Aufhebung -Gründe - §§ 48 UVgO, 63VgV
Grundsätze
- Das Vergabevefahren endet entweder durch Zuschlag oder Aufhebung.
- Die Aufhebung kann im EU-Verfahren Gegenstand des Nachprüfungvefahrens sein.
- Eine Aufhebung nach § 48 UVgO, § 63 VgV - früher §§ 26 VOL/A bzw. 26 VOB/A - kommt nur in Betracht, wenn
- nachweisbar
- unverhersehbare
- wesentliche Änderungen der Grundlagen der Ausschreibung
- oder andere schwerwiegende Gründe
- gegeben sind.
"Ungefährlicher" sind grundsätzlich die weiteren Aufhebungsgründe der § 48 UVgO, § 63 VgV: - kein den Ausschreibungsbedingungen entsprechendes Angebot - Ausschluß
- "kein wirtschaftliches Ergebnis.
Aber auch bei den zuletzt genannten Gründen ist zu prüfen, ob die entsprechenden Aufhebungsgründe bei entsprechender Umsicht nicht im Zeitpunkt der Bekanntmachung hätten vorhergesehen werden können. Ist das bei objektiver Betrachtung der Fall, so ist die Aufhebung unberechtigt, was zu entsprechenden Ansprüchen z.B. aus c.i.c. nach der Rechtsprechung des BGH führen kann - vgl. auch § 126 GWB.
Entscheidungen
- Aufhebung - Schadensersatz - BGH, Urt. v. 03.07.2020 - VII ZR 144 – 19 – Fahrbahnerneuerung – Vertragsschluss – Aufhebung – im Streitfall kein Vertragsschluss bei abweichendem „Zuschlag“ (Änderung der Vertragsfristen als neuer Antrag) und abweichender Erklärung des Bieters (Mehrvergütung wegen Änderung der Vertragsfristen – fehlende Annahme) - Fortführung von BGH, Urt. v. 6. 9. 2012 - VII ZR 193/10 – Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs wegen Aufhebung des Verfahrens (verneint, da rechtmäßige Aufhebung infolge grundlegender Veränderung des Auftrags bzw. fehlender Identität des zweiten Auftrags mit dem Auftrag der gescheiterten Vergabe)
- Aufhebung – HOAI-Urteil des EuGH - OLG Rostock, Beschl. v.02.10.2019 - 17 Verg 3-19 – kommunale Wohnungsbaugesellschaft als öffentlicher Auftraggeber – pauschale Bezugnahme auf HOAI – Gewichtung des Honorarparameters 10 % - unberechtigte Aufhebung infolge der Entscheidung des EuGH Urt. v. 04.07.2019 - C-377/17 – Verstoß durch verbindliche Honorare der HOAI gegen Unionsrecht - § 63 I S. 1, I S. 2 VgV, 99 Nr 2 GWB - Nichtgewerblichkeit - Allgemeininteresse - Vergaberechtswegs - Gewinnerzielung - Aufhebung wegen Urteil des EuGH vom 04.07.2019 - C-377/17 - zur Unvereinbarkeit der Honorarmindestsätze der HOAI: grundsätzlich nicht nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV gerechtfertigt, kann aber als freie, ggf. zum Schadenersatz verpflichtende Aufhebung nach § 63 Abs. 1 S. 2 VgV wirksam sein.
- Aufhebung – OLG Celle, Beschl. v. 19.03.2019 - 13 Verg 7 – 18 - Rahmenvertrag – Postdienste - Aufhebung – Fortsetzungsfeststellungsantrag – Rüge (Zuschlagskriterien: „Preis“ (zu 30 %), „Einheitliches Codiersystem“ (zu 20 %), „Möglichkeit der E+1-Zustellung“ (zu 20 %) und „Quote der garantierten E+1-Zustellung“ (zu 30 %) etc. – Eignungsanforderungen (Zustellgeschwindigkeit etc.) – Leistungsbeschreibung (Rahmenvereinbarung) : Einschränkung durch das Gebot des Mach- und Zumutbaren sowie Verhältnismäßigkeit – Pflicht zur sorgfältigen Ermittlung des ..voraussichtlichen Bedarfs“ nach Möglich- und Zumutbarkeit – Ausreichen der sorgfältigen Prognose der wesentlichen Bedingungen – Diskriminierung durch Kriterien etc. – umfangreiche Einzelfallprüfung hinsichtlich zahlreicher Kriterien.
- Aufhebung – OLG Celle, Beschl. v. 9.03.2019 - 13 Verg 1 – 19 – Postdienste – isolierter Feststellungsantrag – Feststellungsinteresse – Gebühren - §§ 168, 182 GWB - Unzulässigkeit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfahrensaufhebung nach § 168 II S. 2 GWB - Fortsetzungsfeststellung bei Erledigung nur nach Beginn des Nachprüfungsverfahrens – unzulässiger isolierter Nachprüfungsantrags zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verfahrensaufhebung ohne gleichzeitige nachgesuchten Primärrechtsschutz
Literatur
- Aufhebung - Pilarski, Michael, Anforderungen an eine Kostenabschätzung als Voraussetzung für eine Aufhebung einer Ausschreibung ohne Schadensersatzansprüche am Beispiel von Bauvergaben, VergabeR 1/2020, 300
Ältere Grundsatzentscheidungen des BGH:
Zum Vertragsschlussbei vom Angebot abweichenden Zuschlag -BGH, Urt. v. 06.09.2012 - VII ZR 193-10 – Angebot – Zuschlag mit Abänderung (§ 150 II BGB)- neues Angebot des Auftraggebers und „Auftragsbestätigung des Auftragnehmers = Annahme des neuen Angebots mit abweichender (niedrigerer) Auftragssumme - kein Anspruch auf Mehrvergütung wegen erhöhter Kosten für die Beschaffung von Asphaltmischgut und Bodenmaterial aufgrund einer sich aus einem verzögerten Vergabeverfahren ergebenden Veränderung der Bauzeit sowie die Erstattung damit im Zusammenhang stehender vorgerichtlicher Anwaltskosten – Angebot – Zuschlags- und Bindefristverlängerung –Zuschlag „auf Basis des Angebots“ – „Rechtlich ist es möglich, dass der Auftraggeber unter Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot einen Zuschlag unter veränderten Bedingungen erteilt und damit ein neues Angebot im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB abgibt. Diese Erklärung ist, wie das Berufungsgericht richtig entschieden hat, nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Ungeachtet der Frage inwieweit ein solches neues Angebot in Widerspruch zu vergaberechtlichen Bestimmungen steht, ist es jedenfalls dann - wenn wie hier - keiner der unterlegenen Bieter ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, wirksam (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2005 - KZR 36/03 ...“).
BGH, Urt. v. 12.6.2001 - X ZR 150/99 - BB 2001, 1549 - Verschrottung von U-Bahn-Waggons - Vergabe des Auftrags an Dritten - Klage auf entgangenen Gewinn - Aufhebung der Ausschreibung und Voraussetzungen - BGH: Grundsatz - Schadensersatz bei Verletzung eines Vertrauensverhältnisses bei Vergabe öffentlicher Aufträge: Gegenstand des Vertrauens ist die Einhaltung der Regelungen über öffentliche Aufträge - Voraussetzung des Anspruchs: Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur Ausschreibung - Sektorenbereich (Verkehr) - Vorlage an den EuGH wegen Auslegung der Richtlinie 93/98/EWG zur Koordinierung der Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung vom 14.6.1993 (ABlEG Nr. L 199 v. 9.8.1993, S. 84) - Richtlinie bezieht sich auf Beschaffung - Verschrottung ist lediglich das spiegelbildliche Gegenstück zur Beschaffung, "die - obwohl ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 lit. C der Richtlinie nicht ausdrücklich erwähnt - nach Sinn und Zweck der Regelung in den Katalog der ausschreibungspflichtigen Geschäfte einbezogen werden muss." - "nicht eindeutige Rechtslage" - Nichtumsetzung der Richtlinie steht der Vorlage nicht entgegen - Bindung der nationalen Gerichte an die unbedingt gehaltene und bestimmte Richtlinie auch vor oder nach Erlass der Richtlinie hinsichtlich der Auslegung (Wortlaut und Zweck der Richtlinie) - auch im Verhältnis privater Rechtsteilnehmer untereinander - Einholung einer Vorabentscheidung aber nur, wenn die Voraussetzungen für Bestehen oder Nichtbestehen des Ersatzanspruchs hinreichend geklärt sind (hier nicht der Fall - kein Vertrauensschutz, "wenn der Geschäftspartner der öffentlichen Hand vor seiner jeweiligen Entscheidung über den Vertragsschluß oder dessen Vorbereitung erkannt hat oder ohne weiteres hätte erkennen müssen, dass sein Vertragspartner von den für ihn geltenden Regeln abweicht oder abgewichen ist. Wer erkannt hat oder bereits bei Anwendung geringer Sorgfalt ohne weiteres hätte erkennen müssen, dass die andere Seite sich an das geltende Recht nicht hält, kann nicht damit gehört werden, er habe ein mit Recht und Gesetz übereinstimmendes Verhalten der Gegenseite erwartet. Schutzwürdig ist ein solches Verhalten nur dort, wo nach dem gegebenen Sachverhalt die Erwartung der Einhaltung dieser Regeln berechtigt erscheint.") - Ausschreibungsverfahren war mangels öffentlicher allgemeiner Bekanntmachung rechtsfehlerhaft - aber: Erkennbarkeit oder Kenntnis von der Nichteinhaltung der Regeln seitens des nichtberücksichtigten Bieters läßt ein schutzwürdiges Vertrauen entfallen - Klauseln in Vergabebestimmungen, die das Recht zur jederzeitigen Nichtvergabe der Leistung enthalten verstossen gegen § 9 AGBG - Aufhebung nur nach § 26 I VOL/A: "schwerwiegender Gründe": "Zu deren Annahme genügt nicht, dass der Ausschreibende im Verlauf des Verfahrens rechtlich oder tatsächlich fehlerhaft gehandelt hat. Bei der Prüfung des schwerwiegenden Grundes im Sinne der Vorschrift sind vielmehr strenge Maßstäbe anzulegen ... Dafür kann ein Fehler des Ausschreibenden schon deshalb nicht ohne weiteres genügen, weil er es andernfalls in der Hand hätte, nach seiner freien Entscheidung durch Verstöße gegen des Vergaberecht den bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehenden Bindungen zu entgehen. Eine solche Folge wäre mit dem Sinn und Zweck des Ausschreibungsverfahrens, das - insbesondere auch im Hinblick auf die Vorgaben des Rechts der europäischen Gemeinschaften - zu einer größeren Klarheit und Überprüfbarkeit von Vergabeentscheidungen der öffentlichen Hände führen sollte, nicht zu vereinbaren. Berücksichtigungsfähig sind sind daher grundsätzlich nur solche Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe das Auftrags selbst ausschließen, wie etwa das Fehlen der Bereitstellung der öffentlichen Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber (vgl. dazu Sen.Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 48/97, BB 1998, 2182 (ls.) = NJW 1998, 3636 = MDR 1998, 1408; X ZR 99/96, BB 1998, 2181 = NJW 1998, 3640). Im Einzelnen bedarf es für die Feststellung eines schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung,für die maßgeblich die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls sind. Danach kann ein rechtlicher Fehler des Vergabeverfahrens zu einem schwerwiegenden Mangel in diesem Sinne führen, wenn er einerseits von so großem Gewicht ist, dass eine Bindung des öffentlichen Auftraggebers mit Recht und Gesetz nicht zu vereinbaren wäre, und andererseits von dem an den öffentlichen Ausschreibungsverfahren teilnehmenden Unternehmen, insbesondere auch mit Blick auf die Schwere dieses Fehlers, erwartet werden kann, dass sein auf diese rechtlichen und tatsächlichen Bindungen des Ausschreibenden Rücksicht nehmen. Auch für dies Würdigung reichen die bisher getroffenen tatrichterlichen Feststellungen nicht aus." - Zurückverweisung zur weiteren Aufklärung und gegebenenfalls Vorlage an den EuGH durch das OLG
Hinweis für die Praxis: Es wird mit Recht immer wieder davor gewarnt, Vergabeverfahren unbegründet aufzuheben. Nach hier vertretener Ansicht kommt eine Aufhebung nur dann in Betracht, wenn die Fehler bzw. Mängel des Vergabeverfahrens bei Bekanntmachung bzw. Aufforderung zur Angebotsabgabe für die Vergabestelle nicht erkennbar waren. Die BGH-Entscheidung ist insofern nicht so eindeutig wie die früheren Entscheidungen auf dem Jahre 1998 (s.o.).
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