtsverstöße sind im Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu überprüfen. Sie können ausnahmsweise nur dann zum Gegenstand eines solchen Verfahrens gemacht werden, wenn es eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm gibt, die im Nachprüfungsverfahren entscheidungsrelevant ist. Nach dem Wegfall des Verbots der Überbürdung eines unzumutbaren Wagnisses können Vertragsklauseln nur noch unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit einer für den Bieter oder Auftragnehmer kaufmännisch vernünftigen Kalkulation beanstandet werden, wobei dahinstehen kann, ob dies aus dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleiten ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2017 – VII-Verg 9/17, juris Rn. 74 f.). Eine solche Unzumutbarkeit macht die Antragstellerin schon nicht mit Substanz geltend. Sie ist auch sonst nicht ersichtlich. Den Bietern ist eine vernünftige kaufmännische Kalkulation in Anbetracht der Vertragsstrafenregelung nicht unzumutbar. Ihnen ist zuzumuten, gewisse Preis- und Kalkulationsrisiken zu tragen. Zu solchen Risiken gehört auch das der Verwirkung einer Vertragsstrafe. Den Bietern ist hier möglich und zumutbar, abzuschätzen, ob und in welchem Umfang es zur Verwirkung einer Vertragsstrafe kommen kann, und dieses Risiko in ihrer Kalkulation entsprechend zu berücksichtigen. ... Selbst wenn die Regelungen insoweit zu unbestimmt wären, hinderte dies die Antragstellerin doch nicht, das Risiko einer Verwirkung der Vertragsstrafe wegen Überschreitung zugesicherter Laufzeiten in noch ausreichendem Umfang einzuschätzen. Ein umfassenderer Prüfungsmaßstab folgt entgegen der möglicherweise von der Antragstellerin vertretenen Auffassung auch nicht aus der in Bezug genommenen Entscheidung des Oberlandesgerichts ... Das Oberlandesgericht hat dort einen Ausschluss späterer Einwendungen im Zivilverfahren nur für den Fall angenommen, dass die Vereinbarung einer nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksamen Vertragsbedingung einen Vergabefehler darstellt (OLG Celle, Urteil vom 18. Januar 2018 – 11 U 121/17, juris Rn. 41 ff.; anders wohl verstanden von Summa in: jurisPKVergaberecht, § 156 GWB Rn. 66.1).“ OLG Dresden, Beschl. v. 2.8.2011 – Verg 4/11 – VergabeR 2012, 119, m. Anm. v. Noch, Rainer – Streusalz – Rahmenvertrag - Bedarfspositionen – ungewöhnliches Wagnis - §§ 97 II, 108 II GWB, § 8 Nr. 1 III VOL/A 2006 - § 7 VOL/A

  • OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.10.2011 – VII Verg 54/11 – NZBau 2012, 762 – Bildungsmaßnahmen – ungewöhnliches Wagnis nicht mehr Bestandteil der VOL/A – aber Prüfung der Unzumutbarkeit im Einzelfall (Kalkulationsrisiken – Vorhaltung für 100 % der Plätze, Abnahme aber nur 60 % der Plätze durch Auftraggeber) – keine Unzumutbarkeit

    OLG Jena, Beschl. v. 22.8.2011 – 9 Verg 2/11 – NZBau 2011, 771 – Mindestabnahmegarantie bei Rahmenvereinbarungen – Auftausalz – ca. 30 100 t Auftausalz – Vertragsklausel: „Eine Mindestabnahmemenge der laut Ausschreibung veranschlagten Mengen kann vom Auftragnehmer nicht gefordert werden." - Antragsbefugnis – Begründetheit: Aufbürdung der Risiken auf Auftragnehmer in nicht mehr hinzunehmendem Umfang - § 4 I EG VOL/A – Ermessensentscheidung – ungewöhnliches Wagnis nach § 8 Nr. 1 III VOL/A a. F.- nach wie vor zu beachten – Willkürverbot etc. –

    Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 2.12.2011 - 1 VK 6/11 - Betrieb einer Unterkunft (VOL/A) für wohnungslose Personen – Leistungen gemäß Anhang I Teil B EG VOL/A, nicht Anhang I Teil A EG VOL/A – für Anhang I B-Leistungen gilt die Belehrungspflicht nach § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB nicht (janusköpfige Auslegung der Vorschrift) - Aufhebung des Vergabeverfahrens – Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs – Bindung des Bieters an Vorgabe für Kalkulationsgrundlagen (Betriebs- und Nebenkosten) - zukünftige Schwankungen der Belegungszahl zulässig – kein Anspruch auf Vorgabe fester Werte – Weitergeltung des Verbots der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse auch nach Neufassung der VOL/A


    Ältere Hinweise
    Beispielhaft werden Umstände und Ereignisse genannt, auf die der Auftragnehmer keinen Einfluß hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im voraus schätzen kann. Im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren ist auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabe abzustellen; in diesem Zeitpunkt muß es dem Bieter möglich sein, das unternehmerische Wagnis - gegebenenfalls mit besonderem Wagniszuschlag - kalkulieren zu können. Hierbei spielen nach der Rechtsprechung des BGH nicht wesentliche Punkte (Baugerüst - Aufstellung ohne Zeitschranke) keine entscheidende Rolle. Nicht jedes unternehmerische Risiko ist folglich zu berücksichtigen, sondern lediglich die erheblichen Risiken, die außerhalb des Einflußbereiches des Bieters liegen und zu gewichtiger Belastung (Aufzehren <und darüber hinaus> der Vergütung durch Ansprüche des Auftraggebers . Außerhalb des Einflußbereiches liegen sämtliche Eigenleistungen des Auftragnehmers (Mitwirkungspflichten, Bestellung von Stoffen etc.) sowie Leistungen Dritter. Wenn technisches Neuland (Entwicklungsleistungen, Forschung etc.) betreten wird, muß der Auftraggeber die zutreffende Vertragsgestaltung (Dienstvertrag nicht Werkvertrag) wählen.
    Insbesondere aber sind ungewöhnliche Wagnisse dann gegeben, wenn der Bieter trotz Einsatz der zumutbaren Erkenntnismittel nicht in der Lage ist, vom Auftraggeber vorgesehene Fristen einschätzen zu können. Ferner dann, wenn eine ordnungsgemäße Kalkulation in preislicher Hinsicht im Zeitpunkt der Angebotsabgabe nicht möglich ist.
    Fraglich ist freilich, ob die Vorschrift nicht ein "Papiertiger" ist; denn wenn der Bieter sein Angebot rügelos abgibt, wird sich der Auftraggeber mit Recht in seinen Festlegungen bestätigt fühlen, zumal er z.B. Ausführungsfristen lediglich aus seiner Sicht beurteilen kann. Auch fehlen häufig die fachlichen Kenntnisse in Vergabestellen, die andererseits vom fachkundigen Bieter erwartet werden können - auch im Zusammenhang mit der Abgabe eines Angebots.
    Das sich hieraus ergebende Dilemma liegt auf der Hand:
  • Zahlreiche Bieter werden möglicherweise auf ein Angebot wegen des "ungewöhnlichen Wagnisses" verzichten. Der Wettbewerb wird beschränkt oder erheblich verengt.
  • Zahlreiche Bieter werden sich vor einer Rüge scheuen und das besondere Risiko eingehen. Ihnen wird schwer zu helfen sein. Der Antrag an die Vergabekammer ist von der Rüge abhängig.
  • Hassardeure unter den Bietern, die als solche nicht erkannt werden, werden Angebote ohne Rüge abgeben und später versuchen, den Auftrag vergütungsmäßig und zeitlich zu strecken - die Mitwirkungspflichten eignen sich hierfür.
  • Der mutige "Unzuverlässige" kann den Zuschlag erhalten, wenn der Preis als alleiniges Kriterien übrig bleibt.


Die Gründe für "ungewöhnliche Wagnisse" sind neben der fehlerhaften Leistungsbeschreibung und der fehlenden Feststellung und Angabe in den Verdingungsunterlagen aller die Preisermittlung beeinflussenden Umstände vor allem darin zu sehen,

  • daß die Planungen nicht abgeschlossen sind,
  • daß das Fertigstellungsgebot nicht beachtet ist,
  • daß Planungs- und Entwicklungsleistungen kostenfrei über die Bearbeitung von Angeboten durch die Bieter erbracht werden sollen.


Diese Vorgehensweisen bieten Anlaß für die Bieter zur Rüge und Anrufung der Vergabekammer im EU-weiten Verfahren. Allerdings ist zu beachten, daß eine Angebotsabgabe ohne Rüge zum Untergang eventueller Ansprüche auf Schadensersatz führen dürfte (widerprüchliches treuewidriges Verhalten - Verstoß gegen Treu und Glauben/884 (§ 242 BGB) und im übrigen Kalkulationsirrtümer unbeachtlich sind. § 8 Nr. 1 VOL/A sowie auch § 9 Nr. 1 - 3 VOB/A stellen folglich "Papiertiger" dar, solange der Bieter nicht rügt und die Vergabekammer anruft.
Speziell in AGB - vor allem im Baubereich - finden sich offensichtlich zahlreiche Klauseln, die nach § 9 AGBG der Inhaltskontrolle zum Opfer fallen, wie z.B.

  • Klausel mit Verpflichtungen des Bieters zur Überprüfung der Vergabeunterlagen und Entpflichtung des Auftraggebers von der ihm obliegenden Eigenprüfung;
  • Klausel mit der Abgeltung sämtlicher Teil- und Nebenleistungen ohne Aufnahme dieser Leistungen in die Leistungsbeschreibung
  • Klausel ohne Vergütungspflicht für zusätzlich in Auftrag gegebene Leistungen;
  • Klausel über Erhalt der Vergabeunterlagen und Fiktion der ausreichenden Prüfungszeit - Beweislastumkehr
  • etc.


Hierzu ausführlich Heiermann/Rusam/Riedel, VOB, 7. Aufl., 1994, A § 9 Rdnr. 6 m. zahlr. Nachw. der Rechtsprechung.

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