1. EuGH - siehe auch EuGH, BGH, OLG 2024 Literatur 2024 1-7 A-Z - EuGH

 

1.1. Rechtswidriger Ausschluss von Schadensersatzansprüchen durch nationale Vorschrift entgegen Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665 (EU-Richtlinie sieht Schadensersatz vor)

EuGH, Urt. v. 6. 6. 2024, C - 547 – 22 – INGSTEEL – unzulässiger Ausschluss von Schadensersatzansprüchen eines rechtswidrig ausgeschlossenen Bieters durch nationale Regelung - Art. 2 I c Richtlinie 89/665/EWG v. 21.12.1989 in der durch die Richtlinie 2007/66/EG v. 11. Dezember 2007 geänderten Fassung für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren bei Vergabe öffentlicher Aufträge – Auslegung (Wortlaut, Zusammenhang, und verfolgte Ziele der Vorschrift) - Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 89/665 sieht Schadensersatz vor – „insbesondere für den Fall eines rechtswidrig ausgeschlossenen Bieters, der die Aufhebung seines Ausschlusses beantragt und erwirkt hat, aber aufgrund des zwischenzeitlichen Abschlusses dieses Verfahrens trotzdem nicht mehr die Möglichkeit hat, von den Wirkungen dieser Aufhebung zu profitieren.“ – Pflicht der nationalen Gericht zur möglichst Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts u. a. den nationalen Gerichten des nationalen Rechts zu möglichst unionsrechtskonformer Auslegung - gegebenenfalls auch Pflicht zur Änderung gefestigter oder ständiger Rechtsprechung

 

1.2. Unzulässigkeit einer Zahlungsfrist von 120 Tagen im Unternehmergeschäftsverkehr

EuGH, SchlussA. v. 30.5.2024, C - 677 - 22 – Zahlungsfrist von 120 Tagen - 60 Tage nach Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7/EU vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr – Ziel: Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr – Art. 3 – Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen – Art. 3 Abs. 5 – Pflicht der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist 60 Kalendertage nicht überschreitet, „es sei denn[,] im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart“ – Abschluss von Verträgen mittels einer Auktion oder Ausschreibung und einseitig von einer Vertragspartei festgelegte Vertragsbedingung mit Zahlungsfrist von 120 Kalendertagen - keine Definition der Wendung „im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart“ - hierzu auch keine näheren Angaben in der Richtlinie Verträge, die mittels einer Auktion oder Ausschreibung geschlossen wurden – Einseitig von einer Vertragspartei festgelegte Vertragsbedingung mit Zahlungsfrist von 120 Kalendertagen - keine Definition der Wendung „im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart“ - hierzu auch keine näheren Angaben - keine Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten – „Unter diesen Umständen muss ein solcher Begriff in Anbetracht der Anforderungen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten. Dabei sind sowohl der Wortlaut der Bestimmung als auch der Zusammenhang, in dem sie steht, und die Ziele, die sie verfolgt, sowie gegebenenfalls ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen.“ – Ergebnis: „Die „ausdrückliche Vereinbarung“ einer Zahlungsfrist von mehr als 60 Tagen durch Unternehmer auch in Verträgen zulässig ist, deren Bedingungen von einer der Vertragsparteien allein vorgegeben werden, soweit sich die entsprechende Vertragsbestimmung hinreichend deutlich und unmissverständlich aus den Vertragsunterlagen ergibt, so dass gewährleistet ist, dass die Vertragsparteien sie in vollem Umfang zur Kenntnis genommen haben. Sie darf nicht lediglich durch Auslegung anderer Vertragsbestimmungen oder Deutung des tatsächlichen Verhaltens der Vertragsparteien ermittelt werden.“

 

 

2. Bundesgerichte - keine Entscheidung 

 

 

3. OLG - siehe auch EuGH, BGH, OLG 2024 Literatur 2024 1-7 A-Z - OLG

 

3.1. Ein Fehler der Vergabekammer (unterlassener Hinweis und Erledigungserklärung des Fortsetzungsfeststellungsantrages kann zur Folge haben, dass der Bieter mit den Verfahrenskosten belastet wird, da die unterlassene Weiterleitung des Hinweises durch die Vergabekammer nicht kausal für den späteren Fortsetzungsfeststellungsantrages war. Ob das der „Billigkeit“ nach § 182 III S. 5, IV S. 3 GWB entspricht? Immerhin hat der Fehler der Vergabekammer zu einer unklaren Rechtslage geführt.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 4.6.2024 - 19 Verg – 24 – Kostenentscheidung trotz Fehlers der Vergabekammer zu Lasten des Bieters – Unterlassung der Weitergabe eines rechtlichen Hinweises nur an Auftraggeber, nicht an Bieter durch Vergabekammer (Zurückversetzung und in Aussichtstellen des Zuschlags an den Bieter) – Einreichen des Fortsetzungsfeststellungsantrages - darauf Erledigungserklärung durch Auftraggeber – keine Ursächlichkeit der unterlassenen Bekanntgabe des dem Auftraggeberin erteilten Hinweises für den späteren Fortsetzungsfeststellungsantrag – Kostenentscheidung von Amts wegen sachlicher Erledigung des Nachprüfungsverfahrens – „Abgesehen von vorstehenden Erwägungen rechtfertigte es ein Verfahrensversäumnis [erg. Unterlassung des Hinweises durch VK] zum Nachteil eines Beteiligten grundsätzlich nicht, aus Billigkeitsgründen Kosten dem anderen Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen.“ - Wirkungslosigkeit des Beschlusses der VK (Bestandskraft) vor Rücknahme der zuvor eingelegten Beschwerde – Unstatthaftigkeit und Unzulässigkeit der Beschwerde – Rücknahme i. S. d. § 168 II GWB – Entscheidung der VK Verwaltungsakt („§ 168 III S. 1 GWB) – ergänzende Anwendung des VerwVerfG nach § 168 III S. 1 GWB – Entscheidung nach billigem Ermessen gemäß § 182 III S. 5, IV S. 3 GWB: Folge der Rücknahme des Fortsetzungsfeststellungsantrags trifft Bieter

 

3.2. Immer wieder: Referenzen und fehlender Vergleichbarkeitsnachweis des Bieters! Was ist eine vergleichbare Referenz“?

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.2.2024 - Verg 23-23 - Schleusendecksdienst einer Seeschleuse – nicht ausreichende Referenzen - fehlende Anforderungen der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit nach §§ 57 I Hs. 1, 46 I VgV - fehlender Vergleichbarkeitsnachweis für die ausgeschriebene Leistung durch vorgelegte Referenz – Vergleichbarkeit verlangt keine „gleichen“ oder gar „identischen“ Leistungen, sondern ausreichenden Nachweis einer Leistung, die bezüglich ihres Umfangs und ihrer Komplexität in technischer oder organisatorischer Art einen gleich hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad aufweist und die der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, „dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet. – konkreter Auftrag als Vergleichsmaßstab – Prognoseentscheidung mit nur beschränkt überprüfbarem Beurteilungsspielraum – Ausnahmefall: mögliche Anweisung der Zuschlagserteilung an einen Bieter unter der Voraussetzung der einzig rechtmäßigen Entscheidung (hier nicht zuschlagsfähiges einziges weiteres Angebot der Beigeladenen mangels Eignung der Beigeladenen).

 

3.3. Schwerwiegende „Corona-Nachwirkungen - Schadensersatz des Auftragnehmers wegen Annahmeverzugs - so wirken sich die BGB-Vorschriften (§§ 323, 326) aus. Auch eine Freizeichnungsklausel (AGB) greift wegen Unwirksamkeit nach § 307 I, II Nr. 1 BGB (Unangemessenheit) nicht ein. Schaden von über 85 Mio. €.

OLG Köln, Urt. v. 19.7.2024 - 6 U 101-23 - Corona – Schutzmasken – Open-House-Vergabe – Ansprüche wegen Annahmeverzugs von Lieferungen in Höhe von 85.644.300,00 € nebst Zinsen – kein Rücktrittsrecht des Auftraggebers wegen Verzugs oder Nichterfüllung ohne Fristsetzung – keine Vereinbarung eines absoluten Fixgeschäfts – keine Freizeichnung von der Pflicht durch entsprechende Formularklausel (Unwirksamkeit nach § 307 I, II Nr. 1 BGB - unangemessene Benachteiligung) – auch vergaberechtlich sollte die Entscheidung beachtet werden, wenn auch im Nachprüfungsverfahren mit Rücksicht auf § 97 VI GWB (AGB-Recht ist „keine „Bestimmung über das Vergabeverfahren“ eine Inhaltskontrolle nicht durchgeführt wird. Das aber dann im folgenden Zivilverfahren zu „Überraschungen“ führt, wenn „abgerechnet“ wird?

 

3.4. Wieder einmal: Handwerkskammern sind keine öffentlichen Auftraggeber.

OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 22.02.2024 - 54 Verg – 23 - Planungsleistungen für Baugrund und Wasserhaltung – öffentlicher Auftraggeber (verneint) - Zurückweisung der Beschwerde – Handwerkskammer ist kein öffentlicher Auftraggeber (ausführliche Begründung)

 

3.5. Vorsicht vor rechtswidrigen Aufhebungen! § 16 I Nr. 2 VgV („wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens“) bedarf abgesicherter Prüfung.

OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.3.2024 - 54 Verg 2 – 23 - Schülerbeförderung – rechtswidrige Aufhebung – Rechtsverletzung - Vertragslaufzeit von August 2023 bis August 2029 mit einmaliger Verlängerungsfrist von 24 Monate - drei Lose für drei anzufahrende Schulen – Erledigung des Nachprüfungsverfahrens - Feststellung der rechtswidrigen Aufhebung des Vergabeverfahrens – Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten - §§ 56 IV, 57 I Nr. 1, 63 I Nr. 2, 63 I Nr. 4 VgV - Leitsatz: 1.. – 6.. .... 7. Die Annahme eines Aufhebungsgrundes setzt voraus, dass ein Umstand nachträglich eingetreten ist oder dem Auftraggeber anfänglich nicht bekannt sein konnte und der Auftraggeber diesen Umstand nicht zu vertreten hat. 8. Eine wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens im Sinne von § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV setzt voraus, dass eine Auftragsvergabe auf der Grundlage der bisherigen Vergabebedingungen für den Auftraggeber oder die Bieter wegen eines im Nachhinein aufgetretenen und vom Auftraggeber nicht zu vertretenen Umstands objektiv sinnlos oder unzumutbar geworden ist oder die Auftragsdurchführung nicht mehr möglich ist. 9. Als ein schwerwiegender Grund im Sinne von § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV kommt auch ein Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers in Betracht, aber nur dann, wenn er die Durchführung des Vergabeverfahrens oder den Zuschlag ausschließt. Der Fehler muss von so großem Gewicht sein, dass ein Festhalten des öffentlichen Auftraggebers an dem fehlerhaften Verfahren mit Gesetz und Recht schlechterdings nicht zu vereinbaren wäre und von den Bietern, insbesondere mit Blick auf die Schwere des Fehlers, erwartet werden kann, dass sie auf die Bindung des Auftraggebers an Recht und Gesetz Rücksicht nehmen. 10. Die Aufhebung eines Verfahrens begünstigt nicht ausschließlich ein Unternehmen, auch wenn nur auf diese Weise ein Ausschluss seines Angebotes vermieden werden kann.“ – auch VK Bund, Beschl. v. 10.01.2024 - VK 2 - 96 – 23 – Ersatzneubauten – BAB – Eigenerklärung über drei vergleichbare Referenzen Leitsatz: „1. Die Zurückversetzung zur Korrektur eines eigenen Fehlers erfüllt nicht die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Aufhebung nach § 17 EU Abs. 1 VOB/A.“

 

3.6. Digitalisierungsmaßnahmen und –vergaben mit EVB-Verträgen haben es bekanntlich in sich. Schon die Vorbereitung (Markterkundung., Verfahrensarten etc.) ist aufwändig (vgl. Verfasser www.vergabetip.de zu KI und Vergaberecht). Kritisch sind „Unterschwellenvergaben“ im Nachprüfungsverfahren, auch die Natur des Vertrags bei „komplexen Aufträgen“ (Hauptleistung: „Dienstleistung“ oder „Bauauftrag“).

OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.03.2024 - 54 Verg 9 – 23 – Gesellschaft zur Förderung und Nutzbarmachung der Digitalisierung – Lenkung der Besucherströme und Pendelverkehre etc. durch Schaffung von Datenquellen vor Ort, Datenmanagement und Datenanalyse auf Basis von Echtzeitdaten – Einleitung eines nationalen Vergabeverfahren zur Beschaffung der Sensorik und der Datenplattform - EVB-IT-Kaufvertrag – Leitsatz (amtlich): 1. Ob der Rechtsweg zu der Vergabekammer eröffnet ist, ist von Amts wegen zu prüfen. Eine unterlassene Rüge einer nationalen Ausschreibung statt einer unionsweiten Ausschreibung führt insoweit nicht zur Präklusion. 2. Wird ein Auftrag national statt unionsweit ausgeschrieben, kann ein drohender Schaden eines Bieters wegen eines weiteren Vergabefehlers nicht aus dem Grund ausgeschlossen werden, dass er wegen der fehlerhaften Ausschreibung den Zuschlag ohnehin nicht erhalten könnte, wenn er die unionsweite Ausschreibung weder erreichen kann noch will. 3. Die Natur eines Vertrages, mit dem Leistungen beschafft werden sollen, die verschiedenen Vertragsarten zugehören, richtet sich nach der Hauptleistung. Diese ist wertend unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen. 4. Ein Auftrag zur Erstellung eines Systems aus Sensoren zur Parkraumüberwachung und zur Überwachung von Besucherströmen ist kein Bauauftrag.

 

 

4. Vergabekammern - siehe auch EuGH, BGH, OLG 2024 Literatur 2024 1-7 A-Z - Vergabekammern

 

4.1. Nachträgliche Änderung im Angebot benannter Nachunternehmer durch nunmehrige Selbstausführung ist Angebotsänderung (Ausschluss)

VK Bund, Beschl. v. 28.3.2024 - VK 2 - 25 – 24 – Bau – Ausschluss u. a. wegen Nichteindeutigkeit der Angabe des Umfangs von Nachunternehmerleistungen und Nichterbringens des geforderten Nachweises gemäß MVAS 99 auf der Grundlage der RSA 21 bei Angebotsabgabe sowie Nichtvorlage innerhalb der gesetzten Frist – ungewöhnlich niedriges Angebot – Angebotsänderung bei Nachunternehmereinsatz statt Selbstausführungsgebot – Biergemeinschaft und Eignungserklärung - §§ 16, § 16d EU VOB/A; § 160 GWB - Leitsatz: 1. Der aus dem Submissionsprotokoll ersichtliche Preisabstand ist eine ausreichende Anknüpfungstatsache für ein möglicherweise ungewöhnlich niedriges Angebot eines Konkurrenten. Worin genau die Defizite des beanstandeten Angebotes bestehen könnten, kann und muss ein Antragsteller mangels eigener Kenntnis jedoch nicht rügen. 2. Ein Angebot ist inhaltlich nicht zweifelsfrei und deswegen zwingend auszuschließen, wenn der Bieter bei der vom Auftraggeber geforderten Angabe der beabsichtigten Nachunternehmerleistungen angibt, er werde „gegebenenfalls“ Untervergaben vornehmen. 3. Es liegt eine Angebotsänderung, die zwingend zum Ausschluss eines Angebotes führt, vor, wenn ein Bieter nachträglich Nachunternehmer für Leistungen benennt, die er nach dem ursprünglichen Angebot selber ausführen wollte. 4. Gibt eine Bietergemeinschaft ein Angebot ab, genügt es, wenn beide Mitglieder oder nur eines der Mitglieder der Bietergemeinschaft die vom Auftraggeber vorgegebenen Mindestanforderungen an die Eignung erfüllt. 5. Der Auftraggeber kann sich wirksam die Forderung der Kalkulation auch der Nachunternehmer vorbehalten. Eine solche Anforderung ist nicht unverhältnismäßig. 6. Nach § 16 EU Nr. 4 Satz 1 VOB/A dürfen Erklärungen, die erst auf gesonderte Anforderung nach Angebotsabgabe einzureichen sind, nicht nachgefordert werden.“

 

4.2. Eine Entscheidung der VK Rheinland befasst sich u. mit Rügen (u. a. inhaltliche Voraussetzungen, Form und Frist und Zugang)

VK Rheinland, Beschl. v. 23.07.2024 - VK 26 - 24 – B – Landschaftsbauarbeiten – Rüge – Konkretisierung und Abhilfeverlangen – Zugangsvoraussetzungen – Nichtausreichender „o.k.“ auf Sendebericht des Absenders – Darlegungs- und Beweispflicht für Zugang: Rügender - Leitsatz (amtlich): 1. Die Rüge ist eine zwingend von den Vergabekammern von Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungsvoraussetzung. Ohne vorherige Rüge ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig. 2. Für eine den Anforderungen des § 160 GWB genügende Rüge ist erforderlich, dass aus ihr für den Auftraggeber unmissverständlich hervorgeht, welches Verhalten als Vergaberechtsverstoß angesehen wird und inwiefern der Bieter vom Auftraggeber Abhilfe verlangt. 3. Für eine fristgemäße Rüge ist deren Zugang beim Auftraggeber relevant und nicht deren Absendung. Der „O.K.“-Vermerk auf dem Sendebericht ist jedenfalls dann irrelevant, wenn der Empfänger den Zugang substantiiert bestreitet. 4. Der Rügende trägt das Risiko, dass die Rüge nicht bzw. nicht vollständig zugeht. Er ist dafür darlegungs- und beweispflichtig

 

4.3. Die Vergabe von Schülerspeisungen bei „zweistufigen Rahmenvereinbarungen“ (Einzelverträge im Miniwettbewerb) und Testessen (Beurteilungsspielraum) ist schon mehrfach Gegenstand von Nachprüfungsverfahren gewesen („kritikaffiner Nutzerkreis?). In einer Entscheidung der VK Sachsen wird nahezu die ganze Palette möglicher Rügen und Reichweiten behandelt.

VK Sachsen, Beschl. v.24.04.2024 - 1 - SVK - 041 – 23 – Dienstleistungskonzession zur Schülerspeisung - zweistufige Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmen – Vergabe der Einzelaufträge mit Miniwettbewerb – Rüge – Kenntnis – schlüssige Begründung des Nachprüfungsantrags – Bewertung des Testessens (Beurteilungsspielraum) - Leitsatz (amtlich): 1. Bei zweistufigen Rahmenvereinbarungen mit mehreren Unternehmen und sogenannten Miniwettbewerb haben beteiligte Unternehmen bei Verstößen im Zusammenhang mit der Vergabe der Einzelaufträge grundsätzlich die Möglichkeit, Primärrechtsschutz bei der Vergabekammer in Anspruch zu nehmen. Dies bedeutet, dass nicht nur bei der Vergabe der Rahmenvereinbarung selbst, sondern auch bei der späteren Vergabe der Einzelaufträge durch einen Miniwettbewerb der Rechtsweg zu den Vergabekammern eröffnet sein kann. 2. Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB wird ausgelöst, wenn der Antragsteller positive Kenntnis nicht lediglich von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen (Tatsachenkenntnis), sondern aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen hat. Sie entsteht somit nicht erst in dem Zeitpunkt, in dem das Unternehmen Kenntnis von einem völlig zweifelsfreien und in jeder Beziehung sicher nachweisbaren Vergabefehler erlangt. Ausreichend ist vielmehr das Wissen um einen Sachverhalt, der aufgrund laienhafter rechtlicher Wertung des individuellen Bieters den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen ergibt und es bei vernünftiger Betrachtung dann gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden. 3. Im Generellen werden an die Begründung des Nachprüfungsantrags keine hohen Anforderungen gestellt. Es reicht aus, dass der Antragsteller in laienhafter Darstellung schlüssig behauptet, dass und welche vergaberechtlichen Vorschriften im Verlauf des Vergabeverfahrens missachtet worden sein sollen. Den dieser Behauptung zugrundeliegenden Sachverhalt hat der Antragsteller in einer Weise darzustellen, dass die Vergabekammer erkennen kann, durch welche Handlungen oder Unterlassungen der Auftraggeber die vom Antragsteller geltend gemachten Rechtsverletzungen begangen hat, und ob dem Antragsteller hierdurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. 4. Dem Konzessionsgeber steht bei der Bewertung eines Testessens ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Denn die Bewertung eines Testessens stellt einen Vorgang dar, welcher einer mündlichen Prüfung ähnelt und der wegen ihrer Einmaligkeit nicht wiederholt werden kann (situative Bewertung). Deshalb ist von vornherein eine nur eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit dieser Situation gegeben. Deswegen kommt einer hinreichenden Dokumentation und Begründung der Wertung eines Testessens als Kehrseite des weiten Beurteilungsspielraums eine hohe Bedeutung zu und ist unerlässlich. Sie ist Voraussetzung dafür, dass überhaupt nachgeprüft werden kann, ob der Konzessionsgeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten hat. 5. Fehler in der Wertung sind unbeachtlich, wenn sich durch diese die Bieterreihenfolge also die Aussichten auf den Erhalt des Zuschlags nicht ändert und einem Antragsteller dadurch insoweit kein Schaden entsteht.

 

 

5. Literatur - siehe auch EuGH, BGH, OLG 2024 Literatur 2024 1-7 A-Z - Literatur

 

5.1. Neue Kommentierungen und Handbücher

 

Unentbehrlich: Ziekow, Jan [Hrsg.] / Völlink, Uwe-Carsten [Hrsg.]), Vergaberecht - Kommentar, C.H. Beck 2024

von Wietersheim/Zeiss, Vergabe- und Vertragsrecht 2024, 2024, reguvis

Leinemann / Otting / Kirch / Homann, Kommentar VgV / UVgO, 2024 – CH Beck

Gabriel / Krohn / Neun, Handbuch Vergaberecht, GWB, VgV, SektVO, VSVgV, KonzVgV, VOB/A, UVgO, VO (EG) 1370/2007, SGB V, AEUV, 4. Aufl., 2024 – CH Beck

Ebisch / Gottschalk / Hoffjan /Müller, Kommentar Preise und Preisprüfungen, 10. Aufl, 2024, Kommentierung –

Hausmann, Friedrich/Röwekamp/Friton [Hrsg.], Beck'sches Formularbuch Vergaberecht, C.H. Beck 2023

Vahlen Löffelmann/Keldungs, Architektenrecht, 8. Aufl., 2024, Wernerverlag

 

5.2.Fachbeiträge 

 

5.2.1. Immer wieder kommt es zu Änderungen der Vertragsunterlagen, der Angebote oder des Auftragsumfangs. Dementsprechend befassen zu auch 2024 wieder einige Beiträge mit dieser Frage.

 Hamm, Sebastian: Auftragsänderung auch ohne ausdrückliche Vereinbarung NZBau 2024, 328-330

Walter, Otmar, Die Änderung von Aufträgen während der Vertragslaufzeit auf der Grundlage von Optionsklauseln für die Erbringung von Mehrleistungen, VergabeR 2023, 699

 

5.2.2. Das Thema Bauleistung wirft laufend Fragen auf, insbesondere wenn es sich um Abgrenzungen zu Dienstleistungen oder Grenzbereiche handelt. 

 Bauleistung - Schäffer, Rebecca, Die Beschaffung in der Garten- und Landschaftspflege – Welches Rechtsregime gilt? VergabeFokus 2023, 2

 

5.2.3. Die Interimsvergabe-Grundsätze sollten jedem Praktiker bekannt sein, da die dringliche Situation hier nicht selten vorkommt. 

 Beiersdorf, Hendrik,, Aktuelle Rechtsprechung zu Dringlichkeits- und Interimsvergaben, VergabeR 2024, 201-211

Hartwecker, Annett/Kirch Thomas, Die aktuelle Diskussion um die Interimsvergabe , oder doch Dringlichkeitsvergabe!?, Vergabe News 2024, 2

Müller, Anne/Beiersdorf, Hendrik, Aktuelle Rechtsprechung zu Dringlichkeits- und Interimsvergaben, VergabeR 2024, 201-211

 

5.2.4. Die Markterkundung gehört m. E. zum Kern der Vergabe, wenn sie auch vor dem Beginn des eigentlichen Vergabeverfahrens durchzuführen ist. Der folgende Beitrag befasst sich aus praktischer Sicht mit dem Problem.

 Schäffer, Rebecca, „Markterkundungen rechtssicher und zielführend einsetzen Vergabe Fokus 2024, 11-14

 

5.2.5. Preissteigerungen sind vielfach anzutreffen. Die Frage kann bei Vergabe bzw. Abwicklung bedeutsam werden. 

Mihail, Dishev/ Hoffmann, Philipp/ Müller, Sven, Die Ausführung von Verträgen im Zeichen von krisenbedingten Preissteigerungen, NJOZ 2024, 97

Dass die Wertung problematisch sein kann, bedarf eigentlich keines Hinweises. Deshalb sollten neue Beiträge Beachtung finden.

Kokew, Christian/Haußmann, Lena, Wertung von Konzepten – Auslegung, Aufklärung und andere Herausforderungen NZBau 2024, 258-261

Noch, Rainer, Wertung mit Methode Vergabe Navigator 2024, 24

 

5.2.6. Zuschüsse sind sicherlich erstrebenswert. Gefährlich sind die Rückforderungen bei Verstößen. Sie können zu Überraschungen und erheblichen Belastungen führen. 

Gass, Georg, Zuwendungen und Vergaberecht - aktuelle Vorgaben in Bayern, schwere Vergabeverstöße und Ermessensausübung nach der Rückforderungsrichtlinie, BayVBl 2024, 217-222

Zuschuss - Golz, Marisa-Therese; Hohensee, Marco Michael, Inhouse-Vergabe bei Fördermittelempfängern, Vergabe News 2024, 78-82

Zuschuss - Pilarski, Michael, Aktuelle Probleme des Zuwendungsvergaberechts VergabeR 2024, 222-227