Stand 2014 und Beginn 2015
Vergaberecht – Stand und Entwicklung 2014 und Anfang 2015
Nachfolgend finden Sie 25 Punkte mit Hinweisen und den maßgeblichen Entscheidungen der Jahre 2014 und Anfang 2015. Von diesen 25 Punkten stoßen sicherlich u. a. die Entscheidungen zum „Bestimmungsrecht“, zum „grenzüberschreitendem Interesse“ oder auch zu „Bietergemeinschaften und Absprache“ auf Ihr besonderes Interesse; ebenso sind auch die sozialen Aspekte, insbesondere die Tariftreue- und Mindestlohnerklärung, wichtig für Ihre Vergabepraxis. Eine weitgehende Klärung hat sich für In-house-Geschäfte sowie die kommunale Zusammenarbeit ergeben. Aber auch die Nachforderung von Nachweisen oder die Abänderung der Vergabeunterlagen werden für Sie erheblich sein. Die Umsetzung der neuen Richtlinien 2014/EU und ihre „Vorwirkungen“ waren bereits Gegenstand des Newsletters 1/2015.
Vergaberecht – aktueller Stand 2014
Prof. Dr. Harald Bartl
Übersicht
Vorbemerkung
I. Stand 2014 bis Beginn 2015
1. 2014 – Jahr des „Bestimmungsrechts“ des Auftraggebers – Markterkundung überflüssig?
2. Leistungsbeschreibung – weniger strenge Grundsätze?
3. Grenzüberschreitendes Interesse und Transparenz
4. Mietvertrag als verkappter Bauvertrag - gemischte Verträge
5. Nebenangebote und Preis als einziges Zuschlagskriterium
6. Bietergemeinschaften und Absprachen
7. Nachweise und Grenzen für Nachforderungen
8. Nebenangebote, technische Spezifikationen und Abänderung der Vergabeunterlagen
9. Preisprüfung, Aufgreifschwelle
10. In-house-Vergabe – Vergaberechtsfreiheit
11. De-facto-Vergabe und Direktvergabe
12. Eignungs- und Wertungskriterien
13. „Ungewöhnliches Wagnis“ – Unzumutbarkeit
14. Dokumentationspflicht
15. Zuschlagskriterien
17. Soziale Aspekte – Mindestlohn
18. Interimsvergabe
20. Besonderheiten im Bereich IT – Software
21. Kein vorbeugender Rechtsschutz
22. Zuschüsse – Rückforderungen
23. Unangemessene Wartefrist nach Information vor dem Zuschlag (Feiertage)
24. Rechtswidrigkeit – Rechtmäßigkeit der Aufhebung
25. No-spy-Erklärung
Vorbemerkung
Auch das Jahr 2014 sowie das beginnende Jahr weisen spannende Entwicklungen auf. Ruhe für die Beschaffungspraxis ist nicht anzutreffen. In dem folgenden I. Teil sind 24 Punkte anzutreffen, die aus der Sicht des Verfassers das Jahr 2014 geprägt haben. Die Zusammenstellung ist nicht abschließend – sie kann es auch nicht sein. Vielmehr sollen Einkäufer und Bewerber Anregungen für ihre Tagesarbeit erhalten und Fehler vermeiden.
Hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinien 2014 wird auf Newsletter 1/2015 verwiesen, das sich auch mit der „Vorwirkung“ der Richtlinien während der Umsetzungsfrist befasst.
I. Stand 2015
1. 2014 – Jahr des „Bestimmungsrechts“ des Auftraggebers – Markterkundung überflüssig?
In früheren Jahren wurden „Markterkundung“ und Marktübersicht als unumgänglich angesehen (vgl. auch §§ 2 IV VOB/A, 2 III VOL/A). In den beiden letzten Jahren, insbesondere in 2014, vollzog sich insofern in der Rechtsprechung ein Wandel. 2014 war insofern auch das Jahr des „Bestimmungsrechts“. Allerdings ist dieses Recht nicht grenzenlos. Für eine bestimmte Leistung müssen nachvollziehbare Gründe dokumentiert werden. Das Bestimmungsrecht kann sich auf wirtschaftliche (Wirtschaftlichkeitsrechnung etc.) oder technische Gründe (belegbare Inkompatibilät etc.) beziehen.
Wird das Bestimmungsrecht missbraucht und z. B. vergaberechtswidrig ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt (vgl. § 3 IV c EG VOL/A: nur ein bestimmtes Unternehmen etc.), so wird gegen die §§ 101a, 101b GWB verstoßen (Unwirksamkeit des Vertrags).
Zur Absicherung sollte das Recht zur Leistungsbestimmung in den Grenzen zwar genutzt, aber gleichzeitig eine „flankierende Markterkundung“ durchgeführt werden.Sofern sich infolge des Bestimmungsrechts abzeichnet, dass aller Voraussicht nur eine konkrete Leistung X in Betracht kommt, stellt sich spätestens hier die Frage, welche Konkurrenzleistungen auf dem Markt sind, sofern der Auftraggeber diese Frage nicht bereits „im Rahmen des Bestimmungsrechts“ mit berücksichtigt hat. Das zeigt, dass die „Lehre“ vom Bestimmungsrecht vergaberechtlich kritisch zu sehen ist – ganz abgesehen von wirtschaftlicher Aspekt eines erfolgreichen Einkaufs.
Meist finden sich insofern folgende Ausführungen in den Entscheidungen: “In Vergabenachprüfungsverfahren ist die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich des Beschaffungsgegenstands und der Bedingungen für die Auftragsvergabe zu respektieren (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 2013, VII-Verg 6/13). Eine Grenze findet die Bestimmungsfreiheit in § 8 EG Abs. 7 Satz 1 VOL/A. Diese Vorschrift sieht vor, dass der Auftraggeber in seinen technischen Anforderungen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft, ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verweisen darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist.“
Rechten, Stephan/Portner, David, Wie viel Wettbewerb muss sein? – Das Spannungsverhältnis zwischen Beschaffungsautonomie und Wettbewerbsprinzip, NZBau 2014, 276
Entscheidungen:
Unzulässige Ausübung des Bestimmungsrecht - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 09.05.2014 - VK 2 - 33/14 – Rahmenvertrag „Druckerverbrauchsmaterial“ – unzulässige Bindung an Lieferung durch Vermieter der Fotokopiergeräte
Berechtigte Ausübung - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 23.01.2014, VK 2 - 126/13 – Röhrchenlieferung mit bestimmten Eigenschaften für Forschung – gerechtfertigte Ausübung des Bestimmungsrechts
Rechtfertigung durch Wirtschaftlichkeitsrechnung - Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 27.01.2014 - 2 VK 15/13 – Software - kamerales Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen: „Bei der Beschaffungsentscheidung ist der Auftraggeber vergaberechtlich grundsätzlich ungebunden. Vergaberechtliche Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers bestehen nur insoweit, als dieser grundsätzlich gehalten ist, den Marktzugang für alle potentiellen Bieter offen zu halten, indem er nach Möglichkeit Beschränkungen des Wettbewerbs durch zu enge, auf bestimmte Produkte oder Bieter zugeschnittene Leistungsbeschreibungen unterlässt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2013, 15 Verg 5/13, vpr-online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2013, Verg 16/12, Rdnr. 33, juris). Diese Grenzen sind indes eingehalten, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind, und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (OLG Düsseldorf, OLG Karlsruhe, jeweils a.a.O.)“ - Die Entscheidung des Auftraggebers ist nach der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, aaO, nur beschränkt überprüfbar – Grenze bildet daneben die „Zumutbarkeit“: “Dabei bleibt die Überprüfung im Nachprüfungsverfahren aber auf die Frage beschränkt, ob nach dem Erkenntnishorizont des öffentlichen Auftraggebers zur Zeit der Entscheidung über die Festlegung des Beschaffungsbedarfs sachliche und auftragsbezogene Gründe für die Festlegung des Beschaffungsgegenstands vorhanden waren und der Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Die vergaberechtlichen Prüfungs- und Untersuchungspflichten des Auftraggebers unterliegen nämlich Zumutbarkeitsgrenzen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2013, 15 Verg 5/13, .... unter Berufung auf OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 - Verg 10/12 ....). Dies begründet sich damit, dass die Zielsetzung des Vergaberechts darin liegt, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten und Vergabeentscheidungen aus sachfremden, diskriminierenden Gründen zu verhindern, nicht jedoch, dem öffentlichen Auftraggeber das vergaberechtliche Risiko einer unverschuldeten Fehlbeurteilung seines Beschaffungsbedarfs oder einer Fehleinschätzung von wirtschaftlichen oder technischen Entscheidungsgrundlagen zuzuweisen. Der öffentliche Auftraggeber verhält sich daher jedenfalls dann vergaberechtskonform, wenn er ihm zumutbare Ermittlungen zur Feststellung und Festlegung seines Beschaffungsbedarfs anstellt, insbesondere - wenn ihm selbst die erforderliche Sachkunde fehlt - die Beratung durch ein Beratungsunternehmen in Anspruch nimmt und die für die Festlegung des Beschaffungsgegenstands maßgeblichen Umstände gewissenhaft prüft und auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass sachliche Gründe vorliegen, die die konkrete Festlegung seines Beschaffungsbedarfs rechtfertigen. Der Vergabestelle kommt hierbei ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu (OLG Karlsruhe, a.a.O.).“ Ferner die Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 07.03.2014 - 1/SVK/048 – 13 – Rettungsdienste - „Ein Auftraggeber hat zunächst einen erheblichen Spielraum bei der Bestimmung der zu beschaffenden Leistung. Die Leistungsbestimmung ist dem Vergabeverfahren zeitlich vorgelagert. Zudem steht einem Auftraggeber bei der Auswahl und Festsetzung der Bewertungskriterien ein von der Vergabekammer nicht überprüfbarer Wertungsspielraum zu (vgl. EuG Urt. v. 19. 3.2010 - T-50/05, OLG Düsseldorf, B. v. 30.07.2009, VII Verg 10/09).
Markerkundung damit überflüssig? Vgl. insofern auch § 2 III EG VOL/A. Einschränkend insofern die Vergabekammer Bund, Beschl. v. 23.01.2014, VK 2 - 126 / 13 – Röhrchenlieferung: „Der Auftraggeber darf nach sachlichen Kriterien differenzieren, die sich aus der Art der zu vergebenden Leistung ergeben. Voraussetzung ist, dass er sich vor Festlegung der Ausschreibungsbedingungen einen möglichst breiten Überblick über die in Betracht kommenden technischen Alternativen verschafft hat (Prieß, a.a.O, § 8 EG Rn. 110). Ausgehend hiervon kann nicht festgestellt werden, dass die Auftraggeberin gegen § 8 EG Abs. 7 VOL/A verstoßen hat.“
2. Leistungsbeschreibung – weniger strenge Grundsätze?
Grundsätzlich sind die §§ 7 I VOB/A bzw. EG VOB/A und § 7 I VOL/A, 8 I VOB/A maßgeblich, da nur eindeutige, erschöpfende und für alle gleich verständliche Leistungsbeschreibungen wettbewerbsgeeignet sind. Fraglich ist, bis zu welchem Grad eine „Offenheit“ der Leistungsbeschreibung („gewisse Unbestimmtheit“) zulässig ist, ohne für den Bewerber hinsichtlich der Kalkulation unzumutbar zu sein bzw. ein unzumutbares Wagnis zu enthalten. Zu unterscheiden ist dies von der Frage, ob das Angebot den Vergabeunterlagen entspricht oder diese abändert (zwingender Ausschluss). Auch „kleine Abweichungen“ oder Schreibfehler führen zum zwingenden Ausschluss. Entscheidungen:Zulässigkeit einer „gewissen Unbestimmtheit“: OLG Düsseldorf (Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13)im Zusammenhang mit Reinigungsarbeiten nicht die gewisse Unbestimmtheit der Leistungsbeschreibung. Sie enthält keine Vorgaben für Raumtypen, Flächenmaße, Leistungswerte (z.B. Reinigungsmaß pro Quadratmeter und Stunde), sondern nur Angabe der Reinigungsflächen (Teppich oder PVC), Anzahl der Heizkörper, Türen, Toilettenräume, zumal wenn Gelegenheit zur Ortsbesichtigung besteht. Die entsprechende Rüge der „Unbestimmtheit“ hatte in diesem Fall keinen Erfolg. Bekanntlich ist die Vergabe von Reinigungsleistungen besonders aufwändig und schwierig. Das OLG Düsseldorf, aaO, scheint das zu erleichtern zu wollen. Man sollte sich allerdings im Einzelfall nicht auf diese Rechtsprechung verlassen.
Zwingender Ausschlussgrund infolge Abänderung der Vergabeunterlagen: Enthält die Leistungsbeschreibung indessen konkrete Vorgaben und der Bieter nicht rügt, sondern eine insofern von den Vergabeunterlagen abweichende Leistung anbietet, so greift der „zwingende Ausschlussgrund des § 16 EG Abs. 1 Nr. 1b i. V. m. § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A in Form der unzulässigen Änderung an den Vergabeunterlagen“ ein“ - OLG München, Beschl. v. 20.4.2014 – Verg 1/14 – VergabeR 2014, 817 – Kücheneinrichtung – „Installationsbrücke Kochblock“: - gefordert: „Die Installationsbrücke dient zur bodenfreien, beidseitigen Aufhängung der nachfolgend beschriebenen Geräte. ...Durch die beiden Füße ist die Installationsbrücke bodenfrei und gewährleistet dadurch optimale Reinigung und Hygiene.“ – angeboten: „Installationswand“ ohne Bodenfreiheit der Aufhängevorrichtung.“ Das stellt eine erhebliche technische Abweichung von der Leistungsbeschreibung dar -– siehe auch unten „ungewöhnliches Wagnis“.
Abweichung, kein Schreibfehler - OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.11.2014 - Verg W 9 / 14 – Landschaftsbauarbeiten – Gymnasium Potsdam –Änderung und nicht bloße Schreibfehler (abweichende Abmessungen – gefordertes Rastermaß für Betonsteinpflaster: 400x240x10 – angeboten: „Pasand 40x20x10 cm“) – Ausschluss - § 16 I EG VOB/A – Akteneinsichtsrecht (abgelehnt) - Abweichung von der geforderten Leistung – Auslegung des Angebots nach den §§ 133, 157 BGB - Beachtung auch von Transparenz und Gleichbehandlung – Angebot mit den Abmessungen 400×200x100 mm (40x20x10 cm) und nicht statt der geforderten Abmessungen 400×240×100 mm (40x24x10 cm) – Abweichung – keine Einstufung als Schreibfehler – kein Anspruch des Bieters auf Aufklärung nach § 15 EG VOB/A – keine Nachbesserung des Angebots.
3. Grenzüberschreitendes Interesse und Transparenz
Dieses Problem taucht insbesondere bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte auf. Insofern greifen insbesondere bei Bauaufträgen (hoher Schwellenwert regelmäßig über 5 Mio. € - derzeit 5.186.000 € nicht erreicht), aber auch z. B. bei Aufträgen nach Anlage 1 Teil B (= “nicht prioritäre Dienstleistungen) der EG VOL/A (z. B. Wachdienste) die Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und Transparenz ein.
Das kann im Einzelfall zur Bekanntmachungspflicht führen, obwohl z. B. § 12 II EG VOL/A bzw. § 12 II EG VOB/A (unterschwellige Aufträge, Anlage 1 Teil B) nicht eingreifen – an sich damit keine EU-Bekanntmachung. Voraussetzung ist „ein grenzüberschreitendes Interesse“ am Auftrag potenzieller Bieter aus einem anderen Mitgliedsstaat. Ob dies vorliegt, haben nach dem EuGH die nationalen Gerichte im Einzelfall zu entscheiden. Maßgeblich sind u. a. Branche, nicht unerheblicher Auftragswert und grenznahe Ortslage. Teils finden sich auch Regelungen in dieser Frage in Vergabegesetzen der Länder (vgl. z. B § 3 III Nr. 1 TVgG NRW)
Gabriel, Marc/Voll, Maximilian, Das Ende der Inländerdiskriminierung im Vergabe(primär)recht, NZBau 2014, 155
Entscheidungen:
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2014 - 1 Verg 3/13 – Grundstücksaufsichtdienst): Unwirksamkeit des Zuschlages nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB bei fehlender europaweiter Ausschreibung wegen „grenzüberschreitenden – aus der Entscheidung: „(1.) Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 VgV in Verbindung mit Ziffer 23 der Anlage 1 Teil B war der vorliegende Auftrag als „Schutzdienstauftrag ohne Geldtransport“ und somit nachrangige Dienstleistung von den Bekanntmachungsvorschriften des § 15 EG VOL/A befreit, so dass die nationalen Vorschriften über die europaweite Bekanntmachung nicht zur Anwendung kommen. (2.) Öffentliche Auftraggeber haben jedoch das Primärrecht der Europäischen Union nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Unterschwellenbereich zu beachten, sofern ein grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag zu bejahen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 23. 12. 2009 - C-376/08, VergabeR 2010, 469 Rn. 22 und 24 mwN – Serrantoni; EuGH, Urteil vom 15. 5. 2008 – C-147/06 und C-148/06 ...; EuG, Urteil vom 20. 5. 2010 – T-258/06 ... ). Diese Pflicht zur Beachtung der fundamentalen Regeln des Unionsrechts gilt nicht nur im Unterschwellenbereich, sondern auch bei der Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen wie im vorliegenden Fall (vgl. EuGH, Urteil vom 18. 11. 2010 – C-226/09... ). Danach ist insbesondere der Transparenzgrundsatz zu beachten und die Leistung bei einem eindeutigen grenzüberschreitenden Interesse europaweit auszuschreiben. Dieses Interesse kann zwar nicht schon allein aufgrund eines gewissen Auftragswertes – eine Million Euro - angenommen werden. Umgekehrt folgt aber allein aus der bloßen Einordnung der Leistung als nicht prioritär nicht, dass stets ein grenzüberschreitendes Interesse fehlt (vgl. Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl. Stand: 16. Dezember 2013, § 100 GWB Rn. 81). Vielmehr sind alle maßgeblichen Gegebenheiten, die den fraglichen Auftrag betreffen, eingehend zu würdigen, um festzustellen, ob im Einzelfall ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. EuGH, EuGH, Urteil vom 23. 12.2009 - C-376/08 .... Rn. 25 mwN). Hierfür ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Auftrag nach den konkreten Marktverhältnissen, das heißt mit Blick auf die angesprochenen Branchenkreise und ihre Bereitschaft, Aufträge gegebenenfalls in Anbetracht ihres Volumens und des Ortes der Auftragsdurchführung auch grenzüberschreitend auszuführen, für ausländische Anbieter interessant sein könnte (vgl. BGH, Urteil vom 30. 8. 2011 – X ZR 55/10 .. ; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. 3. 2012 – VII-Verg 78/11 ... ). Hiermit übereinstimmend hat auch der EuGH als Kriterien für die Annahme eines grenzüberschreitenden Interesses auf den Wert des Auftrages in Verbindung mit dessen technischen Merkmalen sowie den Ort der Leistung abgestellt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. 5. 2008 – C-147/06 und C-148/06 ... ). (3.) Nach Vorstehendem besteht an vorliegendem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse, so dass eine europaweite Ausschreibung geboten gewesen war. ... Auftragswert von über 3 Millionen Euro ... Ferner ist der Ort ..... Saarbrücken ... grenznah, insbesondere zu Frankreich. Aus den Besonderheiten des Überwachungsgewerbes folgt keine Beschränkung auf nationale Anbieter. Schon per se handelt es sich dabei um eine Tätigkeit, welche nicht national beschränkt, sondern auch in anderen Staaten erbracht werden kann. Zudem hat die Antragstellerin belegt, dass derartige Dienstleistungen de facto europaweit ausgeschrieben werden, was für grenzüberschreitende Aktivitäten spricht. Somit musste die Antragsgegnerin davon ausgehen, dass auch Anbieter anderer EU-Staaten, vor allem aus Frankreich, ein Interesse an dem streitgegenständlichen Auftrag gehabt hätten.“
EuGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – C-358/12 – VergabeR 2014, 775, m. Anm. v. Herrmann, Alexander - Libor – Ausschluss wegen Nichtzahlung der Sozialbeiträge - Aufträge unterhalb des Schwellenwerts und „grenzüberschreitendes Interesse“ (bejaht) – Maßgeblichkeit der Bedeutung des Auftrags und des Ausführungsortes (vgl. Urteil Lecce u. a., C‑159/11, EU:C:2012:817, Rn.23): „Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das Vorhandensein eines solchen Interesses zu beurteilen (vgl. Urteil Belgacom, C‑221/12, EU:C:2013:736, Rn. 30)“ – auch EuGH, Urt. v. 6.11.2014 – C-42/13 – Cartiera dell’Adda - Papier- und Pappkarton-Entsorgung - auch bei Annahme einer Dienstleistungskonzession bei „grenzüberschreitendem Interesse“ nach den Grundregeln des AEU-Vertrags, insbesondere der Gleichbehandlung und der Transparenz.
EuGH, Urt. v. 11.12.2014 - C‑113/13 In der Rechtssache C-113/13 – Vorabentscheidungs-ersuchen – Spezzino –- grenzüberschreitendes Interesse -– bei Nichterreichen des Schwellenwerts oder höherer Wert der medizinischen Dienstleistungen Anwendung nur der Art. 23 und 35 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 un die sich aus den Art. 49 AEUV und 56 AEUV ergebenden allgemeinen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung nur bei eindeutigem grenzüberschreitenden Interesse (insofern kein entsprechender Vortrag des vorlegenden Gerichts) - Kriterien für grenzüberschreitendes Interesses „u. a. ein gewisses Volumen des fraglichen Auftrags in Verbindung mit dem Leistungsort oder technische Merkmale des Auftrags“ – auch z. B. Berücksichtigung von realen Beschwerden von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedsstaaten - speziell für Krankentransporte ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse nicht allein dadurch, „dass mehrere in anderen Mitgliedstaaten ansässige Wirtschaftsteilnehmer bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde eingereicht und die fraglichen Aufträge einen hohen wirtschaftlichen Wert haben.“
4. Mietvertrag als verkappter Bauvertrag - gemischte Verträge
Obwohl es inzwischen weitgehend klar sein sollte, dass „nur Grundstücksgeschäfte“ vergaberechtsfrei abgeschlossen werden dürfen (vgl. § 100 V Nr. 1. – 3. GWB), haben sich die Gerichte gleichwohl auch heute noch mit vergaberechtspflichtigen „verkappten Bauaufträgen“ zu befassen. Die Sachverhalte betreffen meist den Verkauf eines Grundstücks an einen Bauunternehmer, der auf diesem Grundstück nach den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers ein Gebäude errichtet, das der öffentliche Auftraggeber sodann für längere Zeit mietet.In solchen Fällen, in denen insbesondere nach den Vorgaben der öffentlichen Hand gebaut wird, liegen „verkappte Bauaufträge“ und keine vergaberechtsfeien „Grundstücksgeschäfte“ vor.
Entscheidungen:
EuGH, Urt. v. 10.7.14 – C-213/13 – VergabeR 2014, m. Anm. v. Losch, Alexandra - Pizzarotti – hatte sich mit einer solchen Konstellation zu befassen, bei der es sich um eine „Justizgebäude“ handelt. Aus der Entscheidung: Ein „Mietvertrag“ mit vorgegebener Bauverpflichtung unterliegt dem Vergaberecht (keine Ausnahme als „Grundstücksgeschäft“, sondern „verkappter öffentlicher Bauauftrag“) – Bezeichnung des Vertrags nicht entscheidend – Maßgeblichkeit des Hauptgegenstands bei Vertrag mit mehreren Elementen: „Hauptgegenstand des Vertrags ist die Errichtung des Gebäudes liegt, die zwangsläufig Voraussetzung für die spätere Vermietung des Gebäudes ist ... die Errichtung des geplanten Gebäudes muss den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen genügen .... 44 Dies ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung festzulegen oder zumindest entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Helmut Müller, C‑451/08, EU:C:2010:168, Rn. 67)..... Art. 7 des Entwurfs behält der Verwaltung das Recht vor, vor Abnahme des Gebäudes dessen Übereinstimmung mit diesem Anforderungsrahmen zu überprüfen. ...“ – Hauptgegenstand maßgeblich, nicht Höhe der Vergütung („Jahresmiete“ von 3,5 Mio. Euro - 18-jährige Laufzeit - geschätzte Gesamtkosten des Gebäudes (annähernd 330 Mio. Euro).
5. Nebenangebote und Preis als einziges Zuschlagskriterium
Strittig war im EU-Verfahren, ob bei der Zulassung von Nebenangeboten der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium vorgesehen werden darf. In Art. 24 I Richtlinie 2004/18/EG und in Art. 36 I Richtlinie 2004/17/EG ist davon die Rede, dass „Varianten“ = Nebenangebote zugelassen werden dürfen, „die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergaben werden.“ Da Art. 53 Richtlinie 2004/18/EG und Art. 55 Richtlinie 2004/17/EG zwischen dem Zuschlag “auf das wirtschaftlichste Angebot“ oder dem Zuschlag „ausschließlich auf das Kriterium des niedrigsten Preises“ unterscheiden, nahmen die Oberlandesgerichte teils an, dass Nebenangebote nur „in der Kombination“ mit dem Zuschlagskriterium „wirtschaftlich günstigster Preis“ zugelassen und im hiervon abweichenden Fall (Zuschlag auf den niedrigsten Preis) nicht zugelassen bzw. dann auch nicht gewertet werden dürfen. Trotz der im Übrigen im Einzelfall ausdrücklich vorgesehenen Zulassung von Nebenangeboten ergab sich hier eine für viele Bieter von Nebenangeboten die (überraschende) Nichtberücksichtigung.
Entscheidung:
BGH, Beschl. v. 07.01.2014 - X ZB 15/13 – dahingehende Klärung, dass bei Anwendung des Zuschlagskriteriums des Preises als alleinigem Kriterium keine Zulassung und keine Wertung von Nebenangeboten in Betracht kommt. - Leitsätze: „1. a) Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis alleiniges Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden.b) Die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen brauchen im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung zu erfassen, sondern dürfen Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und sich darauf beschränken, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss. c) Die vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten, die es ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technisch-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen.“ – Hinweise auf Art. EU-Richtlinien 2014/24/EU (Art. 45 <Varianten> und 67 <Zuschlagskriterien> und 2014/25/EU (Art. 64 <Varianten> und 82 <Zuschlagskriterien>): In den Vorschriften „Varianten“ ist kein Bezug mehr auf „das wirtschaftlich günstigste Angebot“ mehr enthalten. Die Bestimmungen über die Zuschlagskriterien sind in beiden Richtlinien geändert.
6. Bietergemeinschaften und Absprachen
Obwohl Bietergemeinschaften nach den §§ 6 II EG VOL/A bzw. 6 I Nr. 2 EG VOB/A Bietergemeinschaften den „Einzelbewerbern gleichzusetzen sind“, können sich hier im Einzelfall Ausschlussgründe ergeben.
Die Rechtsprechung hatte hier in vergangenen Jahren in teils rigoroser Weise Ausschlussgründe wegen des Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb bzw. infolge unzulässiger Absprachen angenommen.
Betroffen waren u. a. Angebote einer Bietergemeinschaft und gleichzeitigem Angebot z. B. auf ein Los durch ein Mitglied der Bietergemeinschaft, die „Mehrfachbeteiligung“ als Nachunternehmer einer Bietergemeinschaft und eigenes Angebot des „Nachunternehmerbieters“, die konkurrierenden „Töchter“ eines Konzerns als Bieter.
Insofern verbieten sich generelle Aussagen. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Für öffentliche Auftraggeber ist es riskant, ohne Würdigung der Gesamtumstände bzw. weitere Anhaltspunkte Verstöße gegen den Geheimwettbewerb und Absprachen und damit den Ausschluss der betroffen Bieter nur deshalb anzunehmen, weil sich potenzielle Bewerber zu einer Bietergemeinschaft zusammenschließen.
Entscheidungen:
Vergabekammer Bund, Beschl. v. 26.03.2014 - VK 2 - 19/14 - Instandsetzung von Getriebebaugruppeneilweise
Kammergericht Berlin, Beschl. v. 20.02.2014 - Verg 10/13 – Mehrfachangebote
OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – Baukonzerne
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2014 – VII-Verg 2/14 – NZBau 2014, 716 – AOK – unzulässige Bietergemeinschaft
OLG Schleswig, Beschl. v. 15.4.2014 - 1 Verg 4/13 – Rettungsdienstfahrzeuge
Magr, Stefan/Lotz, Birgit, Grundsätzliche Unzulässigkeit von Bietergemeinschaften?, NZBau 2014, 328
Overbuschmann, Benedikt, Verstößt die Verabredung von Bietergemeinschaften gegen das Kartellrecht?, VergabeR 2014, 634
Einzelfragen:
Grundsätzliches - OLG Schleswig, Beschl. v. 15.4.2014 - 1 Verg 4/13 – Rettungsdienstfahrzeuge – keine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede bei Unmöglichkeit der Beteiligung des einzelnen Wettbewerbers ohne die Bildung einer Bietergemeinschaft -
Unzulässige Bietergemeinschaft - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2014 – VII-Verg 2/14 – NZBau 2014, 716 – AOK – Sortimentsverbreiterung – vorgegebene Bietergemeinschafts-erklärung und Hinweise des Auftraggebers (Auszug):“ .... Während Bietergemeinschaften zwischen Unternehmen unterschiedlicher Branchen kartellrechtlich eher unbedenklich sind, weil die Unternehmen zueinander regelmäßig in keinem aktuellen oder potentiellen Wettbewerbsverhältnis stehen, ist die Zulassung von Bietergemeinschaften unter branchenangehörigen Unternehmen problematisch. Zwischen den Unternehmen besteht oftmals ein aktueller, mindestens aber ein potentieller Wettbewerb, der durch die Abrede einer Bietergemeinschaft in der Regel eingeschränkt wird. Gleichwohl erachtet die Rechtsprechung Bietergemeinschaften zwischen branchenangehörigen Unternehmen für wettbewerbsunschädlich, sofern die beteiligten Unternehmen ein jedes für sich zu einer Teilnahme an der Ausschreibung mit einem eigenen (und selbstverständlich auch aussichtsreichen) Angebot auf Grund ihrer betrieblichen oder geschäftlichen Verhältnisse (z.B. mit Blick auf Kapazitäten, technische Einrichtungen und/oder fachliche Kenntnisse) nicht leistungsfähig sind, und erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft sie in die Lage versetzt, sich daran (mit Erfolgsaussicht) zu beteiligen, wobei die Zusammenarbeit als eine im Rahmen wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handelns liegende Unternehmensentscheidung zu erscheinen hat.“ ... „Die Antragsgegnerin hat nicht den Eindruck erweckt, Bietergemeinschaften, die zu einer Sortimentserweiterung eingegangen werden, würden von ihr per se oder grundsätzlich als unzulässig bewertet. ... Das Erfordernis eines einzelfallbezogenen Vortrags der Beteiligten bei Bietergemeinschaften zwischen branchenangehörigen Unternehmen, und zwar um eine gezielte kartellrechtliche Einzelfallprüfung zu ermöglichen, hat auch der Senat in den Beschlüssen vom 9. und 11. November 2011 (VII-Verg 35/11 und VII-Verg 92/11, jeweils a. E.) deutlich gemacht. .... Zwar kann es auf Grund einer Einzelfallprüfung solche Fälle geben, doch müssen diese sich unter die zweitgenannte Fallgruppe subsumieren lassen, für die kennzeichnend ist, dass aufgrund seiner betrieblichen oder geschäftlichen Verhältnisse keines der an der Bietergemeinschaft beteiligten Unternehmen mit einem erfolgversprechenden eigenen Angebot an der Ausschreibung teilnehmen kann. Dies trifft auf die ... Antragstellerin indes nicht zu. Ihr Portfolio deckt ... mehr als 99 % der nachgefragten Sortimentsbreite (Preisvergleichsgruppen) ab. Bei diesem Befund kann sich die Antragstellerin an Ausschreibungen der vorliegenden Art nicht zulässig in der Rechtsform einer Bietergemeinschaft beteiligen. Ihre Beteiligung an einer Bietergemeinschaft dient lediglich dem Zweck, durch Abdecken eines möglichst breiten Arzneimittel-Sortiments die Chancen der Bietergemeinschaft auf einen Zuschlag zu steigern. Darin liegt genauso wenig ein kartellrechtlich anerkennenswerter Grund wie in dem Motiv, mit Hilfe einer Bietergemeinschaft Synergiepotenziale oder -effekte zu realisieren ....“
Ausschluss als Einzelbieter und gleichzeitig als Subunternehmer eines weiteren Bieters - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 26.03.2014 - VK 2 - 19/14 - Instandsetzung von Getriebebaugruppen: „Die Vergabekammer weist insoweit vorsorglich auf folgendes hin: Das Kammergericht hat in einer jüngeren Entscheidung die Auffassung vertreten, dass das Eingehen einer Bietergemeinschaft ohne Weiteres den Tatbestand einer Abrede bzw. Vereinbarung im Sinne des § 1 GWB erfüllt (KG, Beschluss vom 24. Oktober 2013, Verg 11/13). Nach Auffassung des Kammergerichts ist allenfalls dann eine Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen, wenn die Mitglieder der Bietergemeinschaft zusammen einen nur unerheblichen Marktanteil haben oder wenn sie erst durch das Eingehen der Bietergemeinschaft in die Lage versetzt werden, ein Angebot abzugeben. Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein zum Ausschluss führender Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vorliegt, wenn ein Bieter nicht nur ein eigenes Angebot abgibt, sondern sich daneben auch als Mitglieder einer Bietergemeinschaft für dieselbe Leistung bewirbt, weil solche Angebote im Regelfall in Kenntnis des jeweils anderen abgegeben werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. November 2011, Verg 50/10). Vorliegend liegt zwar keine der genannten Konstellationen vor. Die Mehrfachbeteiligung der ASt besteht vielmehr darin, dass diese sowohl ein eigenes Angebot abgegeben hat als auch von einem anderen Bieter als Nachunternehmer benannt worden ist. Die Tatsache als solche, dass ein Bieter sich sowohl durch die Abgabe eines eigenen Angebots als auch als Subunternehmer eines anderen Bieters am Wettbewerb beteiligt, genügt für sich genommen zwar nicht, einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb anzunehmen, da der Regelfall sein dürfte, dass der Subunternehmer den Inhalt des Hauptangebots nicht kennt und daher sein eigenes Angebot in Unkenntnis des Konkurrenzhauptangebots erstellt. Bei dieser Konstellation müssen weitere Gesichtspunkte hinzukommen, um einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb annehmen zu müssen — der Ausschluss vom Wettbewerb ist eine scharfe Sanktion und bedarf daher einer abgesicherten Grundlage (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. September 2008, VK-SH 10/08, unter Hinweis auf OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Juni 2006, Verg 18/06). Solche zusätzlichen Begleitumstände, die einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb nahelegen würden, könnten vorliegend darin bestehen, dass die ASt als Subunternehmer zu 100 % die Leistung erbringen sollte; da sie die Konditionen kennt, die sie dem Hauptbieter offeriert hat, sind ihr jedenfalls wesentliche Grundlagen des Konkurrenzangebots zu ihrem eigenen Angebot bekannt. Ohne der ASt eine derartige Intention unterstellen zu wollen, kommt eine jedenfalls denkbare Interessenlage hinzu, angesichts des noch neuen Einzugs von Vergabewettbewerb bei Aufträgen aus dem Verteidigungs- und Sicherheitsbereich durch mehrfache Angebote die Angemessenheit der angebotenen Marktpreise (im Gegensatz zu den bisher üblichen Selbstkostenpreisen) vorzugaukeln. Insofern ist die Mehrfachbeteiligung trotz der grundsätzlichen Zulässigkeit der kumulativen direkten Teilnahme am Wettbewerb als Einzelbieter und der gleichzeitigen indirekten Teilnahme als Subunternehmer nicht unproblematisch. Ob diese Umstände hier ausreichen, einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb positiv zu bejahen und die ASt damit vom Wettbewerb auszuschließen, bedarf angesichts der fehlenden Entscheidungserheblichkeit aber keiner weiteren Aufklärung bzw. Entscheidung. ... .“
Teilweise Identität zweier Bietergemeinschaften und unzulässige Abgabe von Angeboten für mehrere Lose - Kammergericht Berlin, Beschl. v. 20.02.2014 - Verg 10/13 – „3. Der Senat hält an seiner Auffassung (vgl. Beschluss vom 24.10.2013, Verg 11/13) fest, dass die Vergabebestimmung "Angebote sind nur für ein separates Los [Los 1 oder Los 2] zulässig. Mehrfachangebote sind nicht zulässig" regelmäßig dahin auszulegen ist, dass die Bewerbung zweier Bietergemeinschaften jeweils auf das eine und auf das andere Los untersagt ist, wenn die Mitglieder der beiden Bietergemeinschaften zumindest teilweise identisch sind (Abgrenzung zu OLG Düsseldorf, vom 28.5.2003 - VII Verg 8/03).“
Zwei große Baukonzerne als Bietergemeinschaft - OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – Bildung der Bietergemeinschaft im vorliegenden Einzelfall: keine Gefahr unzulässiger Mehrfachangebote oder Verletzung des Geheimwettbewerbs. Mit Recht wurde auch angenommen, dass die Bildung einer Bietergemeinschaft aus den zwei größten Baukonzernen Europas für sich allein nicht für eine unzulässige Absprache ausreicht – so die Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 23.5.2014 – 1/SVK/011-14 – Hochwasserrückhaltebecken: „ .... die Bildung einer Bietergemeinschaft nur dann wettbewerbswidrig sein, wenn der Entschluss zur Mitgliedschaft für auch nur eines der beteiligten Unternehmen keine im Rahmen zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Handels liegende Entscheidung ist. Erweist sich die unternehmerische Entscheidung gegen eine Alleinbewerbung als nachvollziehbar, so ist bereits von der Zulässigkeit der Bietergemeinschaft auszugehen.“ Für sich gesehen ist die Größe der Baukonzerne mit „nicht nur unerheblichem Marktanteil“ unbedenklich, wenn sachliche Gründe für die Bietergemeinschaft anzutreffen sind: fehlende Referenzen der einzelnen Mitglieder für bestimmte Leistungen und damit eine vernünftige unternehmerische nachvollziehbare Entscheidung – keine Pflicht zur Kapazitätsausweitung (OLG Koblenz ZfBR 2005, 407, 619 = VergabeR 2005, 427).
7. Nachweise und Grenzen für Nachforderungen
Nachweise und Erklärungen dienen der Eignungsprognose (vgl. § 97 IV S. 1 GWB). Welche Nachweise etc. verlangt werden können, ist (abschließend?) in §§ 7 II, III EG VOL/A und § 6 III EG VOB/A geregelt.
Nachweise und Erklärungen (Eignung!) sind von den „zusätzlichen Anforderungen“ für die Auftragsausführung zu unterscheiden (vgl. § 97 IV S. 1 und S. 2 GWB). Entsprechende Erklärungen hinsichtlich der „zusätzlichen Anforderungen“ für die Auftragsausführung sind mit dem Angebot oder auf Anforderung abzugeben. Andernfalls droht Ausschluss nach § 19 III a EG VOL/A.
Durch die Änderung der §§ 19 II EG VOL/A bzw. 16 I Nr. 3 EG VOB/A entstanden neue Probleme (Ermessen hinsichtlich der Nachforderung bei fehlender Unterlage – keine Nachforderung bei Einreichen einer Erklärung, aber Aufklärung bei Unklarheiten nach §§ 15 EG VOL/A bzw. EG VOB/A).
Sofern Vorgaben wie die Abgabe mit Angebot in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen vorgesehen sind, führt dies zur Selbstbindung und bei fehlender rechtzeitiger Abgabe zum zwingenden Ausschluss.
Wenn die Vorlage von Nachweisen und Erklärungen auf Anforderung – also nicht mit dem Angebot –in der Bekanntmachung enthalten ist, müssen angeforderten die Nachweise innerhalb der Fristen vorlegt werden. Die unterlassene oder verspätete Vorlage führt zum zwingenden Ausschluss. Dadurch hat es der Bieter gewissermaßen auch „in der Hand“, die Bindung an das Angebot „aufzuheben“. Ob darin eine Pflichtverletzung (Schadensersatz) liegt, ist rechtstheoretisch denkbar.
Fehlt eine Nachweisleiste nach §§ 8 III VOL/A, 9 IV EG VOL/A, so soll der Auftraggeber zur Nachforderung verpflichtet sein.
Entscheidungen:
EuGH, Urt. v. 10. 10. 2013 – C-336/12 – Manova
EuGH, Urt. v. 6.11.2014 – C-42/13 – Cartiera dell’Adda
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2014 – VII-Verg 39/14 – Interferon - ILO-Kernarbeitsnormen und Förderung von Beruf und Familie
OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – Abschleppdienst
OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.01.2014 - Verg W 2/14 – Netzersatzanlagen für BOS-Digitalfunk
OLG Schleswig, Beschl. v. 15.4.2014 - 1 Verg 4/13 – Rettungsdienstfahrzeuge – Nachweisliste
Einzelfragen:
Fehlende Nachweisliste - OLG Schleswig, Beschl. v. 15.4.2014 - 1 Verg 4/13 – Rettungsdienstfahrzeuge – fehlende Nachweisliste - Nachforderung fehlender Nachweise nach § 19 Abs. 2 Satz 1 EG VOL/A eine Ermessensentscheidung (Gleichbehandlungsgrundsatz) – „Die ins Ermessen gestellte Möglichkeit der Vergabestelle, auf unvollständige Nachweise durch eine - mit Fristsetzung versehene - Nachforderung zu reagieren, begründet eine primäre Obliegenheit der Vergabestelle zur ordnungsgemäßen Ausübung dieses Ermessens (vgl. VK Lüneburg, Beschl. v. 03.02.2014, VgK-48/2013). Indem - anders als nach der bis 2009 geltenden Rechtslage (§ 25 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A 2006) - der Angebotsausschluss nicht mehr im Ermessen steht, sondern gem. § 19 Abs. 3 lit. a EG VOL/A zwingende Rechtsfolge bei fehlenden geforderten oder nachgeforderten Nachweisen ist, hat sich das diesbezügliche Ermessen der Vergabestelle in das "Vorfeld" der Ausschlussentscheidung verlagert, indem es bei der Entscheidung über die Nachforderung von Erklärungen und Nachweisen gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 EG VOL/A auszuüben ist. Ob die Vergabestelle ihr Nachforderungsermessen auch vorab - pauschal - binden kann, indem sie in den Vergabeunterlagen erklärt, generell von einer Nachforderung abzusehen (vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v. 14.01.2014, 13 Verg 11/13) bedarf hier keiner Entscheidung, weil die Beschwerdegegner eine solche Vorabbindung nicht statuiert haben. Allgemeine Vorgaben für die Ermessenausübung folgen aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot; die Bieter dürfen durch eine Nachforderung nicht ungerechtfertigt begünstigt oder benachteiligt und müssen gleich und fair behandelt werden (vgl. EuGH, Urt. v. 29.03.2012, C-599/10, NZBau 2012, 376 [Rn. 45]). Besteht im Zusammenhang mit einer Nachforderung weder die Gefahr einer Angebotsmanipulation noch die Möglichkeit einer nachträglichen Wettbewerbsverschiebung, kann sich die Vergabestelle im Interesse einer möglichst sicheren und wirtschaftlichen Beschaffung grundsätzlich für eine Nachforderung entscheiden. Hat die Vergabestelle, wie hier, davon abgesehen, die von den Bietern verlangten Nachweise in einer "abschließenden Liste" zusammenzustellen (§ 9 Abs. 4 EG VOL/A), darf sie ein unvollständiges Angebot erst dann ausschließen, wenn sie die fehlende Unterlage nachgefordert hat (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.07.2013, VII-Verg 10/13, IBR 2014, 104).
Nachforderungsvoraussetzungen - richtungsweisende Entscheidung des EuGH, Urt. v. 10. 10. 2013 – C-336/12 – Manova – Grenzen der Zulässigkeit von Nachforderungen (Bilanzvorlage) – Beachtung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot – Prüfungsfolge bei fehlendem Einreichen der geforderten Bilanzen: – 1. Verhandlungsverbot - 2. Verbot der Änderung des Angebots – 3. unzulässiges Verlangen von Erläuterungen bei „ungenauem“ oder von technischen Spezifikationen abweichendem Angebot – 4. Zulässigkeit der Ergänzung oder Berichtigung wegen offensichtlich gebotener bloßer Klarstellung oder zur Behebung offensichtlicher sachlicher Fehler unter den Voraussetzungen: 3.1. Erläuterung des Angebots erst nach Kenntnis aller Angebote – 3.2. Verlangen der Erklärung an alle Bieter in gleicher Weise „in derselben Situation – 3.3. Erstrecken der Erläuterung auf alle Punkte des Angebots – 3.4. Ergebnis der Erläuterung kein neues Angebot „in Wirklichkeit“ – 3.5. Ermessensausübung gleich und fair und ohne „Eindruck“ der ungerechtfertigten Benachteiligung“ oder „Begünstigung“ – Ausnahme immer bei „Selbstbindung“ durch Vorgabe des Vorlagezeitpunkts (mit Angebot) – Entscheidung im Einzelfall: Vorlage bereits vor Ablauf der Angebotsfrist bereits vorliegender und veröffentlichter Bilanz.“
Selbstbindung bei zwingender Vorgabe in den Vergabeunterlagen - EuGH, Urt. v. 6.11.2014 – C-42/13 – Cartiera dell’Adda - Papier- und Pappkarton-Entsorgung gegen höchsten Preis – ZulässigkeitsfraAusschluss wegen Nichtvorlage einer mit dem Angebot geforderten Erklärung (keine rechtskräftige Verurteilung) – Selbstbindung und zwingender Ausschluss (wie EuGH-Urteil Manova, C‑336/12) – Bindung an das Verlangen von Nachweisen etc. auch bei Dienstleistungskonzession und „grenzüberschreitendem Interesse“ nach den Grundregeln des AEU-Vertrags, insbesondere der Gleichbehandlung und der Transparenz: Der Auftraggeber ist verpflichtet, „die von ihm selbst festgelegten Kriterien zu beachten, so dass dieser von einem Vergabeverfahren einen Wirtschaftsteilnehmer ausschließen muss, der ein Dokument oder eine Information, die nach den Ausschreibungsunterlagen unter Androhung des Ausschlusses bei Nichtvorlage beizubringen sind, nicht übermittelt hat.“ – Dem gemäß können fehlende Erklärungen nicht nachgefordert oder nachgebessert werden – der Ausschluss ist bei entsprechender Vorgabe in den Vergabeunterlagen (Selbstbindung) zwingend.
Nachforderungsermessen - Vergabekammer Bremen, Beschl. v. 20.03.2014 - 16 - VK 1 / 14 - Hüttenhafen – Kajenneubau – SektVO – keine zwingende Pflicht zur Nachforderung, sondern Ermessen - „Dies kann vor dem Hintergrund, dass ein Auftraggeber ansonsten je nach Anzahl der Angebote und Anzahl der jeweils fehlenden Erklärungen und Nachweise unter Umständen zu einem nicht mehr vertretbaren Nachforderungsaufwand gezwungen wäre, auch nicht Sinn und Zweck der Vorschrift sein. Zudem ist vorliegend diskriminierungsfrei auch bei anderen Bietern auf die Nachforderung von fehlenden Unterlagen verzichtet worden, so dass auch insoweit im vorliegenden Einzelfall keine Pflicht zur Nachforderung bei der Antragstellerin entstanden ist. Auch sind ansonsten kein Anhaltspunkte für eine Diskriminierung der Antragstellerin gegenüber den übrigen Bietern oder für sachfremde Erwägungen der AG erkennbar.“ (VK Bund, Beschluss vom 8. Juli 2011 - VK 1-75/11).“
Zur Abgrenzung von Eignungsnachweisen und besonderen Anforderungen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2014 – VII-Verg 39/14 – Interferon - ILO-Kernarbeitsnormen und Förderung von Beruf und Familie als „besondere Anforderungen“ für die Ausführung des Auftrags – sachlicher Zusammenhang – aus der Entscheidung: „Die Forderung der Abgabe von Verpflichtungserklärungen gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 TVgG NRW zu den ILO-Kernarbeitsnormen in den Anlagen 12 und 12a der Bewerbungsbedingungen sowie zur Förderung von Beruf und Familie gemäß §§ 19 TVgG, 16 ff. RVO TVgG NRW in Anlage 12b der Bewerbungsbedingungen war als Nachweis zur persönlichen Lage des Bieters vergaberechtswidrig. ... Art. 45 Abs. 2 Richtlinie 2004/18/EG (Art. 57, 60 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2014/24/EU), dem im nationalen Vergaberecht die §§ 7 Abs. 7, 6 Abs. 6 VOL/A EG entsprechen, betrifft die allgemeine Eignung des Bieters und zählt die Ausschlussgründe wegen fehlender Unzuverlässigkeit abschließend auf. Die Richtlinie 2014/24/EU ist am 17.04.2014 in Kraft getreten und hat die Richtlinie 2004/18/EG abgelöst. Nachweise zur persönlichen Lage des Bieters können nur in der in Art. 45 Abs. 3 Richtlinie 2004/18/EG (Art. 60 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2014/24/EU) abschließend aufgeführten Art und Weise gefordert werden.... Entgegen der vergaberechtlichen Einordnung der nach §§ 18, 19 TVgG, 14, 16 ff. RVO NRW geforderten Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen sowie zur Förderung von Beruf und Familie durch die Antragsgegnerin zu 1 in die Phase der Eignungsprüfung, handelt es sich um zusätzliche Bedingungen (Anforderungen) an die Auftragsausführung im Sinn von § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB (Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG i.V.m. Erwägungsgrund 33 sowie Art. 70 Richtlinie 2014/24/EU i.V.m. Erwägungsgrund 98 UA 2). Zusätzliche Bedingungen zur Auftragsausführung sind Vertragsbedingungen, zu deren Einhaltung sich der Bieter nicht nur vertraglich bei der späteren Auftragsausführung, sondern verbindlich bereits im Vergabeverfahren durch Abgabe entsprechender Erklärungen verpflichtet. Verweigert er die Abgabe der geforderten Erklärung, ist sein Angebot nach §§ 16 Abs. 3, 19 Abs. 3 lit. a VOL/A EG von der Vergabe auszuschließen. Gibt er eine unrichtige Erklärung ab oder hält er eine abgegebene Erklärung später nicht ein, kann dies in zukünftigen Vergabeverfahren einen Ausschluss vom Vergabeverfahren wegen mangelnder Eignung nach sich ziehen (vgl. dazu auch Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 GWB, Rnr. 143 m.w.N.). Bei öffentlichen Lieferaufträgen (und Dienstleistungsaufträgen) liegen die Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB und von Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG (Art. 70 Richtlinie 2014/24/EU) für die Forderung der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen durch den öffentlichen Auftraggeber vor, weil sie den Prozess der Lieferung (oder Leistung) betreffen und einen sachlichen Zusammenhang zum Auftragsgegenstand aufweisen. Vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.2014 - VII - Verg 28/13 – Interferon – ILO-Kernarbeitsnormen.
Nachweis – technische Leistungsfähigkeit – OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – Abschleppdienst –– Nachweis der „technischen Leistungsfähigkeit“ insofern unzulässig (Aufzählung der Nachweise in § 7 III EG VOL/A abschließend) – allerdings als „Bedingung für die Auftragsausführung“ zulässig – Verlangen der Nachweise umweltfreundlicher Fahrzeuge vor Erteilung des Zuschlags unzulässig (Ausrüstung muss erst bei Beginn der Ausführung zu Verfügung stellen, zulässig lediglich Verpflichtungserklärungen über die Einhaltung der Anforderungen im Fall des Zuschlags)
Abschließende Aufzählung der Nachweise in § 7 III EG VOL/A – OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – Abschleppdienst - – Nachweis der „technischen Leistungsfähigkeit“ insofern unzulässig (Aufzählung der Nachweise in § 7 III EG VOL/A abschließend) – allerdings als „Bedingung für die Auftragsausführung“ zulässig – Verlangen der Nachweise umweltfreundlicher Fahrzeuge vor Erteilung des Zuschlags unzulässig (Ausrüstung muss erst bei Beginn der Ausführung zur Verfügung stehen), zulässig lediglich Verpflichtungserklärungen über die Einhaltung der Anforderungen im Fall des Zuschlags
Nachweise – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.2014 - VII - Verg 28/13 – Interferon – ILO-Kernarbeitsnormen – TVG NRW - § 18 TVgG - NRW, § 97 Abs. 4 S. 2 GWB, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, Art. 72 Abs. 1 GG, Art. 70 GG – amtliche Leitsätze: 1. Das Fordern von Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen gemäß § 18 TVgG NRW als Nachweis der beruflichen (technischen) Leistungsfähigkeit von Bietern verstößt ebenso gegen Vergaberecht, wie das Fordern als Nachweis zur persönlichen Lage eines Bieters. Die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen stellt keine allgemeine Anforderung an die Unternehmen dar. 2. Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen gemäß § 18 TVgG NRW können vom öffentlichen Auftraggeber als zusätzliche Anforderungen (Bedingungen) an die Auftragsausführung gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB verlangt werden. 3. Bei öffentlichen Lieferaufträgen (und Dienstleistungsaufträgen) liegen die Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB und von Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG für die Forderung der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen durch den öffentlichen Auftraggeber vor, weil sie den Prozess der Lieferung (oder Leistung) betreffen und einen sachlichen Zusammenhang zum Auftragsgegenstand aufweisen. 4. Beim Erlass des § 18 TVgG NRW, hat der Landesgesetzgeber die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes nicht verletzt. 5. Die Verpflichtungserklärung gemäß § 18 TVgG NRW stellt, soweit sie im Hinblick auf Nachunternehmer verlangt wird, keinen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
Keine Nachforderung bei unvollständiger, inhaltlich abweichender Eigenerklärung OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.01.2014 - Verg W 2/14 – Netzersatzanlagen für BOS-Digitalfunk - unterbrechungsfreie Stromversorgungen auf Basis der Brennstoffzellentechnologie – Angebot mit Wirkungsgrad exakt 90 %, gefordert „Wirkungsgrad von > 90 %“ – weiterer Ausschlussgrund: unvollständige Eigenerklärung des Nachunternehmers („Nicht relevant“) – Unvollständigkeit entgegen § 13 Abs. 1 Ziffer 4 VOB/A-EG - Eigenerklärung nicht mit dem geforderten Inhalt, sondern mit einem anderen Inhalt - Ausschluss nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EG - Keine Nachforderung nach § 16 Abs. 1 Ziffer 3 VOB/A-EG (kein Fehlen der Erklärung etc.)
8. Nebenangebote, technische Spezifikationen und Abänderung der Vergabeunterlagen
Nebenangebote bedürfen der ausdrücklichen Zulassung. Enthalten die Vergabeunterlagen hierzu keine Angaben, so sind keine Nebenangebote zugelassen (§§ 8 IV VOL/A, 9 V EG VOL/A).
Oberhalb der Schwellenwerte sind die Mindestanforderungen in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen anzugeben – nicht unterhalb der Schwellenwerte (vgl. §§ 8 IV VOL/A und 9 V EG VOL/A).
Die Mindestanforderungen müssen für die Bewerber/Bieter ausreichende Spielräume zulassen. Oberhalb der Schwellenwerte dürfen Nebenangebot nur zugelassen werden, wenn das Wertungskriterium „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ vorgesehen ist – nicht sofern nur Preis).
Bei Festlegung von „Technischen Spezifikationen“ in Form von Leistungs- und Funktionsanforderungen dürfen „normentsprechende“ Angebote nicht zurückgewiesen werden (vgl. § 16 VI VOB/A). Insofern liegen keine Nebenangebote vor.
Nicht zugelassene Angebote und die Vergabeunterlagen abändernde Angebote sind auszuschließen.
Entscheidungen:
OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.01.2014 - Verg W 2/14 – Netzersatzanlagen für BOS-Digitalfunk
BGH, Beschl. v. 07. 01.2014 - X ZB 15/13 - Straßenbahntrasse Gera.
Conrad, Sebastian, Alte und neue Fragen zu Nebenangeboten, ZfBR 2014, 342
Kirch, Thomas; Weg mit alten Zöpfen: Die Wertung von Nebenangeboten, NZBau 2014, 212
Leinemann, Eva-Dorothee/Kirch, Thomas, Neues zur Wertung von Nebenangeboten, Vergabe News 2014, 38
Luber, Hermann, Das Aussterben der Nebenangebote bei der Bauvertragsvergabe und der daraus resultierende volkswirtschaftliche Schaden, ZfBR 2014, 448
Einzelfragen:
Ausschluss von Nebenangeboten – OLG Brandenburg, Beschl. v. 30.01.2014 - Verg W 2/14 – Netzersatzanlagen für BOS-Digitalfunk - unterbrechungsfreien Stromversorgungen auf Basis der Brennstoffzellentechnologie – Angebot mit Wirkungsgrad exakt 90 %, gefordert „Wirkungsgrad von > 90 %“ – Abweichung und zwingender Ausschluss nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 5, § 13 Abs. 2, 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EG wegen Abänderung der Vergabeunterlagen – keine Abweichung von technischer Spezifikation („Technische Spezifikationen sind technische Regelwerte, Normen oder allgemeine Eigenschafts- oder Funktionsbeschreibungen (vgl. Ziffer 1 der Anlage TS zur VOB/A-EG), nicht jedoch die individuell auf das konkrete Bauvorhaben bezogenen technischen Angaben (vgl. OLG München, NZBau 2008, 794 ... ; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, 188 ...).“ – Angebot auch infolge der Abweichung kalkulatorisch nicht vergleichbar- Änderung der Vergabeunterlagen – zwingender Ausschluss nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A-EG i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG – keine Wertung als Nebenangebot: „Dabei kommt es nicht einmal entscheidend darauf an, dass die nach § 13 Abs. 3 Satz 2 VOB/A-EG geforderte Form der Einreichung auf besonderer Anlage und deutlicher Kennzeichnung als Nebenangebot fehlt (vgl. dazu OLG Koblenz, IBR 2013, 764 ... ). Die Annahme eines Nebenangebotes setzt begriffsnotwendig voraus, dass der Bieter eine eigenständige Lösung erarbeitet hat. Daran fehlt es....“
Mindestanforderungen für Nebenangebote – Preis als alleiniges Wertungskriterium – BGH, Beschl. v. 07. 01.2014 - X ZB 15/13 - Straßenbahntrasse Gera – Preis als alleiniges Kriterium und Zulassung von Nebenangeboten (verneint) - §§ 8 I, 20 I, II, 29 SektVO, §§ 8 II Nr. 3 b), 16 II, VI § 16 Abs. 2 VOB/A-EG, §§ 97 II, V GWB - Leitsätze: 1. a) Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis alleiniges Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden. b) Die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen brauchen im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung zu erfassen, sondern dürfen Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und sich darauf beschränken, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmalezu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss. c) Die vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten, die es ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technisch-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen.
Conrad, Sebastian, Alte und neue Fragen zu Nebenangeboten, ZfBR 2014, 342
Kirch, Thomas; Weg mit alten Zöpfen: Die Wertung von Nebenangeboten, NZBau 2014, 212
Leinemann, Eva-Dorothee/Kirch, Thomas, Neues zur Wertung von Nebenangeboten, Vergabe News 2014, 38
9. Preisprüfung, Aufgreifschwelle
Nach §§ 16 VI Nr. 2 VOB/A, 16 VI VOL/A, 19 VI EG VOL/A sind “ungewöhnlich niedrige Angebote” aufzuklären.
Strittig ist, ob die genannten Vorschriften zugunsten des Bieters auf Rang zwei „bieterschützend“ sind oder lediglich den Auftraggeber vor „Hassardeurangeboten“ etc. schützen sollen. Ausnahmsweise soll § 19 Abs. 6 EG VOL/A jedenfalls dann bieterschützend sein, nämlich bei Verdrängungsabsicht oder dann, wenn der Auftrag infolge des Unterkostenangebots nicht vertragsgerecht ausgeführt werden „könnte“. In diesen Fällen ist dem unterlegenen Bieter „zumindest“ ein Anspruch auf Prüfung gegenüber dem Auftraggeber zuzubilligen. Grundsätzlich soll aber dem unterlegenen Bieter kein Anspruch auf Preisprüfung zustehen. Das ist kritisch zu sehen.
Entschieden hat sich die Rechtsprechung für eine „Aufgreifschwelle“ von ca. 15 – 20 % Preisabstand zum Bieter auf Rang zwei, ohne einen bestimmten Prozentsatz festzulegen. Bei Nichterreichen von 10 % ist die „Aufgreifschwelle wird regelmäßig nicht erreicht. Ist die Aufgreifschwelle von ca. 15 % erreicht, so ist der Auftraggeber zur Preisprüfung „berechtigt und verpflichtet“.
Teilweise sind Unklarheiten anzutreffen (Preisprüfungsergebnis und „Eignung“, Missverhältnis als unbestimmter Rechtsbegriff, kein Beurteilungsspielraum?).
Unterkostenangebote („unauskömmlich“) sind nicht per se unzulässig, wenn wettbewerbsrechtlich zulässige Ziele verfolgt werden (Kapazitätsauslastung, Marktzutrittspreis, Erwirtschaftung von Deckungsbeiträgen, anders bei Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb).
Der betroffene Bieter hat bei der Preisaufklärung seine Mitwirkungspflicht zu erfüllen.
Entscheidungen:OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13 - Reinigungsarbeiten
Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 07.03.2014 - 1/SVK/048 – 13 – Rettungsdienste
Städler, Michael, Der Umgang mit anfechtbaren Angeboten und Praxisfragen der dritten Wertungsstufe, NZBau 2014, 472
Einzelfragen: Aufgreifschwelle von 15 – 20 % – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13 - Reinigungsarbeiten - § 19 VI VOL/A-EG – vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.02.2014 - VII - Verg 41/13 - Ansätze für die Preisprüfung: Aufgreifschwelle nach der Rechtsprechung (20 % - iger Abstand zum nächstniedrigen Angebot: OLG Jena, Beschluss vom 26. Oktober 1999 - 6 Verg 3/99; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30. März 2004 - 11 Verg 4/04; OLG Celle, Beschluss vom 17.November 2011 - 13 Verg 6/11; OLG Düsseldorf, z.B. Beschluss vom 23. März 2005 - VII-Verg 77/04; Beschluss vom 25. April 2012 - VII-Verg 61/11;10-%-prozentiger Preisabstand als Aufgreifschwelle: OLG München, VergabeR 2006, 802, 807; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19. Oktober 2010 - Verg W 13/10; Beschluss vom 22. März 2011 - Verg W 18/10 - OLG München im Beschluss vom 7. März 2013 - Verg 36/12: 20 %) – „ Ohnedies empfiehlt sich, keine allzu niedrige Aufgreifschwelle anzusetzen, die dem geforderten Kontrollmaß (einem Missverhältnis zwischen Preis und Leistung) möglicherweise nicht entspricht. Im Allgemeinen sind Angebote, die das nächstniedrige Angebot um lediglich 10 % unterschreiten, noch nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig und bringt ein solcher Preisabstand noch nicht ohne Weiteres ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung zum Ausdruck. Dies kann dafür sprechen, den Auftraggeber erst ab einem Preisabstand von zehn bis 20 Prozent oder von 20 % an intervenieren zu lassen. Einer exakten Festlegung bedarf es nicht.“ Prüfungsrecht und –pflicht - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13 - Reinigungsarbeiten - Dem Auftraggeber ist für die Intervention, d.h. für das Einleiten eines Prüfungsverfahrens nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG, ein Entscheidungsspielraum zuzuerkennen, dessen Ausübung - praktisch wie eine Ermessensprüfung - von den Vergabenachprüfungsinstanzen lediglich darauf zu kontrollieren ist, ob er einen gemäß den Tatumständen nachvollziehbaren, vertretbaren und nicht willkürlichen Ermittlungsansatz gewählt hat. Die Vergabenachprüfungsinstanzen haben dem öffentlichen Auftraggeber nicht vorzuschreiben, wann und aufgrund welcher Kriterien er in eine Preisprüfung nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG eintreten darf. Ist die von ihm beanstandungsfrei für maßgebend und angemessen erachtete Interventionsschwelle erreicht, ist der öffentliche Auftraggeber nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG verpflichtet und berechtigt, in einem Zwischenverfahren eine Preisprüfung vorzunehmen, vom betreffenden Bieter Aufklärung über die Preise, und zwar auch über Einzelpreise, zu verlangen und ihm Gelegenheit zu geben, die Seriosität des Angebots darzulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. November 2001 - C-285/99 und 286/99, Rn. 45 ff., 53). Dabei trifft den Bieter ... eine Mitwirkungsobliegenheit (prozessual eine sog. sekundäre Darlegungslast). Ein schematischer Angebotsausschluss allein wegen Erreichens eines bestimmten Preisabstands ist ausgeschlossen. Im Streitfall Unterschreitung der Angebote für die Lose um mehr als 23 %, um knapp 20 % und um gut 16 % - „Dass die Antragsgegnerin dies zum Anlass für eine Preisprüfung genommen hat, ist nicht zu kritisieren.“
Fehlen eines konkreten Prozentsatzes für Aufgreifschwelle - Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 07.03.2014 - 1/SVK/048 – 13 – Rettungsdienste – „Im Allgemeinen sind Angebote, die das nächstniedrige Angebot um lediglich 10 % unterschreiten, noch nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig und bringt ein solcher Preisabstand noch nicht ohne Weiteres ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung zum Ausdruck. Dies kann dafür sprechen, den Auftraggeber erst ab einem Preisabstand von zehn bis 20 Prozent oder von 20 % an intervenieren zu lassen. Einer exakten Festlegung bedarf es nicht. Dem Auftraggeber ist für die Intervention, d.h. für das Einleiten eines Prüfungsverfahrens nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG, ein Entscheidungsspielraum zuzuerkennen, dessen Ausübung - praktisch wie eine Ermessensprüfung - von den Vergabenachprüfungsinstanzen lediglich darauf zu kontrollieren ist, ob er einen gemäß den Tatumständen nachvollziehbaren, vertretbaren und nicht willkürlichen Ermittlungsansatz gewählt hat. Die Vergabenachprüfungsinstanzen haben dem öffentlichen Auftraggeber nicht vorzuschreiben, wann und aufgrund welcher Kriterien er in eine Preisprüfung nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG eintreten darf. Ist die von ihm beanstandungsfrei für maßgebend und angemessen erachtete Interventionsschwelle erreicht, ist der öffentliche Auftraggeber nach § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG verpflichtet und berechtigt, in einem Zwischenverfahren eine Preisprüfung vorzunehmen, vom betreffenden Bieter Aufklärung über die Preise, und zwar auch über Einzelpreise, zu verlangen und ihm Gelegenheit zu geben, die Seriosität des Angebots darzulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. November 2001 - C-285/99 und 286/99, Rn. 45 ff., 53). ... Ein schematischer Angebotsausschluss allein wegen Erreichens eines bestimmten Preisabstands ist ausgeschlossen. Im Streitfall Unterschreitung der Angebote für die Lose um mehr als 23 %, um knapp 20 % und um gut 16 % - „Dass die Antragsgegnerin dies zum Anlass für eine Preisprüfung genommen hat, ist nicht zu kritisieren. Die Preisprüfung hat sich gleichfalls auf die Auskömmlichkeit der Angebotspreise zu erstrecken, mit anderen Worten darauf, ob diese kostendeckend sind, wobei letztlich der Angebotsendpreis maßgebend ist.“
Mitwirkungspflichten des Bieters - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 18.12.2014 - VK 2 - 103/14 – Unterstützung bei Forderungseinzug und Vollstreckungs-/Insolvenzbearbeitung - § 19 EG Abs. 6 VOL/A – ungewöhnlich niedriger Preis – konkretes Aufklärungsverlangen – Ausschluss bei nicht ausreichender Mitwirkung des Auftragnehmers - Aufklärungsbedürftigkeit des von der ASt angebotenen Preises (vgl. zur Aufklärungspflicht: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 29. März 2012 - C-599/10- Abstand zu den anderen Bietern ca. 40 – 50 % - Aufklärungspflicht des Bieters – „Es ist in dieser Aufklärungssituation grundsätzlich Sache des Bieters, bestehende Zweifel an der Auskömmlichkeit seines Angebotes zu entkräften (vgl. 2. VK Bund, Beschluss vom 15. Oktober 2014, VK 2 - 83/14). Im Rahmen des in § 19 EG Abs. 6 Satz 1 VOL/A vorgegebenen Aufklärungsverlangens ist die Antragsgegnerin weder verpflichtet noch berechtigt, konkrete Anforderungen für eine erfolgreiche Aufklärung anzugeben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Oktober 2012, VII-Verg 17/12). Jedoch ist ein Auftraggeber gehalten, seine Zweifel zu konkretisieren und die vom betroffenen Bieter abzugebenden Erklärungen/ggf. Nachweise zur Wahrung der Transparenz und der Gleichbehandlung unter dem Gesichtspunkt vergleichbarer Maßstäbe zu verbalisieren. Die Ag hat in diesem Sinne ein konkretes Aufklärungsverlangen an die ASt gerichtet, indem sie von ihr die nachvollziehbare Darlegung einer auskömmlichen Kalkulation unter Offenlegung der Preis- und Personalkalkulation erbeten hat. Zusätzlich sollte die ASt sachliche Gründe benennen, die den angebotenen Preis nachvollziehbar begründen. ... Diesen Anforderungen der Antragsgegnerin wird die von der Antragstellerin eingereichte Erklärung vom 31. Oktober 2014 nicht (vollständig) gerecht: Die Antragstellerin hat keine - wie gefordert -sachlichen Gründe zur Rechtfertigung ihres niedrigen Preises angeführt, sondern vielmehr diesen weiter verunklart. Die von ihr vorgelegte Preis- und Personalkalkulation belegt im Ergebnis somit keine auskömmliche Kalkulation.“ – weiterführende Begründung im Einzelfall -
Bieterschützender Charakter der §§ 16 VI Nr. 2 VOB/A, 16 VI VOL/A, 19 VI EG VOL/A - Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 07.03.2014 - 1/SVK/048 – 13 – Rettungsdienste -„Eine bieterschützende Wirkung wird § 19 EG Abs. 6 VOL/A in der Regel nicht beigemessen, was zur Folge hätte, dass ein Antragsteller den Zuschlag auf ein Unterkostenangebot nicht mit einem Nachprüfungsantrag verhindern kann (OLG Jena, B. v. 5. Juni 2009 -9 Verg 5/09; OLG Koblenz, B. v. 15. Oktober 2009 -1 Verg 9/09, OLG Düsseldorf, B. v. 11.02.2009 - VII-Verg 69/08). Nur ausnahmsweise soll aber § 19 EG Abs. 6 VOL/A bieterschützende Wirkung dann entfalten können, wenn ein Unterpreisangebot mit Verdrängungsabsicht vorliegt, oder der Bieter im konkreten Einzelfall durch das Unterkostenangebot in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnte, so dass er den Auftrag nicht vertragsgerecht ausführen könnte (OLG Düsseldorf, B. v. 28. September 2006 -VII -Verg 49/06). Davon ausgehend ist einem unterlegenen Bieter zumindest ein Anspruch auf Prüfung gegenüber dem Auftraggeber zuzubilligen, um beurteilen zu können, ob ein Fall des rechtswidrigen Unterkostenangebotes mit Verdrängungsabsicht vorliegt (VK Sachsen, B. v. 23.11.2012 - 1/SVK/034-12; VK Sachsen, B. vom 17. 11. 2011 - 1/SVK/042-11).“ - Preis des Bieters im Verhältnis zur zu erbringenden Leistung nicht ungewöhnlich niedrig (so bspw. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.06.2010, 15 Verg 4/10; OLG München, B. v. 21.05.2010, Verg 02/10), war vorliegend bereits festzustellen, dass das Angebot der Beigeladenen von dem zweitplatzierten Angebot der Antragstellerin schon deutlich weniger als ca.10-15 % abwich. ... Insoweit war also auf der ersten Stufe der Auskömmlichkeitsprüfung bereits kein Anlass gegeben, in eine Prüfung der Preise einzusteigen.“
Kriterien für die Preisprüfung als unbestimmte Rechtsbegriffe, kein Beurteilungsspielraum - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13 – „Die vorgeschriebene Prüfung ist von der Antragsgegnerin - jedenfalls in einem formalen Sinn - durchgeführt worden. c) Bei der Entscheidung der Frage, ob das Angebot ungewöhnlich oder unangemessen niedrig ist und ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung vorliegt, kommt dem öffentlichen Auftraggeber im Rechtssinn kein Beurteilungsspielraum zu (so missverständlich die Vergabekammer, VKB 12 - nur vermeintlich im Anschluss an OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2013 - Verg W 18/10, Rn. 53). Die genannten Prüfungskriterien stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar. Unbestimmte Rechtsbegriffe lassen nur eine richtige Deutung zu, unter die der Sachverhalt zu subsumieren ist (insoweit hat das OLG Brandenburg nicht anders entschieden; einen Beurteilungsspielraum hat es dem Auftraggeber mit Recht lediglich bei der Prognoseentscheidung zugesprochen, ob der betreffende Bieter zum angebotenen Preis voraussichtlich zuverlässig und vertragsgerecht leisten kann). ... Die Entscheidung darüber - methodisch ein Wiederaufgreifen der Eignungsprüfung wegen nachträglich hervorgetretener Bedenken - hat der Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse zu prognostizieren, wobei er einen dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlichen Wertungsspielraum hat (so auch OLG Brandenburg a.a.O.). Auf gesicherte Tatsachengrundlagen gegründete Zweifel des Auftraggebers an der Zuverlässigkeit lassen eine Eignung entfallen.“
Mitwirkungspflicht des Bieters bei Preisaufklärung - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13 - Reinigungsarbeiten – „Dabei trifft den Bieter ... eine Mitwirkungsobliegenheit (prozessual eine sog. sekundäre Darlegungslast).- – ordnungsgemäße Mitwirkung des Bieters an Prüfung (Beantwortung aller gestellten Fragen u. a. nach Anzahl der Mitarbeiter pro Tag und Losen, Arbeitsorganisation, Angemessenheit der Preise, Leistungsfähigkeit für die gesamte Dauer der Auftragsausführung, Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen, Erläuterung der Kalkulationsmethode, Beifügen tabellarischer Erläuterungen zum LV, Leistung pro Stunde, Leistungswerte, Einsatz von Vorarbeitern und Objektleitung, Kalkulation – „Daraus ergeben sich angenommene Leistungswerte (Leistungsmaße) pro Reinigungskraft von 395 m2/Std. bei Los 1, 311 m2/Std. bei Los 1a und 340 m2/Std. bei Los 2, deren Zustandekommen die Antragstellerin nachvollziehbar erklärt hat.“
Unterkostenangebote – Marktzutrittspreis – freie Kapazitäten – Erzielung von Deckungsbeiträgen - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13 - Reinigungsarbeiten - „Unterkostenangebote führen wiederum zu keinem Per-se-Ausschluss. Der Auftraggeber ist im Prinzip nicht gehindert, auch Unterkostenangebote anzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Mai 2011 - VII-Verg 45/11). ... Ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung ist zu verneinen, sofern - das betreffende Angebot tatsächlich auskömmlich (kein Unterkostenangebot) ist (z.B. aber effektivere Dienstleistungs- oder Produktionsverfahren anwendet, eine geringere Gewinnmarge als andere Angebote oder keinen Gewinn in Ansatz bringt, dies aus welchen Gründen auch immer, z.B. um Zugang zu einem Markt oder zu einem bestimmten Auftraggeber zu erlangen), - oder das Angebot zwar unauskömmlich (ein Unterkostenangebot) ist, der betreffende Bieter mit der Preisgestaltung aber wettbewerbskonforme Ziele verfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2001 - 1 StR 586/00; OLG Dresden, Beschluss vom 6. Juni 2002 - WVerg 5/02; dazu zählt zum Beispiel das Bestreben, auf einem bislang nicht zugänglichen Markt oder bei einem bestimmten Auftraggeber mit einem Angebot Fuß zu fassen oder in prekärer Unternehmenslage einen Deckungsbeitrag zu den Gemeinkosten zu erzielen), und der Bieter trotz Unauskömmlichkeit die Zuverlässigkeit nachweisen kann, den Auftrag (bis zu einer längstmöglichen vertraglichen Befristung) ordnungsgemäß auszuführen.“
10. In-house-Vergabe
In-house-Vergaben unterfallen nicht dem Vergaberecht.
Eine In-house-Vergabe liegt bei der Beauftragung „einer eigenen Dienststelle“ vor. Ferner dann, wenn eine juristische Person betroffen ist, an der etwa eine Stadt alleiniger Gesellschafter ist.
Keine In-house-Vergaben sind betroffen, wenn z. B. an der GmbH der öffentliche Auftraggeber (Stadt) und ein Privatunternehmen (AG X) beteiligt sind.
Handelt es sich um zwei öffentliche Auftraggeber, so kommt eine „Direktvergabe“ nicht in Betracht, wenn die Betroffenen unterschiedliche Aufgaben erfüllen und im Übrigen der beauftragte im Wettbewerb mit privaten Anbietern steht. Die Gemeinnützigkeit ist insofern irrelevant.
Entscheidungen:
Kein In-house-Geschäft – EuGH, Urt. v. 19.06.2014, C - 574 / 12 – Centro Hospitalar – Such – Eurest
EuGH, Urt. v. 8.5.2014 – C-15/13 – HIS – rechtwidrige direkte Auftragsvergabe an HIS-GmbH (Gesellschafter Bund und Länder)
Gruneberg, Ralf/Wilden-Beck, Anke, Möglichkeiten interkommunaler Kooperation nach der Piepenbrock-Entscheidung des EuGH, VergabeR 2014, 99
Dierkes, Jan-Michael/Scharf, Jan Peter, Die interkommunale Zusammenarbeit – zum nachträglichen Wegfall ihrer Privilegierungsvoraussetzungen sowie zu den Folgen bei der Einbindung Dritter im Rahmen der Leistungserfüllung, VergabeR 2014, 752
Brockhoff, Sven, Öffentlich-rechtliche Zusammenarbeit nach den neuen Vergaberichtlinien, VergabeR 2014, 625
Einzelfragen:
Kein In-house-Geschäft – EuGH, Urt. v. 19.06.2014, C - 574 / 12 – Centro Hospitalar – Such – Eurest – Anhang IB (Gastronomie) - Verpflegungsleistungen - Art. 1 RL 2004/18/EG – VKR – „Die „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ als Voraussetzung für ein „In-House“-Geschäft, ist nicht gegeben, wenn der Auftragnehmer eine gemeinnützige Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht ist, zu deren Mitgliedern bei der Erteilung dieses Auftrags nicht nur Einrichtungen des öffentlichen Sektors, sondern auch private Sozialträger, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind, zählen. 33 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es für die Frage, ob die unionsrechtlichen Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und folglich die Rechtsprechung des Gerichtshofs über die Ausnahme von „In-House“-Geschäften anzuwenden sind, unerheblich ist, dass es sich um einen Auftragnehmer in der Rechtsform einer privatrechtlichen Vereinigung handelt und er keine Gewinnerzielung anstrebt. Dies schließt nämlich nicht aus, dass die in Rede stehende beauftragte Einrichtung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Sea, C-573/07, EU:C:2009:532, Rn. 41, und CoNISMa, C-305/08, EU:C:2009:807, Rn. 45). 34 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich im vorliegenden Fall im Wesentlichen die Frage stellt, ob die sich aus dem Urteil Stadt Halle und RPL Lochau (EU:C:2005:5) ergebende Rechtsprechung anwendbar ist, da der SUCH nicht die Rechtsform einer Gesellschaft hat und somit kein Gesellschaftskapital besitzt, und seine Mitglieder, die dem sozialen Sektor angehören, keine Unternehmen im Sinne der in dem genannten Urteil verwendeten Terminologie sind. 35 Hierzu ist festzustellen, dass die Ausnahme für „In-House“-Vergaben auf der Erwägung beruht, dass in diesen Fällen angenommen werden kann, dass der öffentliche Auftraggeber seine im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben mit seinen eigenen Mitteln erfüllt. 36 Einer der Gründe, die den Gerichtshof zu den Schlussfolgerungen im Urteil Stadt Halle und RPL Lochau (EU:C:2005:5) veranlasst haben, lag nicht in der Rechtsform der privatrechtlichen Einrichtungen, die an der beauftragten Einrichtung beteiligt waren, oder deren kommerziellem Zweck, sondern in dem Umstand, dass diese privatrechtlichen Einrichtungen Überlegungen folgten, die mit ihren privaten Interessen zusammenhängen, die anderer Art als die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele des öffentlichen Auftraggebers waren. Aus diesem Grund konnte der öffentliche Auftraggeber über den Auftragnehmer keine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil Stadt Halle und RPL Lochau, EU:C:2005:5, Rn. 49 und 50). 37 Zu dem von dem vorlegenden Gericht geltend gemachten Umstand, der SUCH sei eine gemeinnützige Einrichtung und bei den privatrechtlichen Mitgliedern, die ihm zum Zeitpunkt der Erteilung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags angehört hätten, habe es sich um privatrechtliche - ebenfalls gemeinnützige - Sozialträger gehandelt, ist darauf hinzuweisen, dass es den konkreten Umständen des Falles geschuldet ist, dass der Gerichtshof im Urteil Stadt Halle und RPL Lochau (EU:C:2005:5) auf Begriffe wie „Unternehmen“ oder „Gesellschaftskapital“ Bezug genommen hat, was jedoch nicht bedeutet, dass der Gerichtshof seine Schlussfolgerungen nur auf die Fälle beschränken wollte, in denen gewerbliche Unternehmen, die eine Gewinnerzielung anstreben, an einer beauftragten Einrichtung beteiligt sind. 38 Ein anderer Grund, der den Gerichtshof zu den Schlussfolgerungen im Urteil Stadt Halle und RPL Lochau (EU:C:2005:5) veranlasst hat, besteht darin, dass die unmittelbare Vergabe eines Auftrags der privatrechtlichen Einrichtung innerhalb der beauftragten Einrichtung einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil Stadt Halle und RPL Lochau, EU:C:2005:5, Rn. 51). 39 Im Ausgangsverfahren verfolgen die privatrechtlichen Mitglieder des SUCH Interessen und Ziele, die sich - so anerkennenswert sie in sozialer Hinsicht auch sein mögen - von den im öffentlichen Interesse liegenden Zielen unterscheiden, die von den öffentlichen Auftraggebern, die gleichzeitig Mitglieder des SUCH sind, verfolgt werden. 40 Im Übrigen ist es, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nicht ausgeschlossen, dass die privatrechtlichen Mitglieder des SUCH, ungeachtet ihrer Stellung als Sozialträger, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind, wirtschaftliche Tätigkeiten im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsteilnehmern ausüben können. Die unmittelbare Erteilung eines Auftrags an den SUCH kann daher dessen privatrechtlichen Mitgliedern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. 41 Folglich sind die Erwägungen, die den Gerichtshof zu den in den Rn. 36 und 38 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Schlussfolgerungen veranlasst haben, auch unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gültig. 42 Der Umstand, dass privatrechtliche Mitglieder an der beauftragten Einrichtung nur eine minderheitliche Beteiligung innehaben, kann diese Schlussfolgerungen nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Stadt Halle und RPL Lochau, EU:C:2005:5, Rn. 49). 43 Es ist schließlich festzustellen, dass es grundsätzlich ohne Belang ist, dass der SUCH nach seiner Satzung nur über die Möglichkeit verfügte, privatrechtliche Einrichtungen als Mitglieder zuzulassen. Entscheidend ist im vorliegenden Fall, dass der SUCH bei der Erteilung des im Ausgangsverfahren fraglichen Auftrags tatsächlich nicht nur aus öffentlich-rechtlichen Mitgliedern, sondern auch aus privatwirtschaftlichen Einrichtungen bestand. 44 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Voraussetzung der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“, die von der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellt worden ist, damit die Erteilung eines öffentlichen Auftrags als „In-House“-Geschäft gelten kann, nicht erfüllt und die Richtlinie 2004/18 daher anwendbar ist, wenn der Auftragnehmer eine gemeinnützige Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht ist, zu deren Mitgliedern bei der Erteilung dieses Auftrags nicht nur Einrichtungen des öffentlichen Sektors, sondern auch private Sozialträger, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind, zählen.
In-house-Vergabe – EuGH, Urt. v. 8.5.2014 – C-15/13 – HIS – rechtwidrige direkte Auftragsvergabe an HIS-GmbH (Gesellschafter Bund und Länder) - keine In-house-Vergabe – rechtswidrige Auftragserteilung als ‚In-House‘-Vergabe – Fehlende ‚Kontrolle wie über eigene Dienststellen‘ – - keine Erledigung einer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe (Uni – HIS) - kein ‚Horizontales In-House-Geschäft‘“ – „Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt: Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass ein Vertrag über die Lieferung von Waren, der zwischen einer Universität, die ein öffentlicher Auftraggeber ist und die im Bereich der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen der Aufsicht eines deutschen Bundeslands unterliegt, und einem privatrechtlichen Unternehmen, das sich in der Hand des Bundes und der Bundesländer, darunter des genannten Bundeslands, befindet, geschlossen worden ist, einen öffentlichen Auftrag im Sinne dieser Vorschrift darstellt und somit den Vorschriften dieser Richtlinie über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen unterliegt.“ - - Vorliegen eines öffentlichen Auftrags (EuGH-Urt. Stadt Halle - C‑26/03) – enger Rahmen für direkte In-house-Vergaben - Voraussetzungen: entgeltlicher Vertrag zwischen einem Auftraggeber und von ihm rechtlich von verschiedener Person – Möglichkeit der Erfüllung im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben durch Auftraggeber mit eigenen Mitteln- – kein Zwang zur Einschaltung externer nicht zu seinen eigenen Dienststellen gehöriger Einrichtungen – ausnahmsweise Ausdehnung dieses Grundsatzes auf rechtlich vom Auftraggeber unterschiedliche Einrichtungen, „wenn der öffentliche Auftraggeber über die fragliche Einrichtung eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen und diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der oder den öffentlichen Stellen verrichtet, die ihre Anteile innehaben ...“ – Rückgriff auf seine eigenen Mittel – Vorliegen der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ bei ausschlaggebendem Einfluss auf die strategischen Ziele und die wichtigen Entscheidungen der beauftragten Einrichtung sowie wirksame, strukturelle und funktionelle Ausübung der Kontrolle (vgl. in diesem Sinne Urteil Econord, C‑182/11 und C‑183/11...) – Möglichkeit der gemeinsamen „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ unter bestimmten Voraussetzungen auch durch mehrere öffentliche Stellen mit Anteilen an der beauftragten Körperschaft – hier aber kein Kontrollverhältnis zwischen der Universität als öffentlichem Auftraggeber und der beauftragten Gesellschaft HIS – keine Beteiligung am Kapital der HIS – kein Vertreter im Aufsichtsrat – kein Rechtfertigungsgrund für eine „In-House“-Vergabe: keine besondere interne Verbindung zwischen Auftraggeber (Uni) und der beauftragten Einrichtung (HIS) – ferner keine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle der Stadt Hamburg über die Universität – Kontrolle der Stadt Hamburg nur im Beschaffungsbereich, nicht aber der Lehre und Forschung (Autonomie) – kein zulässiges „horizontales In-House“-Geschäfte ´(„Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ durch einen oder mehrere Auftraggeber über zwei unterschiedliche („verschiedene“) Wirtschaftsteilnehmer und Vergabe des Auftrags durch einen an den anderen – auch keine Zusammenarbeit der Universität und der HIS zur Erledigung einer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe im Sinne der Rechtsprechung (vgl. Urteil Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a, EU:C:2012:817, Rn. 34 und 37) – Beauftragung der HIS daher vergaberechtspflichtiger Vorgang.“
11. De-facto-Vergabe und Direktvergabe – Vergaberechtsfreiheit
Die Erteilung von Aufträgen ohne Vergabeverfahren durch die öffentliche Hand an Dritte ist grundsätzlich unzulässig.
Vom Vergaberecht befreit sind oberhalb der Schwellenwerte z. b. die in § 100 III ff GWB. Unterhalb der Schwellenwerte ist lediglich der Direktkauf nach § 3 VI VOL/A vom Vergaberecht befreit. Besonderheiten gelten für Sektorentätigkeiten (vgl. § 100b GWB, Freistellung nach § SektV0).
Schwere Verstöße sind anzutreffen, wenn z. B. gebotene EU-Verfahren unterlassen oder wenn Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ohne die erforderliche Begründung durchgeführt werden und der Zuschlag erteilt wird; ferner bei direkter Auftragserteilung ohne Vergabeverfahren (vgl. hierzu §§ 3 IV EG VOL/A; § 101b I GWB). Auch im Fall der unzulässigen In-house-Vergabe greifen die Sanktionen nach § 101b I GWB ein.
Sofern es sich um oberschwellige Aufträge handelt, greift hier Unwirksamkeit des Vertrags von Anfang an ein (§ 101b I GWB). Möglich sind Feststellungsverfahren nach dem Zuschlag gemäß § 101b II GWB, ferner das Eingreifen der EU-Kommission bzw. die Anrufung des EuGH.
Ob ein sog. „Open-house-Modell“ der Krankenkassen vergaberechtsfrei ist, ist zweifelhaft. Das OLG Düsseldorf hat die Frage dem EuGH vorgelegt.
Entscheidungen:
OLG Celle, Beschl. v. 24.09.2014 - 13 Verg 9/14 – NZBau 2014, 784 – Motoren für Küstenboot – unzulässiges "beschleunigtes Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb
OLG Celle, Beschl. v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14 – NZBau 2014, 780 – Rettungsdienst Emsland –
OLG Düsseldorf, Vorlagebeschl. v. 13.08.2014, VII - Verg 13/14 – Mesalazin - Rahmenvereinbarung nach § 130a Abs. 8 SBG V – „Open-House-Modell“ –
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2014 - VII - Verg 25/14 – freihändige Vergabe – Rettungsdienst
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich
OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 - 2 Verg 1/14 - VergabeR 2014, 787, m. teils krit. Anm. v. Voppel, Reinhard – Generalplanervertrag mit Projektsteuerung
Noch, Rainer, Die drohende De-facto-Vergabe, Vergabe Navigator 2014, 25
Tschäpe, Philipp, Zur Anzahl der Teilnehmer während des Verhandlungsverfahrens, ZfBR 2014538
Wagner-Cardenal, Kersten/Dierkes, Jan-Michael, Die Direktvergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten , NZBau 2014, 738
Einzelfragen:
Open-house-Modell - OLG Düsseldorf, Vorlagebeschl. v. 13.08.2014, VII - Verg 13/14 – Mesalazin - Rahmenvereinbarung nach § 130a Abs. 8 SBG V – „Open-House-Modell“ – Zulassungsverfahren für Teilnahme durch alle Interessenten ohne Anwendung des Vergaberechts - §§ 101a, 101b GWB – Aussetzung des Verfahrens und Vorlage von zwei Fragen an den EuGH: 1. Ist der Begriff des öffentlichen Auftrags nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2004/18/EG nicht mehr erfüllt, wenn öffentliche Auftraggeber ein Zulassungsverfahren durchführen, bei dem sie den Auftrag vergeben, ohne einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer auszuwählen („Open-House-Modell“)? 2. Falls Frage 1. dahin zu beantworten ist, dass eine Auswahl eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer Merkmal eines öffentlichen Auftrags ist, wird folgendes gefragt: Ist das Merkmal der Auswahl von Wirtschaftsteilnehmern im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2004/18/EG im Lichte von Art. 2 Richtlinie 2004/18/EG dahin auszulegen, dass öffentliche Auftraggeber von einer Auswahl eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer im Wege eines Zulassungsverfahrens nur absehen dürfen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: - die Durchführung eines Zulassungsverfahrens wird europaweit publiziert, - es werden eindeutige Regeln über den Vertragsschluss und den Vertragsbeitritt festgelegt, - die Vertragsbedingungen werden im Vorhinein in der Weise festgelegt, dass kein Wirtschaftsteilnehmer auf den Inhalt des Vertrags Einfluss nehmen kann, - Wirtschaftsteilnehmern wird ein jederzeitiges Beitrittsrecht gewährt und - Vertragsschlüsse werden europaweit bekannt gegeben?
De-facto-Vergabe – OLG Celle, Beschl. v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14 – NZBau 2014, 780 – Rettungsdienst Emsland – Voraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage - Rechtsverletzung durch De-facto-Vergabe,– keine Rügepflicht bei De-facto-Vergaben – weitere Voraussetzung der Feststellungsfortsetzungsklage Feststellungsinteresse: Vorbereitung einer Schadensersatzforderung, Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse (hier nicht eingreifend)
Besondere Dringlichkeit - Direktvergabe - OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich - § 6 SektVO, § 101 b Abs. 2 GWB, § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 98 Nr. 4 GWB (VK Hessen vom 15.10.2013, 69 d VK 22 – 2013) - Amtliche Leitsätze: 1. Die 30 Tage-Frist gem. § 101b Abs. 2 GWB, binnen derer die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe im Sinne von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB festgestellt werden kann, beginnt nicht, solange ein schwebend unwirksamer Vertrag noch nicht durch Genehmigung des Vertretenen wirksam geworden ist. Zweifel an der Wirksamkeit gehen zu Lasten des Auftraggebers. 2. Im Bereich der Daseinsvorsorge (hier: öffentlicher Personenverkehr) kann Dringlichkeit einer Interimsvergabe auch dann gegeben sein, wenn sie auf vom Auftraggeber zu vertretenen Umständen beruht. 3. Auch bei besonderer Dringlichkeit einer Interimsvergabe kommt eine Direktvergabe in der Regel allenfalls solange in Betracht, bis über eine endgültige Interimsvergabe in einem wettbewerblichen Verfahren entschieden werden kann.
Zulässiges Verhandlungsverfahren infolge „zwingender Dringlichkeit“ – OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 - 2 Verg 1/14 - VergabeR 2014, 787, m. teils krit. Anm. v. Voppel, Reinhard – Generalplanervertrag mit Projektsteuerung –Auftragswert einer Teilleistung nicht maßgeblich, entscheidend Auftragswert für alle funktional zusammengehörigen weiteren Bauabschnitte (Schätzung – vgl. EuGH, Urt. v. 15.3.2012 – C-574 – Autalhalle) – „identische“ freiberufliche Leistungen – Additionsgebot und Überschreiten des Schwellenwerts und Erforderlichkeit des VOF-Verfahrens, Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung wegen „zwingender Gründe“ (ausführliche Darlegung) – infolge der Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb kein Eingreifen des § 101b I Nr. 2 GWB (damit Wirksamkeit des Vertrags) – Leitsatz: „Ist nach § 101 Abs. 1 GWB i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 VgV und § 3 Abs. 4 lit. c) VOF ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zulässig, darf die Unwirksamkeit des Vertrags nicht festgestellt werden. Als dringliche zwingende Gründe sind nur solche Gründe anzuerkennen, die objektiv nachprüfbar sind und sich aus dem Bedarf des öffentlichen Auftraggebers selbst ergeben, d.h. auf die Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung bezogen sind, welcher die Beschaffung dient (hier bejaht für die Weiterführung der Projektsteuerung für komplexe, seit eineinhalb Jahren laufende und vor Abschluss des 1. Bauabschnitts stehende Bauarbeiten verschiedener Gewerke an einem Krankenhaus der Maximalversorgung bei paralleler Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebs, für deren unvorhersehbare Neuvergabe die Durchführung eines – u.U. auch beschleunigten – Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb dem Auftraggeber nicht zumutbar war).“
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2014 - VII - Verg 25/14 – freihändige Vergabe des Rettungsdienstes in für eine Dauer von 14 Monaten vorläufig an die von den Hilfsorganisationen betriebenen Rettungswachen in zwei Gemeinden – Anhang IB - „Ungeachtet einer beim Nachprüfungsantrag möglichen Fristüberschreitung nach § 101b Abs. 2 GWB ist der Antrag jedenfalls unbegründet. Der Antragsgegner hat zu einer freihändigen Vergabe (nicht prioritärer Dienstleistungen) nach § 3 Abs. 5 Buchst. I VOL/A greifen dürfen, weil für die Dienstleistung aus besonderen Gründen nur ein Unternehmen - im vorliegenden Fall zwei Unternehmen - wegen der Anbindung an zwei verschiedene, bereits unterhaltene Rettungswachen in Betracht gekommen sind.“ – keine rechtswidrige de-facto-Vergabe
12. Eignungs- und Wertungskriterien
Insofern ist von einer grundsätzlichen Trennung der Eignungs- von Zuschlagskriterien auszugehen. Eine „Vermischung“ ist unzulässig.
Die Stufen der Wertung sind einzuhalten (1. zwingender Ausschluss nach §16 III VOL/A, 2. Eignung nach § 16 IV und V VOL/A, 3. „Preisprüfung“ und 4. Zuschlagskriterien (Preis allein oder Preis mit weiteren Kriterien).
Dem Auftraggeber steht ein „Wertungsspielraum“ zu, dessen Grenzen zu beachten sind.
Nur bekannt gemachte Wertungskriterien kommen in Betracht (vgl. § 16 VII VOL/A, 19 VIII EG VOL/A). Nachträgliche Änderungen oder “Heilung” scheiden ohne „Zurückversetzung“ des Vergabeverfahrens grundsätzlich aus.
Die Wertungskriterien müssen transparent und “geeignet“ („Auftragsbezug“)sein.
Entscheidungen:
Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 07.03.2014 - 1/SVK/048 – 13 – Rettungsdienste Nebenangebote und Wertungskriterien –
BGH, Beschl. v. 07.01.2014 - X ZB 15/13 - Straßenbahntrasse Gera – Preis als alleiniges Kriterium und Zulassung von Nebenangeboten (verneint) -
Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt –
Vergabekammer Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung –- Vermischung
Hertwig, Stefan, „Erfahrung auf nationalen Märkten“ kein zulässiges Wertungskriterium, NZBau 2014, 205
Petersen, Zsòfia, Vergaberechtliche Zulässigkeit personenbezogener Zuschlagskriterien, VergabeR 2015, 8
Kulartz, Hans-Peter/Scholz, Daniel, Zuschlagskriterien – Grenzen bei der Gewichtung?, VergabeR 2014, 109
Probst, Peter Michael/Winters, Fabian, Der (grenzelose) Beurteilungsspielraum des Auftraggebers im Vergabeverfahren, VergabeR 2014, 115
Einzelfragen:
Spielraum bei Festlegung der Wertungskriterien - Vergabekammer Sachsen, Beschl. v. 07.03.2014 - 1/SVK/048 – 13 – Rettungsdienste - „Ein Auftraggeber hat zunächst einen erheblichen Spielraum bei der Bestimmung der zu beschaffenden Leistung. Die Leistungsbestimmung ist dem Vergabeverfahren zeitlich vorgelagert. Zudem steht einem Auftraggeber bei der Auswahl und Festsetzung der Bewertungskriterien ein von der Vergabekammer nicht überprüfbarer Wertungsspielraum zu (vgl. EuG Urt. v. 19. 3.2010 - T-50/05, OLG Düsseldorf, B. v. 30.07.2009, VII Verg 10/09). ... darf im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nur geprüft werden, ob die Vergabestelle bei ihrer Wertung die Grenzen des eingeräumten Beurteilungsspielraumes überschritten hat. ....“ – Prüfung: Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens Ausgehen von einem nicht zutreffenden oder nicht vollständig ermittelten Sachverhalt, Einfließen willkürlicher oder sonst unzulässiger Erwägungen, Einhalten des Beurteilungsmaßstabs im Rahmen der Beurteilungsermächtigung gehalten hat (vgl. EuG a. a. O.; OLG München, Beschluss vom 2. November 2012 - Verg 26/12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Oktober 2012 - 11 Verg 9/11; OLG Brandenburg, Beschl. v. 19. Dezember 2011 - Verg W 17/11). .... „ - keine Bedenken gegen die Verwendung eines Wertungsbogens (keine Anwendung einer vorab nicht bekannt gegebenen Wertungsmatrix) - „Richtig ist, dass Auftraggeber grundsätzlich keine Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden dürfen, die den Bietern nicht vorher zur Kenntnis gebracht wurden (EuGH, Urt. v. 24. Januar 2008 - C-532/06;). Vorliegend handelt es sich bei dem in Bezug genommenen Wertungsbogen XXX „Bewertungsbogen Optimierung Ausrückzeit“ aber nicht um eine eigenständige Wertungsmatrix, in der zusätzliche Gewichtungsregeln enthalten wären. Vielmehr stellt der Wertungsbogen XXX nach Auffassung der Vergabekammer, die sich insoweit den Ausführungen des Auftraggebers anschließt, lediglich die tabellarische Dokumentation der Wertung dar.“ .... „ – Wertung des Kriteriums „Optimierung der Ausrückzeit“ nicht wie bekannt gemacht - statt „Effektivität“ sondern die „Geeignetheit“ kein Verstoß, obwohl nicht deckungsgleich(aber unschädliche Falschbezeichnung) – Zulässigkeit eines Schulnotensystems bei der Wertung der Konzepte – Möglichkeit für unterschiedliche Lösungsansätzen der Bieter (vgl. hierzu OLG Celle, Beschl. v. 12. 1.- 13 Verg 8/11). ... für die Angebotswertung kein bis in letzte Unterkriterien und deren Gewichtung gestaffeltes Wertungssystem aufstellen, das im Übrigen dann auch Gefahr liefe, endlos und unpraktikabel zu werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. Juli 2009 - Verg 10/09)“. - keine unzutreffende Gewichtung eines Kriteriums im Vergleich zu den anderen Kriterien – keine Verstöße durch Wertung des Angebots –
Nebenangebote und Wertungskriterien - BGH, Beschl. v. 07.01.2014 - X ZB 15/13 - Straßenbahntrasse Gera – Preis als alleiniges Kriterium und Zulassung von Nebenangeboten (verneint) - §§ 8 I, 20 I, II, 29 SektVO, §§ 8 II Nr. 3 b), 16 II, VI § 16 Abs. 2 VOB/A-EG, §§ 97 II, V GWB - Leitsätze: 1. a) Ist in einem in den Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallenden Vergabeverfahren der Preis alleiniges Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden. b) Die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen brauchen im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung zu erfassen, sondern dürfen Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und sich darauf beschränken, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss. c) Die vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten, die es ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technisch-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen.
Vermischung der Stufen – Eignung – Zuschlag - Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt –umfangreicher Kriterienkatalog –intransparente und ungeeignete Wertungskriterien (abgesehen von fehlender Bekanntmachung) – Präsentationsbewertung grundsätzlich zulässig, aber Offenlegung der grundsätzlichen Erwartungen an den Inhalt der Präsentation – unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – fehlender Bezug der Bewertungsmaßstäbe zur konkreten Leistung
Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – Vergabekammer Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung – Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – amtliche Leitsätze: „2. Die strenge Trennung von Zuschlags- und Eignungskriterien gehört mittlerweile zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der an europaweiten Vergabeverfahren beteiligten Bieterkreise, etwaige Verstöße sind damit erkennbar i. S. d. § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB (Anschluss an OLG München, Beschluss vom 25.07.2013 – Verg 7/13). 3. Der öffentliche Auftraggeber muss den Bietern mit der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen, in jedem Fall aber rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist die Zuschlagskriterien, die er anzuwenden beabsichtigt und deren Gewichtung bekannt geben; bei der Wertung der Angebote sind diese vollständig und ausschließlich zu berücksichtigen (Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2013 – Verg 8/13). 4. Erweisen sich die bekanntgegebenen Wertungskriterien im Zuge der Angebotswertung als ungeeignet, eine Differenzierung zwischen den Bietern zu erreichen, darf der öffentliche Auftraggeber nicht statt der bekanntgegebenen Kriterien neue, aus seiner Sicht tauglichere verwenden, ohne diese vorher nach Rückversetzung des Vergabeverfahrens durch Versand neuer Vergabeunterlagen bekanntzugeben“
Intransparente und ungeeignete Wertungskriterien – Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt – intransparente und ungeeignete Wertungskriterien (abgesehen von fehlender Bekanntmachung) – Präsentationsbewertung grundsätzlich zulässig, aber Offenlegung der grundsätzlichen Erwartungen an den Inhalt der Präsentation - Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – fehlender Bezug der Bewertungsmaßstäbe zur konkreten Leistung
13. „Ungewöhnliches Wagnis“ – Unzumutbarkeit
Bekanntlich ist in der VOL/A 2006 das Verbot des „ungewöhnlichen Wagnisses“ nicht mehr enthalten (früher § 8 I Nr. 2 VOL/A 2003, heute noch in § 7 I Nr. 3 VOB/A 2012).
Ein Teil der Rechtsprechung wendet die Grundsätze des § 8 I Nr. 2 VOL/A 2003 noch an.
Andere OLGe suchen die Lösung über das Merkmal der „Zumutbarkeit“.
Im Ergebnis werden hier regelmäßig übereinstimmende Lösungen gefunden, insbesondere wird auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt.
Maßgeblich ist letztlich, ob dem Bieter auf der Basis der Vergabeunterlagen eine kaufmännisch ordnungsgemäße Kalkulation „zumutbar“ bzw. nur ein übliches Unternehmerrisiko betroffen ist.
Wagnis - Dicks, Heinz-Peter, Ungewöhnliche und unzumutbare Wagnisse ,NZBau 2014, 731
Wagnis - Gruber, Thomas, Nichtigerklärung der Ausschreibung wegen Überwälzung nicht kalkulierbarer Risiken auf den AN, ZVB 2014, 426
Entscheidung:
Kein unzumutbares Wagnis – Vergabekammer Niedersachsen, Beschl. v. 28.05.2014 - VgK - 13/2014 – Schülerbeförderung – kein „ungewöhnliches Wagnis“ bzw. keine „Unzumutbarkeit“ - „Die Frage, ob ein vertraglich aufgebürdetes Wagnis ungewöhnlich und damit nach § 8 EG Abs. 1 VOL/A unzulässig oder unzumutbar ist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung von Art und Umfang der nachgefragten Leistung sowie unter Beachtung des Gesichtspunkt der Branchenüblichkeit zu klären (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.09.2004, 1 Verg 6/04; VK Bund, Beschluss vom 06.05.2005, VK III 28/05). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 8 EG Abs. 1 VOL/A nicht ausschließt, dass die Beteiligten den Rahmen des Zulässigen ausschöpfen. Jedem Vertrag wohnen gewisse Risiken inne, die der Auftragnehmer bei der Ausführung der Leistung zu tragen hat (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 15.01.2010, VgK-74/2009). Ob damit die Grenzen der Zumutbarkeit für eine vernünftige kaufmännische Kalkulation überschritten sind, kann nicht abstrakt anhand allgemeiner Grundsätze dargestellt werden, sondern ist aufgrund der branchenspezifischen Risiken im Einzelfall sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Der öffentliche Auftraggeber muss bestehende Mengenrisiken nicht zu seinen Lasten übernehmen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.04.2013, VII - Verg 50 / 12). Er wird die Überwälzung von Risiken möglicherweise mit Wagnisaufschlägen bezahlen müssen, aber es ist nicht Aufgabe der Vergabenachprüfungsinstanzen, ihm eine möglichst billige Kalkulation aufzudrängen (VK Rheinland-Pfalz, 20.09.2012 - VK 2-25/12). Andererseits ist die Vorgabe des zu vergebenden Auftragsvolumens eine nicht entbehrliche Grundlage jeder Kalkulation. Fehlt sie vollständig, so sind vergleichbare Angebote nicht mehr zu erwarten (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.06.2011, 1 VK 25 / 11, zit. nach VERIS). – ausreichende Preisanpassung („Preisgleitklauseln oder Anpassungsklauseln sind ein probates Mittel des Auftraggebers, den Angebotspreis weitestmöglich zu senken. Dazu ist er aber nicht verpflichtet, insbesondere nicht gegenüber den Anbietern. Das gilt sowohl für die hier zugrunde gelegten allgemeinen Preissteigerungen als auch für die von der Antragstellerin geforderten spezifischen Preissteigerungen für Treibstoff und übrige Fahrzeugkosten, die konkret in Abteilung 7 „Verkehr“ des Verbraucherpreisindexes abgebildet werden http://www.destatis.de .Aus der Darstellung dort werden die vorgetragenen exorbitanten Schwankungen in den letzten Jahren nicht bestätigt.“).
14. Dokumentationspflicht
Nach §§ 20 VOL/A, 24 EG VOL/A, 20 EG VOB und VOB/A besteht die Pflicht zur Dokumentation.
Für die Verfahren oberhalb der Schwellenwerte sind Mindestangaben erforderlich.
Vom Sinn und Zweck geht es darum, die erforderliche Transparenz des Vergabeverfahrens zu sichern.
Insbesondere sollen Maßnahmen und Gründe sowie der Ablauf in nachvollziehbarer Weise Schritt für Schritt erfasst sein.
Dokumentationsmängel (Lücken, fehlende Punkte etc.) sind nur relevant, wenn sie sich auf die Position des betroffenen Bieters etc. auswirken. Eine Zurückversetzung in den Stand des Verfahrens, zu dem die Dokumentation noch oder nicht mehr ordnungsgemäß war, scheidet wegen des Beschleunigungsgrundsatzes vielfach aus. Allerdings muss die Dokumentation grundsätzlich vollständig und aktuell geführt sein. Ein Nachreichen im Vergabeüberprüfungsverfahren ist kritisch zu betrachten.
Entscheidung:
Vergabekammer Niedersachsen, Beschl. v. 28.05.2014 - VgK - 13/2014 – Schülerbeförderung – – im Einzelfall ist fehlende Dokumentation und Begründung für weitere Nachweise nicht erheblich genug („Der BGH hat zu den Folgen einer Verletzung der Dokumentationspflicht einschränkend ausgeführt: Das Gesetz gebe der Vergabekammer vor, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt werde (§110 Abs. 1 Satz 4 GWB). Mit dieser dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz verpflichteten Regelung sei es (in diese Richtung auch OLG München, VergabeR 2010, 992, 1006), nicht vereinbar, bei Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert von einer Berücksichtigung im Nachprüfungsverfahren abzusehen und stattdessen eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Dieser Schritt sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. (BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4 / 10, zit. nach VERIS). Die Vergabekammer Niedersachsen hat ergänzt (Beschluss vom 05.12.2013, VgK-39/2013), dass die Dokumentationspflicht auch in Ansehung der Rechtsprechung des BGH fortbesteht. Die Dokumentationspflichten der Vergabe- und Vertragsordnungen sind eine wesentliche Säule des vergaberechtlichten Transparenzgebotes gemäß § 97 Abs. 1 GWB. Sie wären völlig wirkungslos und überflüssig, wenn man den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit einräumen wollte, jegliche fehlende Dokumentation, sei der betroffene Wertungsvorgang bzw. der zu dokumentierende Sachverhalt auch noch so wichtig, jederzeit erst aufgrund eines Nachprüfungsantrags einfach nachreichen zu können. Vielmehr ist der öffentliche Auftraggeber weiterhin gehalten, einen überhaupt nicht dokumentierten Wertungsabschnitt erneut oder ggf. erstmalig durchzuführen und dann zeitnah gemäß § 24 EG VOL/A zu dokumentieren. Derartig gravierende Dokumentationsfehler liegen hier aber nicht vor. Eine Maßnahme gemäß § 114 GWB wäre daher unverhältnismäßig.)
15. Zuschlagskriterien
Zuschlagskriterien sind strikt von den „Eignungskriterien“ zu trennen. Eine Vermischung ist nicht zulässig.
Die Zuschlagskriterien müssen bekannt gemacht werden.
Nur bekannt gemachte Zuschlagskriterien sind Gegenstand der Wertung in der letzten Stufe.
Ungeeignete Zuschlagskriterien dürfen in der Regel nicht ohne Rückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium der Bekanntmachung geändert oder ersetzt werden.
Entscheidungen:
OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – VergabeR 2014, 797, m. Anm. v. Lück, Dominik – Abschleppdienst –“ – zulässiges Zuschlagskriterium „Niedrigster Preis“
Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt – unzulässig: intransparente und ungeeignete Wertungskriterien
Vergabekammer Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung –- „strenge Trennung“
Hackl, Johann: Rechtmäßige Zuschlagskriterien? ZVB 2014, 445
Hertwig, Stefan, „Erfahrung auf nationalen Märkten“ kein zulässiges Wertungskriterium, NZBau 2014, 205
Einzelfragen:
Strikte Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – Bekanntmachung - Vergabekammer Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung –- „2. Die strenge Trennung von Zuschlags- und Eignungskriterien gehört mittlerweile zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der an europaweiten Vergabeverfahren beteiligten Bieterkreise, etwaige Verstöße sind damit erkennbar i. S. d. § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB (Anschluss an OLG München, Beschluss vom 25.07.2013 – Verg 7/13). 3. Der öffentliche Auftraggeber muss den Bietern mit der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen, in jedem Fall aber rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist die Zuschlagskriterien, die er anzuwenden beabsichtigt und deren Gewichtung bekannt geben; bei der Wertung der Angebote sind diese vollständig und ausschließlich zu berücksichtigen (Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2013 – Verg 8/13). 4. Erweisen sich die bekanntgegebenen Wertungskriterien im Zuge der Angebotswertung als ungeeignet, eine Differenzierung zwischen den Bietern zu erreichen, darf der öffentliche Auftraggeber nicht statt der bekanntgegeben Kriterien neue, aus seiner Sicht tauglichere verwenden, ohne diese vorher nach Rückversetzung des Vergabeverfahrens durch Versand neuer Vergabeunterlagen bekanntzugeben.“
Unzulässige Zuschlagskriterien - Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt – unzulässig: intransparente und ungeeignete Wertungskriterien (abgesehen von fehlender Bekanntmachung) – Präsentationsbewertung grundsätzlich zulässig, aber Offenlegung der grundsätzlichen Erwartungen an den Inhalt der Präsentation - Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – fehlender Bezug der Bewertungsmaßstäbe zur konkreten Leistung
Niedrigster Preis als zulässiges Zuschlagskriterium – OLG Düsseldorf, Beschl. v.7.5.2014 – VII-Verg 46/13 – VergabeR 2014, 797, m. Anm. v. Lück, Dominik – Abschleppdienst –“ – zulässiges Zuschlagskriterium „Niedrigster Preis“
16. Aufhebung und Verzicht auf Vergabe
Aufhebungen sind in den §§ 17 VOB/A und 17 VOL/A sowie § 20 EG VOL/A geregelt.
Die Aufhebung ist im Nachprüfungsverfahren überprüfbar (Rechtmäßigkeitskontrolle nicht Zweckmäßigkeitskontrolle).
Es besteht kein Zuschlagszwang.
Die Aufhebung kann rechtswidrig sein, wenn der „Aufhebungsgrund“ bereits vor Bekanntmachung bestand und etwa nicht beachtet wurde (Schadensersatz).
Wird die Beschaffungsabsicht mit unveränderten Grundlagen nach Aufhebung in einem zweiten Vergabeverfahren weiterverfolgt, so können bei rechtswidriger Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens Schadensersatzansprüche des erstrangigen Bieters im ersten Verfahren entstehen, wenn dieser im zweiten Verfahren den Zuschlag nicht erhält.
Entscheidung:
Verzicht auf Vergabe – EuGH, Urt. v. 11.12.2014 – C-440/13 – Croce Amica - Fahrzeugtransport von Organen etc. – „Widerruf“ des Zuschlags (Verzicht – „Aufhebung“) - „Verzicht“ auf den Zuschlag von Entscheidung über Ausschluss nach Art. 45 Rili 2004/18/EG zu unterscheiden – bei der Entscheidung über den Verzicht („Widerruf“ des vorläufigen Auftrags) „handelt es sich nicht um eine Entscheidung über den Ausschluss ... gemäß Art. 45 der Richtlinie.“, sondern um eine überprüfbare Aufhebungsentscheidung“: „Die Richtlinie 2004/18 enthält jedoch keine Bestimmung über die materiellen oder formellen Voraussetzungen einer solchen Entscheidung.“ – nicht vorgesehen ist auch in den Richtlinien, „dass der Verzicht eines öffentlichen Auftraggebers auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags nur in Ausnahmefällen oder bei Vorliegen schwerwiegender Gründe erfolgen dürfte ..... aber nicht verpflichtet ist, das Vergabeverfahren zu Ende zu führen......33 Der Gerichtshof hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Verpflichtung zur Mitteilung der Gründe für die Entscheidung über den Widerruf einer Ausschreibung das Bemühen zugrunde liegt, ein Mindestmaß an Transparenz bei den Verfahren zur Vergabe der öffentlichen Aufträge, für die die unionsrechtlichen Regelungen gelten, und somit die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sicherzustellen, der diesen Regelungen zugrunde liegt ..... 34 Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 verlangt, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, die Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags zu widerrufen, in einem Nachprüfungsverfahren auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden kann. Außerdem hat er festgestellt, dass die nationalen Gerichte selbst in den Fällen, in denen die Vergabebehörden nach der anwendbaren nationalen Regelung über einen weiten Ermessensspielraum in Bezug auf den Widerruf der Ausschreibung verfügen, gemäß der Richtlinie 89/665 die Vereinbarkeit einer Widerrufsentscheidung mit dem einschlägigen Unionsrecht überprüfen können müssen .... 35 Das Unionsrecht hindert die Mitgliedstaaten daher nicht daran, in ihren Rechtsvorschriften die Möglichkeit vorzusehen, eine Entscheidung über den Widerruf einer Ausschreibung zu erlassen. .... Eine solche Entscheidung kann auch damit begründet werden, dass aufgrund der Tatsache, dass am Ende des Verfahrens zur Vergabe des fraglichen Auftrags nur ein einziger Bieter verblieben war, der zur Durchführung dieses Auftrags in der Lage war, kein hinreichender Wettbewerb bestand. 36 Vorbehaltlich der Beachtung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung kann ein öffentlicher Auftraggeber folglich nicht verpflichtet sein, ein eingeleitetes Vergabeverfahren abzuschließen und den fraglichen Auftrag zu vergeben, auch nicht an den einzigen verbliebenen Bieter.“ – Rechtmäßigkeitskontrolle – Zweckmäßigkeitskontrolle, nicht nur eingeschränkte Kontrolle auf willkürliche Entscheidungen - „38 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das zuständige nationale Gericht nach dem Unionsrecht die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers umfassend überprüfen, d. h., bei der Überprüfung die Glaubhaftigkeit und die Angemessenheit der Angebote der Bieter berücksichtigen kann, und in Bezug auf die Frage, ob der Widerruf der Ausschreibung zweckmäßig ist, die Bewertung des öffentlichen Auftraggebers durch seine eigene Beurteilung ersetzen kann. 39 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehört die Entscheidung über den Widerruf der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags zu den „Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber“, für die die Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 89/665 im nationalen Recht Nachprüfungsverfahren einführen müssen, ...... um die Beachtung der einschlägigen materiellen Regelungen des Unionsrechts im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder der einzelstaatlichen Vorschriften, die diese Regelungen umsetzen, sicherzustellen ... 40 Die Richtlinie 89/665 beschränkt sich jedoch darauf, die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Mechanismen zu koordinieren, um die vollständige und tatsächliche Anwendung der Vergaberichtlinien sicherzustellen, und definiert nicht ausdrücklich den Umfang der Nachprüfung, die die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck ermöglichen müssen. Folglich ist zur Beantwortung der Frage nach dem Umfang der gerichtlichen Kontrolle im Rahmen der von der Richtlinie 89/665 vorgesehenen Nachprüfungsverfahren auf den Zweck der Richtlinie abzustellen und darauf zu achten, dass deren Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird ..... 42 Die in dieser Bestimmung vorgesehenen Nachprüfungsverfahren dienen folglich dazu, die Beachtung der einschlägigen Regelungen des Unionsrechts, insbesondere derjenigen der Richtlinie 2004/18, oder der einzelstaatlichen Vorschriften, die diese Regelungen umsetzen, sicherzustellen. 43 Diese Rechtmäßigkeitskontrolle kann nicht auf die Prüfung beschränkt werden, ob die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers willkürlich erfolgt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil HI, EU:C:2002:379, Rn. 63). 44 Bei diesen Nachprüfungsverfahren geht es somit um die Ausübung einer Rechtmäßigkeitskontrolle und keiner Zweckmäßigkeitskontrolle. 45 Da es keine spezifische Unionsregelung für diesen Bereich gibt, sind die Einzelheiten der gerichtlichen Überprüfung durch nationale Verfahrensvorschriften festzulegen, vorbehaltlich der Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität .... Der nationale Gesetzgeber kann den zuständigen nationalen Gerichten somit umfangreichere Befugnisse erteilen, damit diese eine Zweckmäßigkeitskontrolle ausüben können. .... schließt jedoch nicht aus, dass der nationale Gesetzgeber die zuständigen nationalen Gerichte zur Durchführung einer Zweckmäßigkeitskontrolle ermächtigen kann.“
17. Soziale Aspekte – Mindestlohn
Nach § 97 IV GWB können Auftraggeber für die Auftragsausführung „zusätzliche Anforderungen“ festlegen. Diese müssen „in sachlichem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus Leistungsbeschreibung ergeben.“
Mit der Eignung haben „besonderen Anforderungen“ ebenso wenig zu tun wie mit Zuschlagskriterien.
„Besondere Anforderungen“ beziehen sich auf die Auftragsausführung. Das gilt z. B. für die Erklärung zur Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen oder zur Zahlung des Tarif- bzw. Mindestlohnentgelts.
Die Anforderung von Verpflichtungserklärungen zur Zahlung des „Mindestlohns“ (8,50 € ab 1.1.2015 nach dem „Mindestlohngesetz – bzw. landesrechtlichen Regelungen) kann EU-vergaberechtswidrig sein.
Landesvergabe- und Tariftreuevorschriften unterscheiden sich erheblich. Diese Vorschriften können im unterschwelligen Vergabeverfahren bei „grenzüberschreitendem Interesse“ zu Problemen führen.
Entscheidungen:
EuGH, Urt. v. 10. Juli 2014 – C-358/12 – VergabeR 2014, 775, m. Anm. v. Herrmann, Alexander -Libor – berechtigter Ausschluss wegen Nichtzahlung der Sozialbeiträge in Höhe von 278 € - Aufträge unterhalb des Schwellenwerts und „grenzüberschreitendes Interesse“ (bejaht
EuGH, Urt. v. 18.9.2014 – C-549/13 – Bundesdruckerei – Nachunternehmer des Bieters mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2014 – VII-Verg 39/14 VergabeR 2014, 803, m. Anm. v. Hübner, Alexander – Interferon - ILO-Kernarbeitsnormen II – Förderung von Beruf und Familie –
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.2014 - VII - Verg 28/13 – Interferon – ILO-Kernarbeitsnormen - Tariftreue
OLG Koblenz, Beschl. v. 19.02.2014 - 1 Verg 8/13 – Mindestlohn – Postdienste Stadt Landau – Vorlage an EuGH -
OLG München, Beschl. v. 25.09.2014 - Verg 10/14 – Reinigungsleistungen -
Vergabekammer Bund, Beschl. v. 5.11.2013 - VK 2 – 100/13 – Arzneimittel-Rabattrahmenvertrag - §§ 107 II, 97 VII GWB – Verlangen von Verpflichtungserklärungen (Tariftreueerklärung – ILO-Kernarbeitsnormen – TVgG NRW)
Büdenbender, Martin, Die Tariftreue- und Vergabegesetze der Bundesländer - ein Überblick, Vergabe News 2014, 26
Forst, Gerrit, Staht der vergaberechtliche Mindestlohn vor dem Aus?, NJW 2014, 3755
Noch, Rainer, Ausschlussgrund Lohndumping, Vergabe Navigator 2013, 31
Rhein, Kay-Uwe, Die Tariftreue auf dem Prüfstand , Vergabe Navigator 2014, 5
Schwabe, Christof, Forderung nach sozialversicherungspflichtigem Personal in Vergabeverfahren? NZBau 2013, 753
Einzelfragen:
Nichtzahlung von Sozialbeiträgen – EuGH, Urt. v. 10. Juli 2014 – C-358/12 – VergabeR 2014, 775, m. Anm. v. Herrmann, Alexander - Libor – berechtigter Ausschluss wegen Nichtzahlung der Sozialbeiträge in Höhe von 278 € - Aufträge unterhalb des Schwellenwerts und „grenzüberschreitendes Interesse“ (bejaht) - Verhältnismäßigkeit – Rechtssicherheit - Begriff des schwerwiegenden Verstoßes – ausreichend Zahlungsdifferenz von mehr als 100 Euro und mehr als 5 % der geschuldeten Beträge – Verstoß gegen Ministerialerlass: „Soweit es nur um die Teilnahme an einer Ausschreibung für einen öffentlichen Auftrags geht, steht eine nicht bedeutende Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Beträgen in Bezug auf jeden Sozialversicherungsträger und jede Bauarbeiterkasse der Ausstellung des DURC nicht entgegen. Als nicht bedeutend wird eine Differenz unter oder in Höhe von 5% zwischen den geschuldeten und den entrichteten Beträgen hinsichtlich jedes Entrichtungs- oder Beitragszeitraums oder jedenfalls eine Differenz unter 100 Euro angesehen, wobei der genannte Betrag innerhalb von dreißig Tagen nach Ausstellung des DURC entrichtet werden muss.“ –
Mindestlohn bei Nachunternehmer im EU-Ausland - EuGH, Urt. v. 18.9.2014 – C-549/13 – Bundesdruckerei – Mindestlohn - Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Richtlinie 96/71/EG – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge – Nationale Rechtsvorschriften, die den Bietern und ihren Nachunternehmern vorschreiben, sich zur Zahlung eines Mindestentgelts an die Beschäftigten zu verpflichten, die die Leistungen ausführen – Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat - Entscheidungsgrundsätze: „In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, in der ein Bieter beabsichtigt, einen öffentlichen Auftrag ausschließlich durch Inanspruchnahme von Arbeitnehmern auszuführen, die bei einem Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dem der öffentliche Auftraggeber angehört, beschäftigt sind, steht Art. 56 AEUV der Anwendung von Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem dieser öffentliche Auftraggeber angehört, entgegen, die diesen Nachunternehmer verpflichten, den genannten Arbeitnehmern ein mit diesen Rechtsvorschriften festgelegtes Mindestentgelt zu zahlen.“
Keine Anhaltspunkte für unterlassene Mindestlohnzahlung in der Vergangenheit - OLG München, Beschl. v. 25.09.2014 - Verg 10/14 – Reinigungsleistungen - § 19 VI EG VOL/A - Aufgreifschwelle unter 10 % (im konkreten Fall: 9 %) – Aufgreifschwelle ca. 20 % Preisabstand zum zweitrangigen Bieter nicht erreicht - keine Anhaltspunkte für Unauskömmlichkeit –„Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegnerin bereits seit 2011 die nun ausgeschriebenen Leistungen erbringt, die bisher bezahlte Vergütung unter dem nunmehrigen Angebot liegt und keine Hinweise darauf gegeben sind, dass die Beschwerdegegnerin in der Vergangenheit - sei es in der S. - Klinik oder anderswo - den tariflichen / gesetzlichen Mindestlohn nicht bezahlt hat. Die sich gegenüber der Kalkulation der Beschwerdeführerin ergebenden Bedenken müssen demgegenüber auch unter Berücksichtigung des der Beschwerdeführerin zustehenden Beurteilungsspielraumes zurücktreten.“
Mindestlohn – Vorlage an EuGH - OLG Koblenz, Beschl. v. 19.02.2014 - 1 Verg 8/13 – Mindestlohn – Postdienste Stadt Landau – Vorlage an EuGH - § 3 LTTG RLP, Art. 56 AEUV, § 3 Abs. 1 RL 96/71/EG (VK Rheinland-Pfalz vom 25.10.2013, VK 2 – 18/13 – amtliche Leitsätze: Der Senat neigt zu der Auffassung, dass Art. 56 AEUV i.V.m. Art. 3 Abs. der Richtlinie 96/71/EG dahingehend auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie § 3 LTTG Rheinland-Pfalz entgegensteht. Die Sache wird deshalb gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt. – „§ 3 Abs. 1 LTTG lautet „Soweit nicht nach § 4 Tariftreue gefordert werden kann, dürfen öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung ein Entgelt von mindestens 8,50 Euro (brutto) pro Stunde zu zahlen (Mindestentgelt) und Änderungen des Mindestentgelts aufgrund Rechtsverordnung der Landesregierung nach Absatz 2 während der Ausführungslaufzeit gegenüber den Beschäftigten nachzuvollziehen. Satz 1 gilt nicht für die Leistungserbringung durch Auszubildende. Fehlt die Mindestentgelterklärung bei Angebotsabgabe und wird sie auch nach Aufforderung nicht vorgelegt, so ist das Angebot von der Wertung auszuschließen. Hat die Servicestelle nach § 4 Abs. 5 Muster zur Abgabe von Mindestentgelterklärungen öffentlich bekannt gemacht, können diese verwendet werden.“ - Aufgrund einer Änderungsverordnung der Landesregierung vom 11. Dezember 2012 beträgt das Mindestentgelt in Rheinland-Pfalz derzeit 8,70 €/h.
Tariftreue – zulässige Verpflichtungserklärung der Nachunternehmer - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.2014 - VII - Verg 28/13 – Interferon – ILO-Kernarbeitsnormen – TVG NRW - § 18 TVgG - NRW, § 97 Abs. 4 S. 2 GWB, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, Art. 72 Abs. 1 GG, Art. 70 GG – amtliche Leitsätze: „.... 4. Beim Erlass des § 18 TVgG NRW, hat der Landesgesetzgeber die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes nicht verletzt. 5. Die Verpflichtungserklärung gemäß § 18 TVgG NRW stellt, soweit sie im Hinblick auf Nachunternehmer verlangt wird, keinen Vertrag zu Lasten Dritter dar.“
Tariftreue – Überprüfung auf EU-Rechtswidrigkeit - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 5.11.2013 - VK 2 – 100/13 – Arzneimittel-Rabattrahmenvertrag - §§ 107 II, 97 VII GWB – Verlangen von Verpflichtungserklärungen (Tariftreueerklärung – ILO-Kernarbeitsnormen – TVgG NRW) - keine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich der EU-Rechtswidrigkeit: “Die Kammer ist auch nicht im Wege der ihr grundsätzlich obliegenden Amtsermittlung (vgl. § 110 GWB) gehalten, vergaberechtliche Fragen zu klären, durch die die ASt nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (so ausdrücklich: Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Aufl. 2011, Rn. 6 zu § 110 GWB). Es findet gerade keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Selbst wenn man eine Überprüfungspflicht bejahen sollte, hält die Kammer an ihrer Rechtsauffassung (vgl. Beschluss vom 31. Juli 2013, VK 2 – 58/13) fest, dass die Antragsgegnerin zu 1) als öffentliche Auftraggeberin in der Rechtsform einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts an Recht und Gesetz gebunden ist. Sie könnte die Anforderungen nach dem TVgG-NRW selbst dann nicht unbeachtet lassen, wenn sie von deren Europa- bzw. Bundesrechtswidrigkeit ausginge. Es stellt keinen Vergabefehler dar, wenn ein öffentlicher Auftraggeber die Vorgaben eines Landesgesetzes beachtet; es kann ihm nicht zugemutet werden, die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen und die Vorgaben auf Verdacht unangewendet zu lassen.“ – weitere Rüge: zu kurze Vorlauffrist zwischen Zuschlag und Arbeitsbeginn – hier im Einzelfall nicht durchgreifend insbesondere auch mit Blick auf den Rahmenvertrag: „Dem hier zu vergebenden Rahmenvertrag ist ohnehin eine grundsätzliche Ungewissheit immanent, ob sich die aufgrund der in der Vergangenheit abgegebenen Arzneimittel-Packungen theoretisch zu prognostizierenden Absatzzahlen auch tatsächlich bei der Vertragsdurchführung realisieren werden. Daher ist die ASt ohnehin schon gehalten, ihre Bestellmengen nicht punktgenau an den Erfahrungswerten auszurichten, sondern vielmehr eine gewisse Volatilität zu antizipieren.“
ILO-Kernarbeitsnormen II – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2014 – VII-Verg 39/14 VergabeR 2014, 803, m. Anm. v. Hübner, Alexander – Interferon - ILO-Kernarbeitsnormen II – Förderung von Beruf und Familie – Rabattrahmenvertrag gemäß § 130a VIII SGB V – Ausschlussgründe wegen der „persönlichen Lage“ - „besondere Anforderungen“ für die Ausführung des Auftrags – unzutreffende Einordnung durch Vergabestelle – sachlicher Zusammenhang – aus der Entscheidung: „Die Forderung der Abgabe von Verpflichtungserklärungen gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 TVgG NRW zu den ILO-Kernarbeitsnormen in den Anlagen 12 und 12a der Bewerbungsbedingungen sowie zur Förderung von Beruf und Familie gemäß §§ 19 TVgG, 16 ff. RVO TVgG NRW in Anlage 12b der Bewerbungsbedingungen war als Nachweis zur persönlichen Lage des Bieters vergaberechtswidrig. ... falsche Einordnung der an sich zulässigen Verpflichtungserklärungen führt zur Zurückversetzung des Verfahrens zumindest von der Angebotsaufforderung an – keine zu kurze Vorlaufzeit – vgl. im Übrigen Beschl. v. 29.1.2014 – VII-Verg 28/13 – Hinweise: Wiederum zeigt eine Entscheidung, dass zwischen Eignung, Anforderungen für die Ausführung und daneben auch Zuschlagskriterien strikt zu unterscheiden ist. Das entspricht zwar dem Wortlaut des § 97 IV und V GWB sowie der einschlägigen Kommentierung, wohl aber nicht dem für das Vergabeverfahren auch zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatzes. Die Entscheidung der Vergabekammer Bund, Beschl. v. 5. 11. 2013 -
VK 2 - 100/13
darf als praxisnäher eingestuft werden. Das OLG Düsseldorf entscheidet m. E. formalistisch.
Eignung und ILO-Kernarbeitsnormen I – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.01.2014 - VII - Verg 28/13 – Interferon – ILO-Kernarbeitsnormen – TVG NRW - § 18 TVgG - NRW, § 97 Abs. 4 S. 2 GWB, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, Art. 72 Abs. 1 GG, Art. 70 GG – amtliche Leitsätze: 1. Das Fordern von Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen gemäß § 18 TVgG NRW als Nachweis der beruflichen (technischen) Leistungsfähigkeit von Bietern verstößt ebenso gegen Vergaberecht, wie das Fordern als Nachweis zur persönlichen Lage eines Bieters. Die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen stellt keine allgemeine Anforderung an die Unternehmen dar. 2. Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen gemäß § 18 TVgG NRW können vom öffentlichen Auftraggeber als zusätzliche Anforderungen (Bedingungen) an die Auftragsausführung gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB verlangt werden. 3. Bei öffentlichen Lieferaufträgen (und Dienstleistungsaufträgen) liegen die Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB und von Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG für die Forderung der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen durch den öffentlichen Auftraggeber vor, weil sie den Prozess der Lieferung (oder Leistung) betreffen und einen sachlichen Zusammenhang zum Auftragsgegenstand aufweisen. 4. Beim Erlass des § 18 TVgG NRW, hat der Landesgesetzgeber die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes nicht verletzt. 5. Die Verpflichtungserklärung gemäß § 18 TVgG NRW stellt, soweit sie im Hinblick auf Nachunternehmer verlangt wird, keinen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
ILO-Kernarbeitsnormen und Tariftreue – Nachprüfung der EU-Rechtswidrigkeit – Rabattrahmenvertrag - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 5.11.2013 - VK 2 – 100/13 – Arzneimittel-Rabattrahmenvertrag - §§ 107 II, 97 VII GWB – Verlangen von Verpflichtungserklärungen (Tariftreueerklärung – ILO-Kernarbeitsnormen – TVgG NRW) - keine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich der EU-Rechtswidrigkeit: “Die Kammer ist auch nicht im Wege der ihr grundsätzlich obliegenden Amtsermittlung (vgl. § 110 GWB) gehalten, vergaberechtliche Fragen zu klären, durch die die ASt nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (so ausdrücklich: Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 1. Aufl. 2011, Rn. 6 zu § 110 GWB). Es findet gerade keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Selbst wenn man eine Überprüfungspflicht bejahen sollte, hält die Kammer an ihrer Rechtsauffassung (vgl. Beschluss vom 31. Juli 2013, VK 2 – 58/13) fest, dass die Antragsgegnerin zu 1) als öffentliche Auftraggeberin in der Rechtsform einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts an Recht und Gesetz gebunden ist. Sie könnte die Anforderungen nach dem TVgG-NRW selbst dann nicht unbeachtet lassen, wenn sie von deren Europa- bzw. Bundesrechtswidrigkeit ausginge. Es stellt keinen Vergabefehler dar, wenn ein öffentlicher Auftraggeber die Vorgaben eines Landesgesetzes beachtet; es kann ihm nicht zugemutet werden, die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen und die Vorgaben auf Verdacht unangewendet zu lassen.“ – weitere Rüge: zu kurze Vorlauffrist zwischen Zuschlag und Arbeitsbeginn – hier im Einzelfall nicht durchgreifend insbesondere auch mit Blick auf den Rahmenvertrag: „Dem hier zu vergebenden Rahmenvertrag ist ohnehin eine grundsätzliche Ungewissheit immanent, ob sich die aufgrund der in der Vergangenheit abgegebenen Arzneimittel-Packungen theoretisch zu prognostizierenden Absatzzahlen auch tatsächlich bei der Vertragsdurchführung realisieren werden. Daher ist die ASt ohnehin schon gehalten, ihre Bestellmengen nicht punktgenau an den Erfahrungswerten auszurichten, sondern vielmehr eine gewisse Volatilität zu antizipieren.“
Förderung von Beruf und Familie – OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2014 – VII-Verg 39/14 VergabeR 2014, 803, m. Anm. v. Hübner, Alexander – Interferon - ILO-Kernarbeitsnormen II – Förderung von Beruf und Familie – aus der Entscheidung: „Die Forderung der Abgabe von Verpflichtungserklärungen gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 TVgG NRW zu den ILO-Kernarbeitsnormen in den Anlagen 12 und 12a der Bewerbungsbedingungen sowie zur Förderung von Beruf und Familie gemäß §§ 19 TVgG, 16 ff. RVO TVgG NRW in Anlage 12b der Bewerbungsbedingungen war als Nachweis zur persönlichen Lage des Bieters vergaberechtswidrig. ... Entgegen der vergaberechtlichen Einordnung der nach §§ 18, 19 TVgG, 14, 16 ff. RVO NRW geforderten Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen sowie zur Förderung von Beruf und Familie durch die Antragsgegnerin zu 1 in die Phase der Eignungsprüfung, handelt es sich um zusätzliche Bedingungen (Anforderungen) an die Auftragsausführung im Sinn von § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB (Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG i.V.m. Erwägungsgrund 33 sowie Art. 70 Richtlinie 2014/24/EU i.V.m. Erwägungsgrund 98 UA 2). .... zur Berücksichtigung von Aspekten der Frauenförderung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorliegen, begegnet mit Blick auf den allgemeinen Bezug darin teilweise vorgesehener Maßnahmen (Katalogmaßnahmen) zum Unternehmen zumindest bei Lieferaufträgen Bedenken, weil Mitarbeiter, die in den Prozess einer Lieferleistung eingebunden sind, in aller Regel an mehreren Lieferaufträgen gleichzeitig mitwirken und eine Zuordnung von Fördermaßnahmen zu einem konkreten Lieferauftrag nur schwer möglich ist. Das bedarf aber wegen der unzulässigen Verankerung der gestellten Anforderung in die Phase der Eignung keiner weiteren rechtlichen Erörterung. Da die Antragsgegnerin zu 1 nämlich die Vorlage der Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen sowie zur Förderung von Beruf und Familie nicht als zusätzliche Bedingungen an die Auftragsausführung, sondern als Anforderung an die Eignung verlangt hat, hat sie gegen Vergaberecht verstoßen....“ - falsche Einordnung der an sich zulässigen Verpflichtungserklärungen führt zur Zurückversetzung des Verfahrens zumindest von der Angebotsaufforderung an.
18. Interimsvergabe
Unter bestimmten Umständen können „Interimsvergaben“ in Betracht kommen (z. B. bei ablaufen von Verträgen, Nachprüfungsverfahren und Zuschlagssperre etc.).
Neue Verträge können oder werden nicht vergeben.
Diese Interimsvergaben kommen grundsätzlich nur in Betracht, soweit sie zeitlich und sachlich erforderlich sind. Sie werden daher nur befristet oder bedingt vergeben.
Auch die Freihändige Vergabe kann durchgeführt werden, sofern z. B. „zwingende Dringlichkeit“ vorliegt. Ferner in den Fällen, in denen die Versorgung der Bürger sicher zu stellen ist (Verkehr, Energie, Trinkwasser etc.). Hier kann eine Interimsvergabe auch dann durchgeführt werden, wenn die Umstände vom Auftraggeber zu vertreten sind.
Interimsvergaben können Gegenstand von Nachprüfungsverfahren sein.
Problematisch ist die Berechnung des Auftragswerts (nur „Interimsauftragswert“ oder Addition dieses Wertes und des „Gesamtauftragswerts“). Das könnte in den Fällen dahinstehen, in denen ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb für den Interimsauftrag in Betracht kommt (vgl. § 3 IV EG VOL/A).
Maßgeblich ist der Auftragswert des Interimsauftrags. Liegt dieser unterhalb des Schwellenwerts, so darf ein nationales Vergabeverfahren durchgeführt werden – mit der Folge, dass die Anrufung der Vergabekammer infolge Nichterreichens des Schwellenwerts unzulässig ist.
Entscheidungen:
OLG Celle, Beschl. v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14 – NZBau 2014, 780 – Rettungsdienst Emsland –
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.08.2014, VII - Verg 15/14 – Interimsauftrag – Auftragswert
OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich
Vergabekammer Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung – Interimsvergabe – Auftragswertberechnung – Additionsgebot
Einzelfragen
Auftragswert des Interimsvergabe - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.08.2014, VII - Verg 15/14 – Interimsauftrag – Krankentransport – Auftragswert – Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Auftrags und Auftragswerts: Antragsteller (Bieter) – Interimsauftragswert unterhalb des Schwellenwerts – Unzulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens – Anhang IB - §§ 2 VgV, 102 GWB – „Der dem Beigeladenen erteilte Interimsauftrag ... hat am 31. Mai 2014 geendet. Seit dem 1. Juni 2014 führt die Antragsgegnerin die streitigen Leistungen mit eigenen Mitteln durch. ... Unabhängig davon: Für sein gegenteiliges Vorbringen hat der Antragsteller keinen Beweis angetreten. Der Antragsteller ist dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass und in welchem (den maßgebenden Schwellenwert erreichenden) Umfang der öffentliche Auftraggeber einen der Nachprüfung nach dem GWB zu unterziehenden Auftrag erteilt hat. Die dafür vorgetragenen Indizien sind nicht so zu bewerten, dass die Antragsgegnerin einen Vortrag des Antragstellers zu widerlegen hat. ... Bei diesem Verständnis des Gegenstands und des zeitlichen Umfangs des dem Beigeladenen erteilten Auftrags ist der nach § 2 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 2 VgV maßgebende Schwellenwert 200.000 Euro nicht erreicht (die Auftragsvergabe betrifft im Übrigen nicht-prioritäre Dienstleistungen nach Anlage 1, Teil B, Kategorie 25 der VgV). Infolgedessen ist das GWB-Vergaberecht nicht anzuwenden und ist der Nachprüfungsantrag unzulässig (§ 100 Abs. 1 GWB). .... Der Nachprüfungsantrag hat sich allein auf Auftragsvergaben seit dem 1. Januar 2014 bezogen.“
Frist nach § 101b II GWB – OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich - § 6 SektVO, § 101 b Abs. 2 GWB, § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 98 Nr. 4 GWB (VK Hessen vom 15.10.2013, 69 d VK 22 – 2013) - Amtliche Leitsätze: 1. Die 30 Tage-Frist gem. § 101b Abs. 2 GWB, binnen derer die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe im Sinne von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB festgestellt werden kann, beginnt nicht, solange ein schwebend unwirksamer Vertrag noch nicht durch Genehmigung des Vertretenen wirksam geworden ist. Zweifel an der Wirksamkeit gehen zu Lasten des Auftraggebers.
Beginn des Vergabeverfahrens - OLG Celle, Beschl. v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14 – NZBau 2014, 780 – Rettungsdienst Emsland – interne Vorbereitung der Leistungsbeschreibung etc. – Erledigungserklärung nach Aufforderung zur Interessenbekundung für eine Interimsvergabe – spätere EU-weite Bekanntmachung hinsichtlich der Rettungsdienste -
Daseinsvorsorge - Verschulden – besondere Dringlichkeit – notwendige Beschaffung - OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich - § 6 SektVO, § 101 b Abs. 2 GWB, § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 98 Nr. 4 GWB (VK Hessen vom 15.10.2013, 69 d VK 22 – 2013) - Amtliche Leitsätze: 1. Die 30 Tage-Frist gem. § 101b Abs. 2 GWB, binnen derer die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe im Sinne von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB festgestellt werden kann, beginnt nicht, solange ein schwebend unwirksamer Vertrag noch nicht durch Genehmigung des Vertretenen wirksam geworden ist. Zweifel an der Wirksamkeit gehen zu Lasten des Auftraggebers. 2. Im Bereich der Daseinsvorsorge (hier: öffentlicher Personenverkehr) kann Dringlichkeit einer Interimsvergabe auch dann gegeben sein, wenn sie auf vom Auftraggeber zu vertretenden Umständen beruht. 3. Auch bei besonderer Dringlichkeit einer Interimsvergabe kommt eine Direktvergabe in der Regel allenfalls solange in Betracht, bis über eine endgültige Interimsvergabe in einem wettbewerblichen Verfahren entschieden werden kann.
Auftragswert bei Interimsvergabe – Vergabekammer Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung – Interimsvergabe – Auftragswertberechnung – Additionsgebot - amtliche Leitsätze: 1. Verringert sich der Leistungszeitraum und damit auch der Leistungsumfang eines europaweit auszuschreibenden Vergabeverfahrens durch eine im geplanten Leistungszeitraum durchgeführte Interimsvergabe, ist für die Schwellenwertberechnung der Auftragswert der Interimsvergabe mit dem - um den Zeitraum der Interimsvergabe geminderten - Auftragswert der europaweiten Vergabe zusammenzurechnen. In diesen Fällen ist auch die Interimsvergabe nach den Grundsätzen der Vergabe von Leistungen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG durchzuführen..
19. Gesamtvergabe – Lose
Grundsätzlich sind Mittelstandsinteressen nach §§ 97III, 5 VOB/A, 2 II VOL/A zu berücksichtigen. Hierzu sind Lose zu bilden (Mengen- oder Fachlose).
Eine Gesamtvergabe ohne Losaufteilung ist nur aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen zulässig.
Die Gründe für die Gesamtvergabe sind zu dokumentieren.
Rechtsberatung und technische Beratung sind in der Regel losweise zu vergeben.
Entscheidungen:
Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt
Kammergericht Berlin, Beschl. v. 20.02.2014 - Verg 10/13 –teilweise Identität zweier Bietergemeinschaften und Abgabe auf mehrere Lose
Ziekow, Jan: Das Gebot der vornehmlichen Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, GewArch 2013, 417
Einzelfragen:
Technische und rechtliche Beratung als Gesamtauftrag ohne Losaufteilung – Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt – technische und rechtliche Beratung ohne Losaufteilung – Basis EVB-IT-Dienstvertrag – Rüge der Gesamtvergabe, Vermischung der technischen und rechtlichen Beratung – Nichtbeachtung anwaltlicher Standesrechts, ungewöhnliches Wagnis infolge Verlangens eines einheitlichen Tagesberatungssatzes für Technik und Recht – unzulässige Gesamtvergabe – gebotene Losaufteilung (Abgrenzung zu den Entscheidungen des OLG Celle, NZBau 2010, 715 – Landeskriminalamt Niedersachsen, und OLG Jena NZBau 2007, 730 – ÖPP-Projekt-Schulen) – Aufteilung im konkreten Fall sinnvoll und möglich – Problematisierung des Projektmanagements wegen Verstoßes gegen § 5 I RDG – auch problematisch die anwaltliche Tätigkeit als „Erfüllungsgehilfe“ eines Unternehmers infolge erforderlicher Selbstvornahmepflicht und –verantwortlichkeit.
Kammergericht Berlin, Beschl. v. 20.02.2014 - Verg 10/13 –– teilweise Identität zweier Bietergemeinschaften und Abgabe auf mehrere Lose trotz Beschränkung der Angebote auf ein Los in Vergabeunterlagen
20. IT – Software
IT- und insbesondere Softwarebeschaffungen werfen erhebliche Probleme auf.
Immerhin stehen mit den EVB-IT-Vertragsmustern (vgl. www.cio.bund.de) zur Verfügung.
Üblicherweise ist zunächst ein Auftrag für die Erarbeitung Lasten- und Pflichthefts (BVB-Planung) zu erteilen, das sodann als Leistungsbeschreibung für die Realisierung dient.
In den EVB-IT-Vertragsmustern werden diese Fragen nicht behandelt (Gesamtvergabe, Losvergabe etc.).
Generell macht die Leistungsbeschreibung wegen der Innovation in diesem Bereich besondere Probleme (Zulassung von Nebenangeboten, Mindestbedingungen, Markterkundung, Marktübersicht etc.).
Das „Bestimmungsrecht“ steht dem Auftraggeber zu. Er muss jedoch die entsprechenden Grenzen auch und insbesondere hier beachten. Die Entscheidung für eine bestimmte Software, ein bestimmtes System etc. muss durch nachziehbare Gründe (technisch, wirtschaftlich) dokumentiert werden. Ohne nachgewiesene Markterkundung ist dieser Weg nicht zu empfehlen.
Entscheidungen:
OLG Naumburg, Beschl. v. 30.04.14 - 2 Verg 2/14 – Baumanagementsoftware
Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3. 9. 2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt – technische und rechtliche Beratung
Vergabekammer Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14 - §§ 101 b GWB – Erneuerung, Lieferung, Montage, Inbetriebnahme eines Systems mit IP-Netz und Softwareentwicklung (Los 1) und Lieferung, Montage, Inbetriebnahme der Beschallungsanlagen (Los 2) Software –
Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 27.01.2014 - 2 VK 15 / 13 – Software - kamerale Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen („HKR“) - Weiterentwicklung der bisherigen Software oder (statt) Beschaffung der Konkurrenzsoftware –
Lisch, Karsten, Die produktbezogene Beschaffung von IT-Leistungen, CR 2013, 761
Röttgen, Klaus, Klauseln zur Vervollständigung der Leistungsbeschreibung in IT Verträgen (Vollständigkeitsklauseln), (CR 2013, 628
Noch, Rainer, Inkompatible Konkurrenz, Vergabe Navigator 2014, 28
Einzelfragen:
Bestimmungsfreiheit und –recht - Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 27.01.2014 - 2 VK 15 / 13 – Software - kamerale Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen („HKR“) - Weiterentwicklung der bisherigen Software statt Beschaffung der Konkurrenzsoftware – Wirtschaftlichkeitsrechnung durch externen Berater ( Variantenvergleich) - § 107 II, III Nr. 3 GWB - „Bei der Beschaffungsentscheidung ist der Auftraggeber vergaberechtlich grundsätzlich ungebunden. Vergaberechtliche Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers bestehen nur insoweit, als dieser grundsätzlich gehalten ist, den Marktzugang für alle potentiellen Bieter offen zu halten, indem er nach Möglichkeit Beschränkungen des Wettbewerbs durch zu enge, auf bestimmte Produkte oder Bieter zugeschnittene Leistungsbeschreibungen unterlässt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2013, 15 Verg 5/13, vpr-online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2013, Verg 16/12, Rdnr. 33, juris).
Unklarheiten der Bekanntmachung - Software - OLG Naumburg, Beschl. v. 30.04.14 - 2 Verg 2/14 – Baumanagementsoftware – Unklarheiten der Bekanntmachung – Verhandlungs-verfahren mit Teilnahmewettbewerb – unberechtigtes Verlangen von „fünf Referenzen“ – Mitteilung des Auftraggebers (Zahl der Referenzen nicht maßgeblich) – Heilung verlangt insbesondere erneute Bekanntmachung mit einer angemessenen Bewerbungsfrist - Leitsätze: 1. Eine im Vergabeverfahren verwendete Bekanntmachung ist dahin auszulegen, wie der Text von einem fachkundigen Unternehmen, welches die Gepflogenheiten des konkreten Auftraggebers nicht kennt, verstanden werden muss (hier: bezüglich der Forderung nach Vorlage von fünf Referenzen). 2. Die wirksame Heilung eines Fehlers im Bekanntmachungstext setzt eine Veröffentlichung der Berichtigung in dem Pflichtmedium, d.h. hier im Supplement des Amtsblatts der EU, voraus. 3. Für die Angemessenheit einer (verbleibenden) Bewerbungsfrist nach der gebotenen Herstellung der Transparenz der Bewerbungsbedingungen kommt es nicht allein darauf an, ob in dieser Zeit die Erstellung eines Teilnahmeantrags und dessen Übermittlung an die Vergabestelle in rein „technischer“ Hinsicht noch möglich gewesen wäre, sondern darauf, ob die verbleibende Zeit auch genügt, einen Teilnahmeantrag in hoher Qualität mit echten Auswahlchancen im Teilnahmewettbewerb zu erstellen.
Unzulässige Gesamtvergabe der technischen und rechtlichen Beratung bei der Vergabe von IT-Leistungen und Software - Vergabekammer Brandenburg, Beschl. v. 3.9.2014 – VK 14/14 – NZBau 2014, 793 - Landesverwaltungsnetzprojekt – technische und rechtliche Beratung ohne Losaufteilung – Basis EVB-IT-Dienstvertrag – umfangreicher Kriterienkatalog – Rüge der Gesamtvergabe, Vermischung der technischen Beratung mit der rechtlichen – Nichtbeachtung anwaltlicher Standesrechts, ungewöhnliches Wagnis infolge Verlangens eines einheitlichen Tagesberatungssatzes für Technik und Recht – Antragsbefugnis auch ohne Abgabe eines Angebots, da durch Vergabefehler verhindert – Begründetheit: unzulässige Gesamtvergabe – gebotene Losaufteilung (ausführlichere rechtstheoretische Begründung des Verzichts auf Losaufteilung und Prüfungsweise) – zwar Heilung von Dokumentationsmängeln, aber Vergaberechtswidrigkeit der Gesamtvergabe (Abgrenzung zu den Entscheidungen des OLG Celle, NZBau 2010, 715 – Landeskriminalamt Niedersachsen, und OLG Jena NZBau 2007, 730 – ÖPP-Projekt-Schulen) – Aufteilung im konkreten Fall sinnvoll und möglich – Problematisierung des Projektmanagements wegen Verstoßes gegen § 5 I RDG – auch problematisch anwaltliche Tätigkeit als „Erfüllungsgehilfe“ eines Unternehmers infolge erforderlicher Selbstvornahmepflicht und –verantwortlichkeit – intransparente und ungeeignete Wertungskriterien (abgesehen von fehlender Bekanntmachung) – Präsentationsbewertung grundsätzlich zulässig, aber Offenlegung der grundsätzlichen Erwartungen an den Inhalt der Präsentation - Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien – fehlender Bezug der Bewertungsmaßstäbe zur konkreten Leistung
Software - Vergabekammer Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14 - §§ 101 b GWB – Erneuerung, Lieferung, Montage, Inbetriebnahme eines Systems mit IP-Netz und Softwareentwicklung (Los 1) und Lieferung, Montage, Inbetriebnahme der Beschallungsanlagen (Los 2)
IT – Leistungen - Lisch, Karsten, Die produktbezogene Beschaffung von IT-Leistungen, CR 2013, 761
IT – Leistungsbeschreibung - Röttgen, Klaus, Klauseln zur Vervollständigung der Leistungsbeschreibung in IT Verträgen (Vollständigkeitsklauseln), (CR 2013, 628
IT - Lisch, Karsten, Die produktbezogene Beschaffung von IT- Leistungen, CR 2013, 761
IT - Noch, Rainer, Inkompatible Konkurrenz, Vergabe Navigator 2014, 28
IT - Röttgen, Klaus, Klauseln zur Vervollständigung der Leistungsbeschreibung in IT Verträgen (Vollständigkeitsklauseln), CR 2013, 628
21. Kein vorbeugender Rechtsschutz
Der Rechtsschutz im EU-Vergabeverfahren richtet sich nach den § 102 ff GWB (Nachprüfungsverfahren).
Ein „vorbeugender Rechtsschutz“ im Fall noch nicht begonnener Vergabeverfahren (Vorstufen, Vorüberlegungen, Gespräche etc.) bestgeht nicht.
Entscheidung:
OLG Koblenz Beschl. v. 15. 08. 2014 – 1 Verg 7/14 – VergabeR 2014, 829 – Flughafen Hahn – IT – kein Rechtsschutz nach den §§ 102 ff GWB für noch nicht begonnene Vergabeverfahren – „Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ist ungeachtet erheblicher Zweifel am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen, weil die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 30. Juli 2014 jedenfalls in der Hauptsache offensichtlich unbegründet ist. A) Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens sind, wie sich u.a. aus § 104 Abs. 2 GWB ableiten lässt, Handlungen und Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers in einem laufenden Vergabeverfahren; vorbeugender Rechtsschutz gegen vermutete Vergaberechtsverstöße in einem künftigen Vergabeverfahren wird nicht gewährt. Zwar ist die Bekanntmachung eines förmlichen Vergabeverfahrens keine notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der §§ 107 ff. GWB; es kann z.B. ausreichen, dass ein öffentlicher Auftraggeber in einem ungeregelten Verfahren der Beschaffung dienende Verhandlungen mit nur einem Unternehmen aufnimmt (BGH v. 01.02.2005 – X ZB 27/04). Die bloße Absichtsbekundung gegenüber dem derzeitigen Leistungserbringer, den nach Ablauf bestehender Verträge weiterhin gegebenen Bedarf – möglicherweise anders als früher – in einem förmlichen Vergabeverfahren decken zu wollen, ist aber – wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt hat – noch keine Einleitung eines der Nachprüfung zugänglichen Vergabeverfahrens (im materiellen Sinne). Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass es derzeit nichts gibt, das der Überprüfung zugänglich wäre. Gegen die Absicht eines öffentlichen Auftraggebers, geltendes Vergaberecht anzuwenden, ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Ob ein Dienstleistungsauftrag i.e.S. oder eine Dienstleistungskonzession vergeben werden soll, wird man ohnehin frühestens sehen, wenn die Bekanntmachung erfolgt ist. Welche Verfahrensart die Beschwerdegegnerin gemäß § 6 SektVO gewählt hat oder wählen wird, ist noch unbekannt; ebenso, ob/wie sie Lose ausschreibt (und damit dem selbstverständlich auch für Sektorenauftraggeber geltenden Gebot des Losvergabe < § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB; siehe auch § 30 Satz 1 SektVO > Rechnung trägt). Schließlich ist nicht ersichtlich, dass und warum es Auftraggebern in Rheinland-Pfalz bis zur Entscheidung des EuGH zum vergaberechtlichen Mindestlohn (rechtlich?) nicht möglich sein soll, ein Vergabeverfahren durchzuführen. Mit dem von der Beschwerdeführerin angesprochenen Dilemma muss sich zunächst die Beschwerdegegnerin befassen; noch ist das LTTG geltendes Recht. Rechte Dritter sind gegebenenfalls von diesen wahrzunehmen.“
22. Zuschüsse – Rückforderungen
Wenn mit Zuschüssen gearbeitet wird, ist das Vergaberecht zu beachten (Allgemeine Nebenbestimmungen etc.). Liegen Verstöße vor, so kann es zu Rückforderungen kommen. Das zeigen zahlreiche Entscheidungen. Zuwendungs-(Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgebot) und Vergaberecht (Wettbewerb, Gleichbehandlung, Transparenz) verfolgen insofern unterschiedliche Ziele. Rein formale Verstöße gegen Vergaberecht ohne Einfluss auf die wirtschaftliche Verwendung der Zuwendung führen regelmäßig nicht zu Rückforderung. Maßgeblich ist im Übrigen immer der Einzelfall.
Portz, Norbert, Rückforderung von Zuwendungen bei Vergaberechtsverstößen, VergabeR 2014, 266
Rückforderung - EuGH, Urt. v. 26.9.2013 – C-115/12 – Club-Feriendorf Region Martinique - Strukturinterventionen – Kürzung - Streichung des Zuschusses des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) - Rechtsmittel– Strukturintervention der Gemeinschaft in der Region Martinique – Kürzung eines Zuschusses wegen Verstoßes gegen Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge – Öffentliche Bauaufträge – Auslegung nach den Unionsvorschriften – Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge – Richtlinie 93/37/EWG – Art. 2 – Begriff ‚direkte Subvention‘ – Begriff ‚Sport-, Erholungs- und Freizeiteinrichtungen - EFRE-Subvention, der regionalen Subvention und der staatlichen Subvention in Höhe von 16 690 000 Euro in Form einer Steuerbefreiung = zu 63,33 % öffentliche Beihilfen – vollständiges Streichen der für das Vorhaben zur Renovierung und Erweiterung des Club Les Boucaniers gewährten Beteiligung des EFRE (12.460.000 €).
OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2014 – 17 U 5/14 – VergabeR 2014, 837, m. Anm. von Stolz, Bernhard - Baumaßnahme (Altersheim) – Klägerin [Auftraggeber] erhielt Zuschuss von ca. 4 Mio. € – Inanspruchnahme der Klägerin [Bau-Auftraggeber) durch Zuwendungsgeber wegen Verstößen u. a. der Allgemeinen Nebenbestimmungen (ANBest – Vergabe) – (Teil-)Widerruf - Rückforderung Bestandskraft des des Widerrufs (Klägerin legt keinen Widerspruch ein) – Regress der Bauauftraggeberin gegen Projektsteuerer (offen gelassen, ob Werk- oder Dienstvertrag – „Nach 3.2 der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P), die Anlage des Zuwendungsbescheids war, waren die Vorschriften der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) zu beachten. Unter "8. Bedingungen und Auflagen" des Zuwendungsbescheids hieß es u.a.: Bei Verstößen gegen die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) und die Verdingungsordnung für Leistungen, ausgenommen Bauleistungen (VOL) kann der Zuwendungsbescheid widerrufen und die Zuwendung widerrufen werden.“ – öffentliche Auftraggeberschaft der Klägerin [Auftraggeber] offen gelassen (vgl. § 98 Nr. GWB) – Erteilung der Aufträge ohne Vergabeverfahren und ohne Dokumentation (Sache des Projektsteuerers) – keine Ausnahmen von der Anwendung vergaberechtlicher Verfahren – Pflichtverletzung durch Projektsteuerer wegen Unterlassung des Vergabeverfahrens – Aufgaben des Projektsteuerers auch die Beachtung der vergaberechtlichen Vorschriften – Ansprüche aus § 280 I BGB – Irrelevanz des Vertrags der Bauauftraggeberin mit ihrem eigenen Architekten (kein mitwirkendes Verschulden – Gesamtschuldnerschaft denkbar) – fehlende öffentliche Ausschreibung für das Gewerk "Kunststofffenster" nach § 3 Nr. 2 VOB/A – fehlende Dokumentation
23. Unangemessene Wartefrist nach Information vor dem Zuschlag (Feiertage)
Die Ausnutzung der Mindestfristen des § 101a I GWB kann missbräuchlich sein. Wird die Information nach § 101a I GWB am 17.4.2014 (Gründonnerstag), um 17.00 Uhr, per Fax an die Bieter versandt, würde zum Ablauf der Frist für die Antragstellung vor der Vergabekammer am Sonntag, dem 27.4.2014, führen. Im Ergebnis würden damit dem Geschäftsführer eines Bieters praktisch nur drei Werktage für eine Überprüfung, Einschaltung eines Anwalts und Entscheidung zur Verfügung stehen.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.11.2014, VII - Verg 20/14 – Rahmenvertrag über Spot-Schaltungen –- Vorinformation vor Ostern durch Fax vom 17.4.2014, 17.00 Uhr, Gründonnerstag – Rüge durch Fax und Nachprüfungsantrag am 25.4.2014, - im Ergebnis unzulässige Abkürzung der Wartefrist auf drei Tage: „Die zeitlichen Auswirkungen einer solchen Vorgehensweise liegen offen zutage und sind dem Auftraggeber bekannt, weil er damit erfahrungsgemäß Überlegungen verbindet, zu welchem Zeitpunkt die Wartefrist endet und der Auftrag erteilt werden darf. Die dargestellte Vorgehensweise - hier die Wahl des Zeitpunkts der Bieterinformation in Ansehung der der Feiertage und der Wochenenden um Ostern 2014 - hat objektiv und unmittelbar zu einer drastischen Erschwerung für den Antragsteller geführt, effektiven Rechtsschutz gegen die Vergabeentscheidung zu erlangen. Innerhalb von drei Tagen nach Kenntnisnahme von der Bieterinformation in einem nicht einfach gelagertem Fall wie dem vorliegenden einen Nachprüfungsantrag einreichen zu müssen, ist dem Antragsteller nicht zuzumuten. Um die praktische Wirksamkeit der Rechtsschutzvorschriften des GWB zu gewährleisten, sind bei diesem Befund die Gerichte befugt, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet erscheinen, die objektiv eingetretene Erschwerung eines effektiven Rechtsschutzes auszugleichen und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes wiederherzustellen. Zu den in diesem Zusammenhang zu treffenden Maßnahmen zählt zum Beispiel die Auslegung, dass eine Bieterinformation der vorliegenden Art die Wartefrist des § 101a GWB nicht in Lauf setzen kann. Zu ihnen gehört aber auch der Verzicht darauf, dass der Nachprüfungsantrag von einer vorherigen Rüge durch den Antragsteller abhängig zu machen ist. Der Antragsteller darf sich in der Kürze der Zeit allein auf den Nachprüfungsantrag konzentrieren und der Auftraggeber kann sich in solchen Fällen nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der Rügeobliegenheit berufen.“
24. Rechtswidrigkeit – Rechtmäßigkeit der Aufhebung
Grundsätzlich besteht kein Zuschlagszwang.
Der Auftraggeber kann folglich immer aufheben.
Die Aufhebung ist im Nachprüfungsverfahren überprüfbar.
Fraglich ist jedoch, ob es sich um eine rechtmäßige oder rechtswidrige Aufhebung handelt.
Maßgeblich sind insofern die §§ 17 VOL/A, 20 EG VOL/A, 17 VOB/A, 17 EG VOB/A. Die insofern in Betracht kommenden Gründe (vor allem wesentliche Änderung der Grundlagen des Verfahrens, „andere schwerwiegende Gründe“) sind eng auszulegen (BGH).
Insofern geht es oberhalb der Schwellenwerte um die vergaberechtliche Nachprüfung (häufig als Feststellungsantrag nach erfolgter Aufhebung gemäß § 114 II GWB). Ob ein „schwerwiegender Grund“ zur Aufhebung berechtigt, ist Gegenstand einer Interessenabwägung im Einzelfall.
Erstattet werden nach § 126 I GWB grundsätzlich nur die Kosten für die Vorbereitung des Angebots oder der Teilnahme am Vergabeverfahren (allerdings ohne Rücksicht auf Verschulden).
Unberührt hiervon bleiben die Ansprüche nach den §§ 241 II, 311 II, III, 276, 249 BGB – frühere culpa in contrahendo. Die allerdings u. a. Verschulden voraussetzen.
Zu ersetzen ist der „Vertrauensschaden“ (grundsätzlich nur negatives Interesse – in praxi: nutzloser Aufwand für die Angebotserstellung) bzw. bei Vergabe in einem zweiten Verfahren ohne Änderung der Vergabeunterlagen auch das sog. „positive Interesse“ – z. B. als im Einzelfall bei Zuschlagserteilung im zweiten Vergabeverfahren auch entgangenen Gewinn.
Die Zivilgerichte, vor denen die Schadensersatzansprüche zu verfolgen sind, sind insofern an die Entscheidungen der Vergabekammern, der OLG und des BGH hinsichtlich der Rechtmäßig- bzw. Rechtswidrigkeit gebunden (vgl. §§ 124 I, 126 GWB).
Entscheidung
BGH, Beschl. v. 20.3.2014 - X ZB 18/13 – Fahrbahnerneuerung BAB 5 – Voraussetzungen der Divergenzvorlage – Beschränkung der Divergenzvorlage an den BGH durch OLG nicht zulässig - missverständliche Leistungsbeschreibung (einstreifige oder zweistreifige Leistungsbeschreibung) – unberechtigter Ausschluss des Angebots mit zweistreifiger Fahrbahnausführung - rechtskräftige Vergabekammerentscheidung (Berücksichtigung des Angebots des Antragstellers entgegen Auftraggeber) – sodann erfolgende Aufhebung durch Auftraggeber und zweites Nachprüfungsverfahren mit der Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung wegen wichtigen Grundes (enge Auslegung) - Frage der Interessenabwägung, nicht des Verschuldens (Klärung dieser Fragen des Schadensersatzanspruches im Zivilprozess) - - Art. 85 ff GG, §§ 109, 124 II GWB §§ 17 III Nr. 3, 17 I, Nr. 3 EG VOB/A, §§ 17 I d, 20 I 1 d) EG VOL/A – amtliche Leitsätze: Die Divergenzvorlage kann nur in denselben Grenzen auf Ausschnitte des Beschwerdeverfahrens beschränkt werden, in denen im Zivilprozess Teilurteile zulässig sind und die Zulassung der Revision wirksam beschränkt werden kann. Bei der Vergabe von Bau- bzw. Instandsetzungsarbeiten an einer Bundesautobahn ist als öffentlicher Auftraggeber und Antragsgegner im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren das jeweils betroffene Land anzusehen, nicht die Bundesrepublik Deutschland. Ob ein anderer schwerwiegender Grund vorliegt, der zur Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigt, ist aufgrund einer umfassenden, alle für die Aufhebungsentscheidung maßgeblichen Umstände berücksichtigenden Interessenabwägung zu entscheiden (Weiterführung von BGH, Urt. V. 12. 7. 2001 - X ZR 150/99, NZBau 2001, 637) – Aufhebung des Beschlusses des OLG – Zurückverweisung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg, soweit die Antragstellerin begehrt, die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufzuheben. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, dass die Vergabestelle das Vergabeverfahren infolge der Verwendung einer missverständlichen Leistungsbeschreibung (einstreifige oder zweistreifige Ausführung der Fahrbahn) aufgehoben hat. – Kostenentscheidung
25. No-spy-Erklärung – Unzulässigkeit als Eignungserklärung
Vergabekammer Bund, Beschl. v. 24.06.2014 - VK 2 - 39/14 – CR 2015, 15 – Rahmenvertrag – Entwicklung, Pflege und Unterstützung bei Softwareprojekt - No-Spy-Erklärung – § 10 I EG VOL/A; Art. 45 RL 2004/18/EG, §§ 97 IV, 101a GWB – Eignung – unzulässiges Verlangen der „no-spy-Erklärung“ als Eignungskriterium entgegen Art. 45 RL 2004/18/EG (abschließender Katalog der Kriterien) – Zulässigkeit als Anforderung an die Auftragsausführung (offen gelassen) – Angabe der „Gründe“, nicht der Begründung nach § 101a GWB – ausführliche Wertungskriterien (Projektmanagement, know-how-Transfer etc.) – Punktesystem - Beurteilungsspielraum bei Wertung (keine Verstöße) – Akteneinsicht (verweigert) -
v. Holleben/Probst/Winters, Np-Spy-Erlass vs. USA Patriot Act – Das Dilemma internationaler Bieter bei IT-Auftragsvergaben in Deutschland, Eine rechtliche Analyse des No-Spy-Erlasses und resultierende Handlungsempfehlungen für Unternehmen, CR 2015, 63
Probst/Winters, Der No-spy-Erlass in der Vergabepraxis, VergabeR 2015, 1