De-facto und Direktvergabe - immer wieder Verstöße mit Folgen!

 Die Erteilung von Aufträgen ohne Vergabeverfahren durch die öffentliche Hand an Dritte ist grundsätzlich unzulässig.

Vom Vergaberecht befreit sind oberhalb der Schwellenwerte z. b. die in § 100 III ff GWB. Unterhalb der Schwellenwerte ist lediglich der Direktkauf nach § 3 VI VOL/A vom Vergaberecht befreit. Besonderheiten gelten für Sektorentätigkeiten (vgl. § 100b GWB, Freistellung nach § SektV0).

Schwere Verstöße sind anzutreffen, wenn z. B. gebotene EU-Verfahren unterlassen oder wenn Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ohne die erforderliche Begründung durchgeführt werden und der Zuschlag erteilt wird; ferner bei direkter Auftragserteilung ohne Vergabeverfahren (vgl. hierzu §§ 3 IV EG VOL/A; § 101b I GWB). Auch im Fall der unzulässigen In-house-Vergabe greifen die Sanktionen nach § 101b I GWB ein.

Sofern es sich um oberschwellige Aufträge handelt, greift hier Unwirksamkeit des Vertrags von Anfang an ein (§ 101b I GWB). Möglich sind Feststellungsverfahren nach dem Zuschlag gemäß § 101b II GWB, ferner das Eingreifen der EU-Kommission bzw. die Anrufung des EuGH.

Ob ein sog. „Open-house-Modell“ der Krankenkassen vergaberechtsfrei ist, ist zweifelhaft. Das OLG Düsseldorf hat die Frage dem EuGH vorgelegt.

Entscheidungen:

OLG Celle, Beschl. v. 24.09.2014 - 13 Verg 9/14 – NZBau 2014, 784 – Motoren für Küstenboot – unzulässiges "beschleunigtes Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb

OLG Celle, Beschl. v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14 – NZBau 2014, 780 – Rettungsdienst Emsland –

OLG Düsseldorf, Vorlagebeschl. v. 13.08.2014, VII - Verg 13/14 – Mesalazin - Rahmenvereinbarung nach § 130a Abs. 8 SBG V – „Open-House-Modell“ –

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2014 - VII - Verg 25/14 – freihändige Vergabe – Rettungsdienst

OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich

OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 - 2 Verg 1/14 - VergabeR 2014, 787, m. teils krit. Anm. v. Voppel, Reinhard – Generalplanervertrag mit Projektsteuerung

Noch, Rainer, Die drohende De-facto-Vergabe, Vergabe Navigator 2014, 25

Tschäpe, Philipp, Zur Anzahl der Teilnehmer während des Verhandlungsverfahrens, ZfBR 2014538

Wagner-Cardenal, Kersten/Dierkes, Jan-Michael, Die Direktvergabe von öffentlichen  Personenverkehrsdiensten , NZBau 2014, 738

Einzelfragen:

Open-house-Modell - OLG Düsseldorf, Vorlagebeschl. v. 13.08.2014, VII - Verg 13/14 – Mesalazin - Rahmenvereinbarung nach § 130a Abs. 8 SBG V – „Open-House-Modell“ – Zulassungsverfahren für Teilnahme durch alle Interessenten ohne Anwendung des Vergaberechts - §§ 101a, 101b GWB – Aussetzung des Verfahrens und Vorlage von zwei Fragen an den EuGH: 1. Ist der Begriff des öffentlichen Auftrags nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2004/18/EG nicht mehr erfüllt, wenn öffentliche Auftraggeber ein Zulassungsverfahren durchführen, bei dem sie den Auftrag vergeben, ohne einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer auszuwählen („Open-House-Modell“)? 2. Falls Frage 1. dahin zu beantworten ist, dass eine Auswahl eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer Merkmal eines öffentlichen Auftrags ist, wird folgendes gefragt: Ist das Merkmal der Auswahl von Wirtschaftsteilnehmern im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2004/18/EG im Lichte von Art. 2 Richtlinie 2004/18/EG dahin auszulegen, dass öffentliche Auftraggeber von einer Auswahl eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer im Wege eines Zulassungsverfahrens nur absehen dürfen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: - die Durchführung eines Zulassungsverfahrens wird europaweit publiziert, - es werden eindeutige Regeln über den Vertragsschluss und den Vertragsbeitritt festgelegt, - die Vertragsbedingungen werden im Vorhinein in der Weise festgelegt, dass kein Wirtschaftsteilnehmer auf den Inhalt des Vertrags Einfluss nehmen kann, - Wirtschaftsteilnehmern wird ein jederzeitiges Beitrittsrecht gewährt und - Vertragsschlüsse werden europaweit bekannt gegeben?

De-facto-Vergabe – OLG Celle, Beschl. v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14 – NZBau 2014, 780 – Rettungsdienst Emsland – Voraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage - Rechtsverletzung durch De-facto-Vergabe,– keine Rügepflicht bei De-facto-Vergaben – weitere Voraussetzung der Feststellungsfortsetzungsklage Feststellungsinteresse: Vorbereitung einer Schadensersatzforderung, Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse (hier nicht eingreifend)

Besondere Dringlichkeit - Direktvergabe - OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.01.2014 - 11 Verg 15/13 – Interimsvergabe im ÖPNV-Bereich - § 6 SektVO, § 101 b Abs. 2 GWB, § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 98 Nr. 4 GWB (VK Hessen vom 15.10.2013, 69 d VK 22 – 2013) - Amtliche Leitsätze: 1. Die 30 Tage-Frist gem. § 101b Abs. 2 GWB, binnen derer die Unwirksamkeit einer Auftragsvergabe im Sinne von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB festgestellt werden kann, beginnt nicht, solange ein schwebend unwirksamer Vertrag noch nicht durch Genehmigung des Vertretenen wirksam geworden ist. Zweifel an der Wirksamkeit gehen zu Lasten des Auftraggebers. 2. Im Bereich der Daseinsvorsorge (hier: öffentlicher Personenverkehr) kann Dringlichkeit einer Interimsvergabe auch dann gegeben sein, wenn sie auf vom Auftraggeber zu vertretenen Umständen beruht. 3. Auch bei besonderer Dringlichkeit einer Interimsvergabe kommt eine Direktvergabe in der Regel allenfalls solange in Betracht, bis über eine endgültige Interimsvergabe in einem wettbewerblichen Verfahren entschieden werden kann.

Zulässiges Verhandlungsverfahren infolge „zwingender Dringlichkeit“ – OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 - 2 Verg 1/14 - VergabeR 2014, 787, m. teils krit. Anm. v. Voppel, Reinhard – Generalplanervertrag mit Projektsteuerung –Auftragswert einer Teilleistung nicht maßgeblich, entscheidend Auftragswert für alle funktional zusammengehörigen weiteren Bauabschnitte (Schätzung – vgl. EuGH, Urt. v. 15.3.2012 – C-574 – Autalhalle) – „identische“ freiberufliche Leistungen – Additionsgebot und Überschreiten des Schwellenwerts und Erforderlichkeit des VOF-Verfahrens, Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung wegen „zwingender Gründe“ (ausführliche Darlegung) – infolge der Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb kein Eingreifen des § 101b I Nr. 2 GWB (damit Wirksamkeit des Vertrags) – Leitsatz: „Ist nach § 101 Abs. 1 GWB i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 VgV und § 3 Abs. 4 lit. c) VOF ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zulässig, darf die Unwirksamkeit des Vertrags nicht festgestellt werden. Als dringliche zwingende Gründe sind nur solche Gründe anzuerkennen, die objektiv nachprüfbar sind und sich aus dem Bedarf des öffentlichen Auftraggebers selbst ergeben, d.h. auf die Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung bezogen sind, welcher die Beschaffung dient (hier bejaht für die Weiterführung der Projektsteuerung für komplexe, seit eineinhalb Jahren laufende und vor Abschluss des 1. Bauabschnitts stehende Bauarbeiten verschiedener Gewerke an einem Krankenhaus der Maximalversorgung bei paralleler Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebs, für deren unvorhersehbare Neuvergabe die Durchführung eines – u.U. auch beschleunigten – Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb dem Auftraggeber nicht zumutbar war).“

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2014 - VII - Verg 25/14 – freihändige Vergabe des Rettungsdienstes in für eine Dauer von 14 Monaten vorläufig an die von den Hilfsorganisationen betriebenen Rettungswachen in zwei Gemeinden – Anhang IB - „Ungeachtet einer beim Nachprüfungsantrag möglichen Fristüberschreitung nach § 101b Abs. 2 GWB ist der Antrag jedenfalls unbegründet. Der Antragsgegner hat zu einer freihändigen Vergabe (nicht prioritärer Dienstleistungen) nach § 3 Abs. 5 Buchst. I VOL/A greifen dürfen, weil für die Dienstleistung aus besonderen Gründen nur ein Unternehmen - im vorliegenden Fall zwei Unternehmen - wegen der Anbindung an zwei verschiedene, bereits unterhaltene Rettungswachen in Betracht gekommen sind.“ – keine rechtswidrige de-facto-Vergabe