Oberlandesgericht Celle:
Wesentliche Änderungen von Verträgen, die ohne Vergabeverfahren vorgenommen werden, sind rechtswidrig und damit nichtig. Solche Änderungen können schwerwiegende Folgen haben, stellt das OLG Celle in seinem Beschluss vom 29. 10. 2009 fest.
Das OLG in seinem Urteil zur Nichtigkeit einer Vertragsänderung: Da die Änderung eine wesentliche Ergänzung der Leistungspflichten betrifft, hätte ein Vergabeverfahren durchgeführt werden müssen. Immerhin handelt es sich um eine Erweiterung um 1,5 Mio. €, was rund 12 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes ausmachte. Darin könne, so das OLG Celle, keine vergaberechtsfreie unwesentliche Änderung i. S. der Entscheidung des EuGH vom 19. 06. 2008 (Aktenzeichen: C-454/06) gesehen werden. Die Unterlassung des Vergabeverfahrens führe zur Nichtigkeit des Vertrags nach § 13 VgV in entsprechender Anwendung (vgl. seit dem 24. 04. 2009 § 101b GWB). Auch ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft lehnt das OLG Celle ab, da die 100-prozentige Tochter-GmbH zu 30 Prozent Leistungen für „Dritte“ erbrachte. Am Rande befasst sich das Gericht noch mit den Ausnahmetatbeständen des § 3a Nr. 2 d) („zwingende Dringlichkeit“) und f) („unvorhergesehene zusätzliche Dienstleistung“). Beide „eng auszulegende Vorschriften“ können ebenfalls nicht eingreifen und ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung rechtfertigen. Ferner rügt das OLG Celle auch die fehlende Dokumentation der Gründe für die genannten Ausnahmen. Die Entscheidung liegt klar auf der Linie des EuGH und sollte bei Vertragsänderungen aller Art zu einer ausführlichen Prüfung vor entsprechenden Schritten veranlassen. Die Komplikationen, die sich für die Beteiligten bei der Abwicklung nichtiger Verträge ergeben, dürften zu weiteren schwierigen Problemen führen, die man sich durch ein vergaberechtmäßiges Verfahren ersparen sollte.
OLG Celle, Beschl. v. 29. 10. 2009 - 13 Verg 8/09 - blaue Tonne – Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags auch ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens – keine vergaberechtsfreie Vertragsanpassung – Voraussetzung einer wesentlichen Änderung (Zulassung anderer Bieter als der ursprünglichen oder Annahme eines anderen als des ursprünglichen Angebots, Erweiterung des Auftrags in größerem Umfang im Vergleich mit der ursprünglichen Leistung, Veränderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zugunsten des Auftragnehmers) – im konkreten Fall 12 Prozent des ursprünglichen Auftrags = rund 1,5 Mio. €) – Ausnahme im Vertrag Änderung bereits vorgesehen nicht eingreifend – entsprechende Klausel des Vertrags deckt Änderung nicht ab: „Bei anderen wesentlichen Änderungen der Leistung, etwa aufgrund von geänderten rechtlichen Bestimmungen oder aufgrund von Satzungsänderungen oder anderer Beschlüsse des Landkreises L., gelten bezüglich Vertragsanpassungen/Preisanpassungen die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 2 VOL/B und die §§ 313, 314 BGB, soweit in diesem Vertrag nichts abweichendes geregelt ist.“ – kein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft – (zu hohe Umsätze für „Dritte“ – Leistungen an 100-Prozent-ige Tochtergesellschaft: 30 Prozent des Gesamtumsatzes) – keine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit (keine organisatorische Zusammenfassung der Aufgabe durch mehrere Kommunen, sondern Beschaffungsvorgang) – Antragsbefugnis – Erfüllung der Rügepflicht – keine Verwirkung nach § 242 BGB – Nichtigkeit des Vertrags analog § 13 VgV a. F. – kein Eingreifen von Ausnahmetatbeständen des § 3a Nr. d) (zwingende Dringlichkeit) und f) („unvorhergesehene zusätzliche Dienstleistung“)VOL/A – fehlende Dokumentation der Gründe für die Unterlassung der Bekanntmachung entgegen § 3a Nr. 3 VOL/A.
Hinweise: Das OLG Celle, aaO, befasst sich mit grundsätzlichen Fragen (Inhouse-Geschäft, vergaberechtsfreie interkommunale Kooperation, Verwirkung) und vor allem aber auch mit der Frage der Zulässigkeit von Vertragsänderungen ohne Durchführung von Vergabeverfahren. Diese insofern seit der entsprechenden EuGH-Entscheidung (Urt. v. 19.6.2008 – C-454/06 – pressetext - vgl. VOLaktuell 7/2008) grundsätzlich geklärte Fragen tauchen speziell im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge recht häufig auf. Das liegt natürlich an den langen Laufzeiten und möglichem Änderungsbedarf. In der Regel sind zwar in den Verträgen „Angstklauseln“ (auch Loyalitätsklauseln genannt) und Änderungsklauseln anzutreffen. Diese decken aber in der Regel die konkreten Änderungen nicht ab (vgl. im Übrigen VOLaktuell 10-11/2009 – zum Beitrag von Scharen).
Die Kommunen und ihre Rechtsberater sind insofern nicht zu beneiden. Das zeigt wiederum die in Begründung und Ergebnis zutreffende Entscheidung des OLG Celle. Ob die Änderungen des § 101b II GWB mit den dort vorgesehenen Ausschlussfristen für die Feststellung der Unwirksamkeit hier eine Verbesserung für die Kommunen darstellen, darf zwar angenommen, aber auch gleichzeitig bezweifelt werden. Schließlich ist zu beachten, dass es fraglich sein dürfte, ob diese Schranke auch die EU-Kommission und den EuGH bindet (vgl. hierzu Müller-Wrede, Hrsg., GWB, 2009, § 101b) Rn. 20; ferner etwa Leinemann, Das neue Vergaberecht, 2010, Rdnr. 94). Hinzu kommt, dass die Folgen unwirksamer Verträge zu erheblichen Abwicklungsproblemen führen. Welche Wirkungen die schwebende Unwirksamkeit der Verträge hat, wird auch mit Blick auf das mögliche Einschreiten der EU-Kommission und des EuGH in Zukunft der Klärung bedürfen. Bekanntlich sind nationale Schranken des Rechtsschutzes durchaus zulässig. Das müsste dann auch für die Ausschlussfrist des § 101b GWB gelten.
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