Dieses Problem taucht insbesondere bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte auf. Insofern greifen insbesondere bei Bauaufträgen (hoher Schwellenwert regelmäßig über 5 Mio. € - derzeit 5.186.000 € nicht erreicht), aber auch z. B. bei Aufträgen nach Anlage 1 Teil B (= “nicht prioritäre Dienstleistungen) der EG VOL/A (z. B. Wachdienste) die Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und Transparenz ein.

Das kann im Einzelfall zur Bekanntmachungspflicht führen, obwohl z. B. § 12 II EG VOL/A bzw. § 12 II EG VOB/A (unterschwellige Aufträge, Anlage 1 Teil B) nicht eingreifen – an sich damit keine EU-Bekanntmachung. Voraussetzung ist „ein grenzüberschreitendes Interesse“ am Auftrag potenzieller Bieter aus einem anderen Mitgliedsstaat. Ob dies vorliegt, haben nach dem EuGH die nationalen Gerichte im Einzelfall zu entscheiden. Maßgeblich sind u. a. Branche, nicht unerheblicher Auftragswert und grenznahe Ortslage. Teils finden sich auch Regelungen in dieser Frage in Vergabegesetzen der Länder (vgl. z. B § 3 III Nr. 1 TVgG NRW)

Gabriel, Marc/Voll, Maximilian, Das Ende der Inländerdiskriminierung im Vergabe(primär)recht, NZBau 2014, 155

Entscheidungen:

OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2014 - 1 Verg 3/13 – Grundstücksaufsichtdienst): Unwirksamkeit des Zuschlages nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB bei fehlender europaweiter Ausschreibung wegen „grenzüberschreitenden – aus der Entscheidung: „(1.) Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 VgV in Verbindung mit Ziffer 23 der Anlage 1 Teil B war der vorliegende Auftrag als „Schutzdienstauftrag ohne Geldtransport“ und somit nachrangige Dienstleistung von den Bekanntmachungsvorschriften des § 15 EG VOL/A befreit, so dass die nationalen Vorschriften über die europaweite Bekanntmachung nicht zur Anwendung kommen. (2.) Öffentliche Auftraggeber haben jedoch das Primärrecht der Europäischen Union nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Unterschwellenbereich zu beachten, sofern ein grenzüberschreitendes Interesse am Auftrag zu bejahen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 23. 12. 2009 - C-376/08, VergabeR 2010, 469 Rn. 22 und 24 mwN – Serrantoni; EuGH, Urteil vom 15. 5. 2008 – C-147/06 und C-148/06 ...; EuG, Urteil vom 20. 5. 2010 – T-258/06 ... ). Diese Pflicht zur Beachtung der fundamentalen Regeln des Unionsrechts gilt nicht nur im Unterschwellenbereich, sondern auch bei der Vergabe nicht prioritärer Dienstleistungen wie im vorliegenden Fall (vgl. EuGH, Urteil vom 18. 11. 2010 – C-226/09... ). Danach ist insbesondere der Transparenzgrundsatz zu beachten und die Leistung bei einem eindeutigen grenzüberschreitenden Interesse europaweit auszuschreiben. Dieses Interesse kann zwar nicht schon allein aufgrund eines gewissen Auftragswertes – eine Million Euro - angenommen werden. Umgekehrt folgt aber allein aus der bloßen Einordnung der Leistung als nicht prioritär nicht, dass stets ein grenzüberschreitendes Interesse fehlt (vgl. Weyand, Vergaberecht, 4. Aufl. Stand: 16. Dezember 2013, § 100 GWB Rn. 81). Vielmehr sind alle maßgeblichen Gegebenheiten, die den fraglichen Auftrag betreffen, eingehend zu würdigen, um festzustellen, ob im Einzelfall ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. EuGH, EuGH, Urteil vom 23. 12.2009 - C-376/08 .... Rn. 25 mwN). Hierfür ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Auftrag nach den konkreten Marktverhältnissen, das heißt mit Blick auf die angesprochenen Branchenkreise und ihre Bereitschaft, Aufträge gegebenenfalls in Anbetracht ihres Volumens und des Ortes der Auftragsdurchführung auch grenzüberschreitend auszuführen, für ausländische Anbieter interessant sein könnte (vgl. BGH, Urteil vom 30. 8. 2011 – X ZR 55/10 .. ; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. 3. 2012 – VII-Verg 78/11 ... ). Hiermit übereinstimmend hat auch der EuGH als Kriterien für die Annahme eines grenzüberschreitenden Interesses auf den Wert des Auftrages in Verbindung mit dessen technischen Merkmalen sowie den Ort der Leistung abgestellt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. 5. 2008 – C-147/06 und C-148/06 ... ). (3.) Nach Vorstehendem besteht an vorliegendem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse, so dass eine europaweite Ausschreibung geboten gewesen war. ... Auftragswert von über 3 Millionen Euro ... Ferner ist der Ort ..... Saarbrücken ... grenznah, insbesondere zu Frankreich. Aus den Besonderheiten des Überwachungsgewerbes folgt keine Beschränkung auf nationale Anbieter. Schon per se handelt es sich dabei um eine Tätigkeit, welche nicht national beschränkt, sondern auch in anderen Staaten erbracht werden kann. Zudem hat die Antragstellerin belegt, dass derartige Dienstleistungen de facto europaweit ausgeschrieben werden, was für grenzüberschreitende Aktivitäten spricht. Somit musste die Antragsgegnerin davon ausgehen, dass auch Anbieter anderer EU-Staaten, vor allem aus Frankreich, ein Interesse an dem streitgegenständlichen Auftrag gehabt hätten.“

EuGH, Urt. v. 10. 7. 2014 – C-358/12 – VergabeR 2014, 775, m. Anm. v. Herrmann, Alexander - Libor – Ausschluss wegen Nichtzahlung der Sozialbeiträge - Aufträge unterhalb des Schwellenwerts und „grenzüberschreitendes Interesse“ (bejaht) – Maßgeblichkeit der Bedeutung des Auftrags und des Ausführungsortes (vgl. Urteil Lecce u. a., C‑159/11, EU:C:2012:817, Rn.23): „Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das Vorhandensein eines solchen Interesses zu beurteilen (vgl. Urteil Belgacom, C‑221/12, EU:C:2013:736, Rn. 30)“ – auch EuGH, Urt. v. 6.11.2014 – C-42/13 – Cartiera dell’Adda - Papier- und Pappkarton-Entsorgung - auch bei Annahme einer Dienstleistungskonzession bei „grenzüberschreitendem Interesse“ nach den Grundregeln des AEU-Vertrags, insbesondere der Gleichbehandlung und der Transparenz.

EuGH, Urt. v. 11.12.2014 - C‑113/13 In der Rechtssache C-113/13 – Vorabentscheidungs-ersuchen – Spezzino –- grenzüberschreitendes Interesse -– bei Nichterreichen des Schwellenwerts oder höherer Wert der medizinischen Dienstleistungen Anwendung nur der Art. 23 und 35 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 un die sich aus den Art. 49 AEUV und 56 AEUV ergebenden allgemeinen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung nur bei eindeutigem grenzüberschreitenden Interesse (insofern kein entsprechender Vortrag des vorlegenden Gerichts) -  Kriterien für grenzüberschreitendes Interesses „u. a. ein gewisses Volumen des fraglichen Auftrags in Verbindung mit dem Leistungsort oder technische Merkmale des Auftrags“ – auch z. B. Berücksichtigung von realen Beschwerden von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedsstaaten - speziell für Krankentransporte ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse nicht allein dadurch, „dass mehrere in anderen Mitgliedstaaten ansässige Wirtschaftsteilnehmer bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde eingereicht und die fraglichen Aufträge einen hohen wirtschaftlichen Wert haben.“