Grundsätze
Durchgängig gelten folgende Grundsätze für die Schätzung der Auftragswerte:
- Schätzung ohne Umsatzsteuer
- Schätzung auf der Basis nachvollziehbarer Daten - Prognose
- Gesamtauftragswert
- Aufteilungsverbot
- Umgehungsverbot
- Dauerschuldverhältnisse etc.
-- befristet - Gesamtauftragswert
-- Unbefristet – Multiplikation des Monatswerts x 48
- Lose – Additionsgebot
- Zeitpunkt: Bekanntmachung der Vergabe
Schätzungsfehler und Manipulation
- Umgehung der EU-weiten Vergabe
- Unwirksamkeit des Vertrages nach § 135 GWB
- Anrufung der Vergabekammer durch Bewerber und Bieter
- Einschreiten der EU-Kommission
- Entscheidung des EuGH – Verstoß und Fortwirkung – Beendigung der Verträge, Rückabwicklung und EU-Vergabe
- Schadensersatzansprüche
Unrichtige Schätzung des Auftragswerts – häufige Fehlerquelle
Unzulässig sind sachfremde und willkürliche Annahmen. Eine Schätzung ist eine Prognose im Zeitpunkt der Erstellung der Vergabeunterlagen sowie der Bekanntmachung (aktuelle Daten sind erforderlich). Fehlende Kenntnisse entschuldigen nicht. In diesen Fällen sind Fachleute heranzuziehen, für die man einzustehen hat (§ 278 BGB). Die Grundlagen der Schätzung sind darzulegen. Eine „mathematische Richtigkeit“ wird natürlich nicht verlangt. Liegen die späteren Angebote über dem geschätzten Wert, so führt dies nicht in jedem Fall dazu, dass das Verfahren aufzuheben ist. Ist die Schätzung zum Zeitpunkt des „Beginns“ des Verfahrens (vgl. § 3 III VgV) „vertretbar“, so kann sie nicht erfolgreich angegriffen werden. Dies ergibt sich aus der „Methode“ zur Ermittlung und Berechnung des Auftragswerts (Preisvergleich, Kosten etc.). Die jeweilige „Methode“ ist anzuführen, damit der Schritt nachvollzogen werden kann (Transparenz - Dokumentation).
Der Auftragswert ist folglich nachvollziehbar zu schätzen und im Einzelnen zu dokumentieren. Basislose Schätzungen sind rechtswidrig. Maßgeblich sind z. B. die jeweiligen Marktpreise. Diese sind im Rahmen der Markterkundung festzustellen.
Wer den Auftragswert „manipuliert“, um dem EU-Verfahren zu entgehen, begeht einen schweren Verastoß gegen vergaberechtliche Pflichten (vgl. § 135 GWB).
Entscheidend ist der Gesamtauftragswert netto einschließlich der Optionen, Verlängerungen etc. – insofern ist § 3 VgV strikt zu beachten. Fehlt eine dokumentierte nachvollziehbare Schätzung, so kann die Entscheidung für die unterschwellige nationale bzw. oberschwellige EU-Vergabe nicht oder nur fehlerhaft getroffen werden. In der Rechtsprechung sind recht häufig Fälle anzutreffen, in denen EU-Vergaben (unwirksamer Vertrag nach §§ 135 GWB) nicht durchgeführt wurden, obwohl die Voraussetzungen vorlagen. Maßgeblicher Zeitpunkt nach § 3 III VgV: Absendung der Bekanntmachung oder sonstige Einleitung des Vergabeverfahrens (z. b. bei Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb).
Hierzu Zimm, Dominik, Die Auftragswertberechnung bei Dienstleistungsaufträgen – Großer Umbruch oder bleibt „alles beim Alten“? RPA 4/2018, 119-204
§ 3 VgV Gleichartigkeit – OLG München, Beschl. v. 13.03.2017 - Verg 15/16 – Planungsleistungen für Verwaltungsgebäude – § 2 SektVO - „ Fraglich ist, nach welchen Kriterien die „Gleichartigkeit" der Planungsleistungen zu beurteilen ist. Die bislang wohl herrschende Ansicht nimmt für die freiberuflichen Planungsleistungen die unterschiedlichen Leistungsbilder der HOAI als Indiz. Danach stellen die Planungsleistungen der Objektplanung, der Tragwerksplanung und der Planung der technischen Gebäudeausrüstung unterschiedliche Leistungsbilder dar und werden mithin als verschiedenartige und somit nicht zu addierende Planungsleistungen i.S. des § 2 Abs. 7 Satz 2 SektVO angesehen (Greb in Greb / Müller, Sektorenvergaberecht, 2. Aufl, § 2 Rz. 23; Matuschak, NZBau 2016, S. 613, 619 - zum gleichen Problem bei § 3 Abs. 7 VgV; Stolz, VergabeR 2016, S. 351, 352 f). Für diese Auslegung spricht der Wortlaut, der auf die „Gleichartigkeit" und nicht auf eine wirtschaftliche oder technische Funktion der Planungsleistung abstellt. Ferner lässt sich hierfür die Entstehungsgeschichte dieser Norm anführen. In einem Referentenentwurf zur VgV (bei der sich im Rahmen des § 3 Abs. 7 VGV die gleiche Problematik stellt) war vorgesehen, dass sämtliche Leistungen, „die in funktionalem Zusammenhang stehen", zu addieren seien. Demgegenüber wurde dann im endgültigen Entwurf die jetzige Regelung vorgesehen, um, wie sich aus mündlichen Äußerungen in den Plenarprotokollen ergibt, die bisherige mittelstandsfreundliche Lösung fortzuschreiben (s. zur Entstehungsgeschichte die Ausführungen bei Matuschak, NZBau 2016, S. 613, 615 und Stolz, VergabeR 2016, S. 351, 352). Zudem wäre der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 7 Satz 2 GWB bei einer funktionalen Betrachtungsweise gering (darauf verweist Matuschak, a.a.O, S. 616). Objekt- und Tragwerksplanung sowie die Planung der technischen Gebäudeausrüstung werden häufig einem einheitlichen Bauvorhaben dienen und in wirtschaftlich und technisch engem Zusammenhang stehen. Mithin würde bei einer funktionalen Betrachtungsweise auch die Ausschreibungspflicht jedenfalls für die Planungsleistungen deutlich ausgeweitet, selbst wenn die Schwellenwerte für die eigentlichen Bauleistungen möglicherweise noch nicht erreicht wären. Damit verbunden wäre ein erheblicher Mehraufwand für die Auftraggeber gerade bei kleineren Bauvorhaben (darauf verweisen Matuschak, a.a.O, S. 616 und Stolz, a.a.O., S. 352 f).Allerdings bestehen erhebliche Bedenken, ob diese Auslegung des § 2 Abs. 7 Satz 2 SektVO mit den europarechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Art. 16 Abs. 8 der RiLi 2014/25/EU regelt, der geschätzte Gesamtwert aller Lose sei zu berücksichtigen, wenn ein Bauvorhaben oder die vorgesehene Erbringung von Dienstleistungen zu Aufträgen führen könne, die in mehreren Losen vergeben würden. Wenn der kummulierte Wert der Lose den in Art. 15 genannten Schwellenwert übersteige, gelte die Richtlinie für die Vergabe jedes Loses. Eine Einschränkung wie in § 2 Abs. 7 Satz 2 SektVO, dass nur gleichartige Planungsleistungen zu addieren sind, findet sich in der RiLi 2014/25/EU nicht. Auf die „Gleichartigkeit" wird nur in Art. 16 Abs. 9 RiLi 2014/25/EU, soweit die Aufträge den Erwerb von Waren betreffen, abgestellt. Auch die Entscheidung des EuGH vom 15.03.2012, C-574/10 (juris), spricht für eine funktionale Betrachtungsweise. Im dortigen Fall waren Architektendienstleistungen, die von einem einzigen Auftraggeber vergeben wurden und ein Gesamtsanierungsprojekt für ein und dasselbe öffentliche Gebäude betrafen, aus haushaltsrechtlichen Gründen in verschiedene Abschnitte aufgeteilt. Nach Ansicht des EuGH (juris Tz. 41 ff) ist für die Frage, ob es sich um einen Dienstleistungsauftrag handelt, der nur in getrennte Lose (oder Abschnitte) aufgeteilt, aber für die Berechnung des Schwellenwerts als ein Auftrag zu behandeln ist, eine funktionelle Betrachtung maßgeblich. Es sei der einheitliche Charakter in Bezug auf die wirtschaftliche und technische Funktion zu prüfen. Dass in dem vom EuGH entschiedenen Fall der Gegenstand der Arbeiten in den verschiedenen Abschnitten des Bauvorhabens wechsele und z.B. das Tragwerk des Gebäudes, das Dach oder die Beleuchtung betreffe, bedeute nicht, dass sich dadurch der Inhalt und die Natur der Architektenleistungen, die in diesen Abschnitten erbracht wurden, ändere (juris Tz. 44). Die Leistungen wiesen nach Ansicht des EuGH in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und funktionelle Kontinuität auf, die durch die Aufteilung dieser Leistungen in verschiedene Abschnitte nicht als durchbrochen angesehen werden könnten (juris Tz. 45). Schließlich hat die Europäische Kommission bereits ein (inzwischen allerdings eingestelltes) Vertragsverletzungsverfahren gegen die BRD eingeleitet (s. dazu Anlagen BF 5 und BF 6 - Sanierung Schwimmbad Stadt E. in Niedersachsen). Im dortigen Fall waren die Objektplanung, Tragwerksplanung und Planung der technischen Gebäudeausrüstung für die Sanierung eines öffentlichen Freibads nicht öffentlich ausgeschrieben worden, obwohl der Gesamtwert der Kosten für diese Planungsleistungen über dem maßgeblichen Schwellenwert lag. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, aufgrund der unterschiedlichen Leistungsbilder nach der HOAI handele es sich um sachlich verschiedene Aufträge, die nicht zu addieren seien, auch wenn sie sich auf ein einheitliches Bauvorhaben bezögen. Die Kommission teilte diese Ansicht nicht. Sie sah die Voraussetzungen einer funktionellen Kontinuität und inneren Kohärenz in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht als erfüllt an, da sich alle Planungsaufträge auf das einheitliche Bauvorhaben der Sanierung des örtlichen Freibads bezogen hätten und jeweils typische Architektenleistungen zu erbringen gewesen seien.
Zu den Grundsätzen der Schätzung BGH, Urteil v. 20. 11. 2012 - X ZR 108/10; VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14 - System mit IP-Netz und Softwareentwicklung - Verstoß nationale Verfahren - Schätzung – Bedeutung der Preise der eingereichten Angebote bei Schätzung des Auftragswertes nahe an 5 Mio. € ohne Dokumentation – grundsätzliche Unerheblichkeit der Angebote (nur indizielle Bedeutung) für die Schätzung).
„Der Auftraggeber ist .... gehalten, ... eine seriöse Schätzung durchzuführen ... muss er diese Schätzung....dokumentieren, damit sie der Überprüfung....zugänglich sein kann. Naturgemäß gilt dies nicht in der gesamten Schärfe für Vergabeverfahren, deren Auftragswert eindeutig und unzweifelhaft unterhalb der für europaweite Vergabeverfahren einschlägigen Schwellenwerte liegt, die Durchführung eines nationalen Vergabeverfahrens mithin unproblematisch ist. Hier verhält es sich aber so, dass auch die Ag selbst einen Auftragswert angenommen hat, der in Richtung 5 Mio. Euro tendiert. Liegt die Vorabschätzung ... nur relativ knapp unter....dem Schwellenwert, so ist ... umfassend zu dokumentieren.“
So VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14.
„Die Methode der Schätzung muss so gewählt sein, dass sie wirklichkeitsnahe Ergebnisse erwarten lässt; die Gegenstände der Schätzung müssen mit der ausgeschriebenen Maßnahme übereinstimmen (vgl. ... zu den Grundsätzen BGH, Urteil v. 20. 11. 2012 - X ZR 108/10). ... Wird bei einem .... knapp unterhalb der Schwelle liegenden Auftragswert von der Durchführung eines europaweiten Verfahrens abgesehen, so stellt dies einen besonders begründungsbedürftigen Sachverhalt dar.“
So VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14.
Erforderlich ist eine ausreichende Dokumentation der Schätzung: „Eine Darlegung, wie man zu den Zahlen (erg. Der Schätzung) gekommen ist, ist nicht vorhanden. Aus Sicht der Vergabekammer als Nachprüfungsinstanz kann daher nur zur Kenntnis genommen werden, dass der Auftraggeber im Ergebnis so geschätzt hat, nicht aber nachvollzogen werden, was Grundlage der Schätzung war und wie diese im Einzelnen durchgeführt wurde. .....Es oblag der Antragsgegnerin (Ag.) alle für diese Frage relevanten Dokumentationen als Bestandteil der Vergabeakte einzureichen. Die Ag muss sich an der von ihr eingereichten, indes defizitären Dokumentation festhalten lassen.... Es ist von einem über dem Schwellenwert von 5 Mio. Euro liegenden Auftragswert auszugehen.“
So VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14.
Wird das EU-Verfahren in einem solchen Fall unterlassen, so greifen die §§ 134, 135 II Nr. 2 GWB (bisher §§ 101a, 101b GWB13) ein.
Der Vertrag ist unwirksam. Auch eine Zurückversetzung des Verfahrens mit dem Ziel der Nachholung der richtigen Schätzung kommt nicht in Betracht, da durch den (schwebend unwirksamen) Zuschlag das unzulässige nationale Verfahren beendet ist.
So VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14, mit Hinweis auf OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29. Januar 2014 - 1 Verg 3/13: Anwendung des § 101b I Nr. 2 GWB13.
Bleibt der Auftraggeber in diesen Fällen bei seiner Vergabeabsicht, so muss ein EU-Verfahren durchgeführt werden.
So VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014 - VK 2 - 31/14; so auch VK Thüringen, Beschl. v. 21.05.2015, 250 - 4003 - 2353/2015 - E - 003 – Fäkalienabfuhr – nationales statt EU-Verfahren; verfehlt VK Südbayern, Beschl. v. 29.10.2013 - Z 3 - 3 - 3194 - 1 - 25 - 08/13 – Schülerbeförderung –zur Interimsvergabe und Auftragswertberechnung; zutreffend OLG Koblenz, Beschl. v. 24.03.2015 - Verg 1/15 – Rahmenvertrag – Postzustellung – Interimsauftrag – Schwellenwert – Schätzung des Auftragswerts bezogen auf den konkreten Interimsauftrag, nicht auf bereits vergebene oder noch zu vergebende Aufträge (anders bei Umgehungsabsicht)
Speziell „Dienstleistungen“ (vgl § 103 IV GWB) mit mehreren „Losen“ (z. B. Architektenleistungen) sind nach § 3 VII VgV zu addieren.
Vgl. insofern EuGH, Urt. v. 15. 03.2012 – C-574/10 – Niedernhausen - betreffend den Gesamtauftragswert bei Architektenleistungen (Autalhalle – Sanierung – keine „schrittweise Vergabe unterhalb der Schwellenwerte“) – Additionsgebot – vgl. auch § 3 VII S. 3 VgV13.
Ist Schätzung nicht zumindest „vertretbar“, so kann die Aufhebung z. B. durch die Vergabekammer angeordnet werden. Eine Zurückversetzung kommt hier wohl nicht in Betracht.
BGH, Beschl. v. 20.11.2012 - X ZR 108 / 10 – Friedhofserweiterung – Leitsatz... c) Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen "deutlicher" Überschreitung des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen werden, die Aufhebung andererseits aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse sein darf (Weiterführung von BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 48/97, BGHZ 139, 259 und Urteil vom 12. Juni 2001 - X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293.
Neu:
§ 3 VgV Addition der Auftragswerte bei Planungsleistungen – Gleichartigkeit der Planungsleistungen nach funktionaler Betrachtungsweise - OLG München, Beschl. v. 13.03.2017 - Verg 15/16 – Planungsleistungen für Verwaltungsgebäude - § 2 VII SektVO - „1.2.3.2. Ob aus obigen Erwägungen in jedem Fall die Leistungen der Objektplanung, der Tragwerksplanung und der Planung der technischen Gebäudeausrüstung für ein einheitliches Bauvorhaben als gleichartige Leistungen anzusehen und für die Schwellenwertberechnung zu addieren sind, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls im streitgegenständlichen Fall ist eine Addition vorzunehmen.
§ 3 VgV Gesamtvergütung – Schätzung - OLG München, Beschl. v. 2.6.2016 - Verg 15/15 – ÖPNV – Schülerbeförderung – Schätzung – Rüge (Erkennbarkeit) – Frist für Feststellung der Unwirksamkeit - drohender Schaden – unzulässiges nicht offenes Verfahren statt offenem Verfahren und drohender Schaden – falsche Verfahrensart - §§ 107 II GWB, 3 VgV - Schätzung: „Der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen ist eröffnet, weil der Schwellenwert
|