Theorie und Praxis

Endlich Erleichterungen des Vergabeverfahrens in den meisten Ländern – wirklich? Das Konjunkturpaket II brachte für die Jahre 2009 und 2010 einige Erleichterungen für die Wahl der Vergabeart (bis 100.000 € für Freihändige Vergabe oder Beschränkte Ausschreibung – im Bereich der VOL/A, weitergehend nach der VOB/A 100.000 € bzw. 1.000.000 €). Damit glaubte man, eine erhebliche Beschleunigung zu erreichen – wahrscheinlich deshalb, weil die Verantwortlichen selten oder generell überhaupt niemals Vergabeunterlagen erarbeitet haben. Sonst wäre ihnen bekannt, dass die wesentlich höheren Belastungen bei der Erarbeitung der Vergabeunterlagen und nicht bei der Wahl der Vergabeart anfallen (z. B. der Markterkundung und Marktübersicht etc.).

Die Vergabeart ist eine Folgeentscheidung der Marktübersicht, die sich bei der Vielzahl und Andersartigkeit der Gegenstände und Leistungen als äußerst schwierig herausstellen kann. Ganz abgesehen von den unvertretbar belastenden Beschaffungen von Reinigungs-Facility-Management- oder Freiberufler-Leistungen auch unterhalb der Schwellenwerte. Daran haben allerdings die Entlastungsversuche, die das Vergabeverfahren nach KOPA II betreffen, absolut nichts geändert. Es sind aber durchaus Möglichkeiten denkbar – auch im Rahmen entsprechender Verwaltungsvorschriften oder Dienstanweisungen, sofern nur die „Aufsichtsbehörden“, die die Arbeit natürlich nicht machen müssen, diese wirklichen Erleichterungen genehmigen würden. Dafür bestünde angesichts des Milliardenaufwands der Beteiligten aller Anlass.

Länderübersicht

 

 

 

Land

Verlängerung

Freihändige

Beschränkte

Fundstelle

Bremen

keine

 

 

 

Sachsen

keine

 

 

 

Brandenburg

Unbefristet für Kommunen – sonst 31.12.2011

100.000

Bau:

100.000

100.000

Bau 1 Mio.

Runderlass v. 13.12.2010 – 4. VO zur Änderung der GO….GVBl. II Nr. 37 u. 38

Bayern

30.6.2011

o. MwSt.

o. MwSt.

Bekanntmachung v. 8.11.2010 – Az: G48/10

Baden-Württem-berg

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

B-W: VwV Beschleunigung öA v. 3.12.2010 – Az: 6-4460.0302

Berlin

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

Berlin: Gem. Rundschreiben v. 8.11.2010 – II F Nr. 07/2010

Hessen

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

 

Nieder-sachsen

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

Niedersachsen: Gem. RdErl. v. 18.11.2010 – 24-32573/0020

Nordrhein-Westfalen

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

NRW: Gem. RdErl. 23.12.2010 – Az: I C 2 – 0055-3/H 4030-1IV A 3 – kommunal: RdErl. 34-48.07.01/99-1/10 – v. 2.12.2010

Rheinland-Pfalz

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

RP: Schreiben des Min. für W, V, LW und WB v. 9.8.2010

Sachsen-Anhalt

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

SA: RErl. v. 8.12.2010 MBl. S. 675

 

Schleswig-Holstein

31.12.2011

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

Schl-H.: LVO z. Änd. Der VgV v. 15.12.2010, GVBl. S. 777

Hamburg,.,

 

31.12.2012

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

Hamburg: VOL: BeschO v. 1.3.2009 idF v. 1.1.2011 – VOB: Rschr. 03/10 v. 22.12.2010

Meck.-Vorp

31.12.2012

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

M-P: VwV MWAT v. 7.12.2010 – V 611 – 00020-2010/051

NRW

31.12.2012

Teils m., teils o. MwSt.

Teils m., teils o. MwSt.

NRW: auf Landesebene – Gem. RdEerl. V. 23.12.2010 – Az: I C 2 – 0055-3/H 4030-1-IV A 3

 

 

Die Weitergeltung der Erleichterungen des KOPA II ist für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte (über 90 % aller Vergaben) in den meisten Ländern bis 2012, teils allerdings auch nicht, teils auch bis 2015 (Thüringen), vorgesehen. Es ist auch die Frage zu stellen, ob dies ab 1.1.2011 „plötzlich“ nicht mehr gerechtfertigt sein soll, zumal die Ausführung der KOPA II-Vorgaben allem Anschein recht großzügig gehandhabt wurden. Offensichtlich haben diese Schritte auch den gewünschten ökonomischen Effekt ausgelöst.

Das ist aber für die Zukunft nicht ausreichend. So werden sich zunächst die kritischen Äußerungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit diesen für zwei vergangene Jahre vorgesehenen Änderungen nicht als zutreffend erweisen.

Die Erleichterung der Wahl der Freihändigen Vergabe oder der Beschränkten Ausschreibung bis 100.000 € im Bereich der VOL/A ist nicht das „Jahrhundertereignis“ des Vergaberechts. Dass die weitere Begründung z. B. der Freihändigen Vergabe in diesen Fällen entfallen kann, ist zwar ein Vorteil, allerdings nur ein kleiner, befreit die Vergabestellen aber nicht von wesentlich schwierigeren zeitraubenderen Aufgaben. Höchst bedenklich auch unter haushaltsrechtlichen Aspekten (Aufwand, Personal etc.) ist es, wenn für die Freihändige Vergabe – wie teils anzutreffen – 8000, 10.000, 12.000 € etc. anzutreffen sind. Wenn nicht die Grenze von 100.000 € infolge der guten Erfahrung im Zusammenhang mit der KOPA II generell für die Zukunft vorgesehen wird, dann sollten doch wenigstens 50.000 € für die Freihändige Vergabe nach §3 V i) VOL/A vorgesehen sein.

Kritischer ist schon der jeweilige Aufwand für Leistungsbeschreibung, Vertragsbedingungen und Risikoanalyse, Eignungskriterien, Vergabeart, Wertungs- und Zuschlagskriterien (bei den „Unklarheiten“ in den §§ 12 II n), 13 III, 16 II, 16 VII, 18 I VOL/A) sowie die undifferenziert in § 20 VOL/A vorgesehene Dokumentation.

Ohne Rücksicht auf kleine, mittlere oder große Vergaben enthält § 20 VOL/A die entsprechenden Dokumentationspflichten – die Vorschrift schreibt ohne Rücksicht auf den ansonsten geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die fortlaufende Dokumentation mit Stufen, Maßnahmen und Begründungen vor – und zwar von „Anbeginn“ an, ohne auch nur klarzustellen, wann den Vergabeverfahren beginnt (mit Markterkundung nicht, mit Marktübersicht? Oder erst in allen Fällen mit Bekanntmachung oder Aufforderung zur Angebotsabgabe? In der Rechtsprechung zu EU-Verfahren wird inzwischen sogar anerkannt, dass es für die Erfüllung der Dokumentationspflicht die Aufnahme in einen Anwaltsschriftsatz genügen soll (OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011, 13 Verg 15/10 – Freizeit- und Erlebnisbad).

Die größten Belastungen ergeben durch Markterkundung und Marktübersicht im Bereich der VOL/A, weniger bei der VOB/A, weil dort die Leistungsbeschreibung schon immer durch Architekten und Fachingenieure erarbeitet wurde. Im Bereich der VOL/A wird die vor dem (Beginn des) Vergabeverfahren die Durchführung der Markterkundung durchgeführt.

Ein Vergabeverfahren zu Zwecken der Markterkundung etc. ist untersagt, was nichts anderes bedeutet, als dass die Marktübersicht vorhanden sein muss (vgl. §§ 2 III, 7 I, III, anders 7 II VOL/A). Das bedeutet, dass bereits z. B. die „Markterkundung“ für Beamer oder einfache Drucker zu erheblichen Problemen führt, weil diese Leistungen, sofern kein Rahmenvertrag besteht oder lediglich hin und wieder ein paar Stück erworben werden, durch die Markterkundung nach Produzenten, Händlern, Merkmalen (Standardmerkmale bei allen Bewerbern, unterschiedlichen Bandbreitenmerkmalen <40 – 200 Seiten Druck in der Minute>, Sondermerkmalen und Alleinstellungsmerkmalen), Preisen, Lieferfristen etc. erfasst werden müssen. In diesen Fällen sollte man den Weg nach § 7 IV VOL/A dergestalt eröffnen, dass ein nach kleiner Markerkundung für geeignet und notwendig befundenes „Leitprodukt X“ mit dem Zusatz „oder ähnlicher Art“ benannt werden darf.

Ferner sollte die ansonsten notwendige Risikoanalyse entfallen und auf die in § 9 II – IV VOL/A enthaltenen Maßnahmen verzichtet werden. Die Eignung sollte sich durch die Eigenerklärung nach § 6 V VOL/A bei kurzen Lieferfristen und risikolose einjährige Gewährleistung (bei „Trivial- und risikolosen Produkten“) erledigen. Weitere Schritte sind denkbar und notwendig.

Da hilft auch der „Direktkauf“ mit dem „mickrigen“ Wert von 500 € wenig. Dieser Betrag ist deutlich anzuheben (3000 € o. MwSt.). Hierbei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass in diesen Fällen wie über jeden Vorgang ein hierfür vorgesehenes auszufüllendes Raster vorhanden sein muss, das u. a. eine telefonische Preiserkundung bei drei Lieferanten etc. belegt. Natürlich sind die innerhalb des Budgets erfolgenden „Direktkäufe“ monatlich der Beschaffungsstelle zu melden, damit diese gegebenenfalls einen Rahmenvertrag erarbeitet oder dafür sorgt, dass die Vergabestelle einem noch zu schließenden Rahmenvertrag als Partner beitritt und aus diesem abrufen kann.

Und ein Letztes: Diese Konzeption ist eine Vertrauens- und keine Misstrauensorganisation. Das setzt ausgebildete und professionelle Einkäufer voraus, wie das auch die EU-Kommission ausdrücklich ebenso verlangt wie die Rechnungshöfe.

Ungeschulte Personen haben weder bei der öffentlichen Hand, noch in der Privatwirtschaft im Einkauf etwas zu suchen. In der Privatwirtschaft treffen wir Kaufleute, Einkaufsfachwirte, Einkäufer mit Uni- oder FH-Diplom, Bachelor, Master, Diplomkaufleute an.

Wer den Einkauf auf Mitarbeiter delegieren will, kann nur Aufgaben auf Mitarbeiter delegieren, wenn Aufgaben und Mitarbeiter geeignet sind. Der jeweils Vorgesetzte behält die Verantwortung.

~1539