Vergabeunterlagen - Bereitstellung - "Vergabereife" - "Fertigstellungsgebot"
Zu den Vergabeunterlagen (vgl. § 21 UVgO - früher §§ 8 VOL/A, 8 VOB/A) gehören neben der Leistungsbeschreibung, die Vertragsbedingungen nach § 21 I Nr. 3 UVgO - früher § 8 I c VOL/A, 9 I c) EU VOL/A VOL/A, das Anschreiben und die Bewerbungsbedingungen bzw. Zuschlagskriterien (vgl. § 21 I Nr. 1, 2 UVGO - früher § 8 I a) und b) VOL/A) - Bereitstellung der Vergabeunterlagen nach 29 UVgO.
Fragen
1. Wann sind die Vergabeunterlagen fertig zu stellen?
2. Schon vor der Bekanntmachung des Teilnehmewettbewerbs? Oder erst im Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe?
3. Müssen die Bewerber auf die gesamten vergabereifen Vergabunterlagen schon im Teilnahmewerb zugreidfen können?
4. Muss die Leistungsbeschreibung eindeutig, erschöpfend und gleichverständlich sein? Kommt auch eine "funktionale Leistungsbeschreibung" in Betracht?
Verfasserempfehlungen
Zu 1.: Vor der Aufforderung zur Teilnahme am Wettbewerb (str.).
Zu 2.: Vor der Bekanntmachung (str.).
Zu 3.: Auch für den Teilnahmewettbewerb sind den Bewerbern die vollständigen Vergabeunterlagen zu übermitteln - vgl. § 29 UVgO (str.).
Zu 4.: Wie sich aus § 23 I UVgO ergibt, kommt auch die "funktionale Leistungsbeschreibung" in Betracht, die Ziel und grundsätzlichen Weg vorgibt, aber den Bewerbern bzw. Bietern "kreative Möglichkeiten" lässt, jedenfalls solange Transparenz, Wettbewerb und Verhältismaßigkeit gewahrt bleiben.
Hierzu Bartl/Bartl/Schmitt, UVgO, 2017, § 29 Anm. 2; § 23, Anm. 3.1.- 3.3.; Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 41 Rn. 36 f.; diesselben UVgO, 2018, § 29 Rn. 36: "sukzessive Bereitstellung" zulässig.
Die Ausschreibung bzw. die Bekanntmachung darf entsprechend dem Fertigstellungsgebot nach wie vor erst dann erfolgen, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind (vgl. § 20 II UVgO - bisher § 2 III VOL/A. Das folgt m. E. zumindest mittelbar aus § 20 II UVgO - früher § 2 III VOL/A und ausdrücklich aus § 2 IV, V VOB/A. Hierbei geht es vor allem um die Leistungsbeschreibung, den Zeitrahmen, die Markerkundung und Bestimmungsrecht - Marktübersicht - Kostenschätzung sowie die Individualrvereinbarungen. Das gilt grundsätzlich auch für die Vderhandlungsvergabe - früher Freihändige Vergabe - Insofern wird nicht unterschieden ( vgl. § 20 II UVgO - früher § 2 III VOL/A 2009 VOL/A).
Zwischen UVgO bzw. VOL/A und VOB/A sind Unterschiede zu beachten. Hinsichtlich des heute noch in § 2 IV, V VOB/A enthaltenen Fertigstellungsgebots handelt es sich um eine "Soll" -Vorgabe. Das bedeutet, daß dem zu entsprechen ist, sofern nicht sachlich gebotene, nachvollziehbare und nach § 20 VOB/A dokumentierte Gründe eingreifen. In der UVgO bzw. VOL/A findet sich in § 2 IV VOB/A enthaltene "Missbrauchsverbot ", nicht aber die "Soll-Vorgabe", erst dann auizuschreiben, "wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind ..." Nach der UVgO dürftge es allerdings auch für die Verfahrfen mit Teilnahmeantrag nicht mehr zulässig sein, die Vergabeunterlagen erst mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe vollständig zu überlassen. Auch im zweistufigen Verfahren (Teilnahmeantrag erste Stufe, Angabotsabgabe etc. zweite Stufe) wird man vor der Aufforderung im Teilnahmewettbewerb bereits zu diesem Zeitpunkt Vergabereife verlangen, mithin vollständige Vergabeunterlagen. § 7 III S. 2 UVgO verlangt insofern den Zugang zur Bekanntmachung etc. sowie den (gesamten) Vergabeunterlagen ohne Differenzierung zwischen ein- und zweistufigen Verfahren. Auch für den Teilnahmewettbewerb ist es für die Bewerber entscheidend, dass sie die gesamten Vergabeunterlagen einsehen können. Allerdings ist diese Frage str. Auf die Gegenstimmen sollte man sich nicht verlassen - jedenfalls im oberschwelligen Verfahren.
Der Mißbrauch des Vergabeverfahrens zu "Zwecken der Markterkundung" kann insbesondere vorliegen bei
- unvoollständiger Leistungsbeschreibung infolge unterbliebener Planung etc. - Verstoß gegen §§ 23 UVgO und 7 I VOL/A,
- bei sog. Parallelauschreibung = Aufforderung zur Abgabe eines Angebots in zwei Varianten (A: Fassadenverkleidung in Naturstein und B: Fassadenverkleidung in anderer Verschalung, - Bedarfspositionen oder Optionen, obwohl nicht alle Erkenntnisquellen etc. ausgeschöpft sind.
Die Pflicht zur vollständigen, erschöpfenden und für alle gleich verständliche Leistungsbeschreibung (vgl. / VOL/A) hat allerdings auch ihre Schranken (z. b. bei Rahmenverträgen oder Reinigungsleistungen):
Für die Zulässigkeit einer „gewissen Unbestimmtheit“hat sich die Rechtsprechung teils bereits früher entschieden: OLG Düsseldorf (Beschl. v. 30.04.2014 - VII - Verg 41/13) im Zusammenhang mit Reinigungsarbeiten verstößt nicht die gewisse Unbestimmtheit der Leistungsbeschreibung. Im entschiedenen Fall enthält enthalten die Vergabeunterlagen keine Vorgaben für Raumtypen, Flächenmaße, Leistungswerte (z.B. Reinigungsmaß pro Quadratmeter und Stunde), sondern nur Angaben der Reinigungsflächen (Teppich oder PVC), Anzahl der Heizkörper, Türen, Toilettenräume, zumal wenn Gelegenheit zur Ortsbesichtigung besteht. Die entsprechende Rüge der „Unbestimmtheit“ hatte in diesem Fall keinen Erfolg. Bekanntlich ist die Vergabe von Reinigungsleistungen besonders aufwändig und schwierig. Das OLG Düsseldorf, aaO, hat insofern Erleichterung vorgesehen.
Das gilt vor allem insoweit, als der "funktionalen Leistungsbeschreibung" größerer Raum für die Kreativität durch die Bieter eingeräumt wird (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.6.2016 - VII -Verg 6/16 - Fahrkartenvertrieb - funktionale Leiustungsbeschrewibung im IT-Bereich).
Man sollte sich allerdings im Einzelfall nicht auf diese Rechtsprechung verlassen.
Ähnliches gilt für Optionen und Bedarfspositionen. Auch diese sind grundsätzlich zu vermeiden und kommen im Grund nur in Betracht, wenn die möglichen Erkenntnisquellen hinreichend ausgeschöpft sind - diese Positionen können zu unzulässigen Belastungen der Bewerber führen und den Wettbewerb einschränken. Daswar schon früher Gegenstand der Rechtsprechung:
Zu Bedarfspositionen - OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.2.2010— VII- Verg36/09 - NZBau 2010, 720 (Leits.) – Bedarfspositionen – Vergabeunterlagen – Unbedenklichkeit bei Unvorhersehbarkeit und bei Fehlen einer zumutbaren Aufklärungsmöglichkeit – keine Angabe der Bedarfspositionen in der Vergabebekanntmachung – Leitsätze: 1. Die Aufnahme einer Bedarfsposition in die Vergabeunterlagen ist nicht zu beanstanden, wenn im Zeitpunkt der Versendung der Vergabeunterlagen für den Auftraggeber nicht voraussehbar und zumutbar aufzuklären ist, ob und unter welchen Voraussetzungen solche Leistungen bei der Auftragsausführung erforderlich sein werden, daran ein anzuerkennendes Bedürfnis besteht und Bedarfspositionen in den Vergabeunterlagen hinreichend deutlich als solche gekennzeichnet sowie bei verständiger Sicht der Dinge für einen fachkundigen Bieter als solche unzweideutig zu erkennen sind. 2. Bedarfsleistungen (Bedarfspositionen) müssen vom öffentlichen Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung nicht angegeben werden (im Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28. 2.2008 — VII-Verg 57/06. 3. Die für Bedarfspositionen abgefragten und angegebenen Preise sind vom Auftraggeber grundsätzlich in die Angebotswertung einzustellen. Dies hat jedenfalls dann zu gelten, wenn ein Bedarf im Zeitpunkt der Angebotswertung weiterhin nicht voraussehbar ist und die Notwendigkeit einer Beschaffung auch hei sorgsamer Ausschöpfung der dem Auftraggeber bis dahin zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden kann. – vgl. auch OLG Saarbrücken, NZBau 2009,265— „Ortsdurchfahrt W“ – Bedarfs- und Eventualpositionen.
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