EuGH unterhalb des Schwellenenwerts und "grenzüberschreitendes Interesse"

In seiner Entscheidung  v. 16.04.2015 (Aktenzeichen: C - 278/14)  einen IT-Vertrag (  Soft- und Hardware)  ging es um einen Auftrag von ca. 58.000 €. Das EU-Vergaberecht greift in den Fällen der Unterschreitung des Schwellenwerts zwar nicht ein, gleichwohl kommen die Grundsätze des AEU-Vertrags (Gleichbehandlung und Transparenz) bei Aufträgen im Fall des grenzüberschreitendes Interesse zu Anwendung - allerdings hat das diese Frage das natuionale Gericht zu entscheiden. Obwohl dieses nationale Gericht die Frage nicht ausdrücklich behandelte, entschied der EuGH unter der "Prämisse", dass ein "grenzüberchreitendes Interesse" besteht. Eine Vorlage an den EuGH ist daher noch weitergehend zulässig als bisher. In der Praxis muss daher in diesen Fällen besonders umsichtig vorgagangen werden, sofern man Fehler vermeiden will.

EuGH, Beschl. v. 16.04.2015, C - 278/14 – Soft- und Hardware – Vorlagebeschluss ohne ausdrückliche Prüfung des grenzüberschreitenden Interesses bei Auftragswert von ca. 58.000 € - Prüfung des grenzüberschreitenden Interesses Sache des vorlegenden Gerichts – EuGH „unterstellt“ das „grenzüberschreitende Interesse und entscheidet untewr dieser „Prämisse“ - Unterschwellenvergabe unterfällt nicht der dem EU-Vergaberecht, es gelten aber die Grundsätze des AEU-Vertrags, insbesondere die Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der daraus folgenden Pflicht zur Transparenz, sofern an diesen Aufträgen angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht - Art. 23 Abs. 8 RL 2004/18/EG – Tenor der Entscheidung: „Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG .... in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 der Kommission vom 30. November 2011 geänderten Fassung ist auf einen öffentlichen Auftrag, dessen Wert den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schwellenwert nicht erreicht, nicht anwendbar. Im Rahmen eines Auftrags, der nicht unter diese Richtlinie fällt, an dem aber ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, sind die Grundregeln und die allgemeinen Grundsätze des AEU-Vertrags, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie die daraus folgende Pflicht zur Transparenz, dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber ein den Anforderungen der Vergabebekanntmachung entsprechendes Angebot nicht ablehnen kann, indem er sich auf Gründe stützt, die in dieser Bekanntmachung nicht vorgesehen sind.

Beschluss:

In der Rechtssache C-278/14

erlässt DER GERICHTSHOF .... folgendes Urteil

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Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114, berichtigt im ABl. 2004 L 351, S. 44, und im ABl. 2008, L 198, S. 74) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 der Kommission vom 30. November 2011 (ABl. L 319, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/18).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC Enterprise Focused Solutions SRL (im Folgenden: EFS) und dem Spitalul Județean de Urgența Alba Iulia (Notfall-Kreiskrankenhaus Alba Iulia) über eine Entscheidung des Letztgenannten, mit der das von EFS im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags eingereichte Angebot abgelehnt wurde.

Rechtlicher Rahmen

3

Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 lautet:

"Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsätzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe solcher Aufträge, um die Wirksamkeit dieser Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb zu garantieren. Folglich sollten diese Koordinierungsbestimmungen nach Maßgabe der genannten Regeln und Grundsätze sowie gemäß den anderen Bestimmungen des Vertrags ausgelegt werden."

4

Art. 2 ("Grundsätze für die Vergabe von Aufträgen") dieser Richtlinie bestimmt:

"Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise vor."

5

Gemäß Art. 7 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 gilt diese Richtlinie u. a. für öffentliche Lieferaufträge, deren Wert ohne Mehrwertsteuer 200 000 Euro erreicht oder überschreitet, wenn es sich dabei um Aufträge handelt, die von anderen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden als den in Anhang IV der Richtlinie genannten.

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Der Begriff "technische Spezifikationen" ist in Nr. 1 Buchst. b des Anhangs VI der Richtlinie 2004/18 wie folgt definiert:

"‚technische Spezifikationen' bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen Spezifikationen, die in einem Schriftstück enthalten sind, das Merkmale für ein Erzeugnis oder eine Dienstleistung vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Umweltleistungsstufen, die Konzeption für alle Verwendungsarten (‚Design for all') (einschließlich des Zugangs von Behinderten) sowie Konformitätsbewertung, Vorgaben für Gebrauchstauglichkeit, Verwendung, Sicherheit oder Abmessungen des Erzeugnisses, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung, Gebrauchsanleitung, Produktionsprozesse und -methoden sowie über Konformitätsbewertungsverfahren;"

7

In Art. 23 der Richtlinie heißt es:

"...

(2) Die technischen Spezifikationen müssen allen Bietern gleichermaßen zugänglich sein und dürfen die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern.

(3) Unbeschadet zwingender einzelstaatlicher Vorschriften, soweit diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, sind die technischen Spezifikationen wie folgt zu formulieren:

a) entweder unter Bezugnahme auf die in Anhang VI definierten technischen Spezifikationen in der Rangfolge nationale Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden, europäische technische Zulassungen, gemeinsame technische Spezifikationen, internationale Normen und andere technische Bezugsysteme, die von den europäischen Normungsgremien erarbeitet wurden oder, falls solche Normen und Spezifikationen fehlen, mit Bezugnahme auf nationale Normen, nationale technische Zulassungen oder nationale technische Spezifikationen für die Planung, Berechnung und Ausführung von Bauwerken und den Einsatz von Produkten. Jede Bezugnahme ist mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig' zu versehen;

b) oder in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen; diese können Umwelteigenschaften umfassen. Die Anforderungen sind jedoch so genau zu fassen, dass sie den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln und dem öffentlichen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen;

c) oder in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Buchstabe b unter Bezugnahme auf die Spezifikationen gemäß Buchstabe a als Mittel zur Vermutung der Konformität mit diesen Leistungs- oder Funktionsanforderungen;

d) oder mit Bezugnahme auf die Spezifikationen gemäß Buchstabe a hinsichtlich bestimmter Merkmale und mit Bezugnahme auf die Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Buchstabe b hinsichtlich anderer Merkmale.

...

(8) Soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand nach den Absätzen 3 und 4 nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann; solche Verweise sind mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig' zu versehen."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

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Am 20. November 2013 leitete das Spitalul Județean de Urgența Alba Iulia ein Online-Ausschreibungsverfahren zur Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von Computersystemen und Computerhardware ein. Der geschätzte Wert des Auftrags belief sich auf 259 750 rumänische Lei (RON) ohne Mehrwertsteuer. Dieser Betrag entspricht ungefähr 58 600 Euro.

9

In den Verdingungsunterlagen wurde hinsichtlich der Zentraleinheit des Computersystems klargestellt, dass der Prozessor "mindestens" einem Prozessor "Intel Core i5 3,2 GHz oder gleichwertig" entsprechen müsse.

10

Das von EFS eingereichte Angebot umfasste einen Prozessor der Marke AMD und des Typs Quad Core A8-5600k mit sechs Prozessorkernen, einer Standard-Taktfrequenz von 3,6 GHz und einer "Turbo"-Taktfrequenz von 3,9 GHz.

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Dieses Angebot wurde mit der Begründung abgelehnt, es entspreche nicht den technischen Spezifikationen der Ausschreibung. Zu diesem Ergebnis war der öffentliche Auftraggeber gelangt, nachdem er infolge eines Besuchs der Webseite der Marke Intel festgestellt hatte, dass Prozessoren des Typs Core i5 mit einer Taktfrequenz von 3,2 GHz der ersten und zweiten Generation (Core i5-650) von diesem Hersteller nicht mehr produziert und nicht mehr unterstützt würden, obgleich sie im Handel nach wie vor verfügbar seien, und dass es sich beim nunmehr von diesem Hersteller produzierten Prozessor desselben Typs mit einer Taktfrequenz von mindestens 3,2 GHz um den Prozessor der dritten Generation handle. Im Vergleich mit diesem Prozessor der dritten Generation, der leistungsstärker ist als der von EFS angebotene Prozessor, wurde Letzterer für nicht den technischen Spezifikationen der Ausschreibung entsprechend erklärt.

12

EFS legte gegen die Entscheidung über die Ablehnung ihres Angebots beim Consiliul Nacional de Solucionare a Contestaciilor (Nationaler Rat für Beschwerdeentscheidungen) Beschwerde ein, wobei sie geltend machte, dass die Leistungen des in ihrem Angebot vorgesehenen Prozessors höher seien als diejenigen des im Rahmen der technischen Spezifikationen der Ausschreibung bezeichneten Prozessors, d. h. des Intel Core i5-650 mit 3,2 GHz. Es steht fest, dass der von EFS angebotene Prozessor dem der Marke Intel des Typs Core i5-650 tatsächlich überlegen ist. Nachdem die Beschwerde mit Entscheidung vom 11. Februar 2014 zurückgewiesen worden war, erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens bei der Curte de Apel Alba Iulia (Landgericht Alba Iulia) Klage gegen diese Entscheidung.

13

Unter diesen Umständen hat die Curte de Apel Alba Iulia beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18 dahin ausgelegt werden, dass dann, wenn der öffentliche Auftraggeber die technischen Spezifikationen des den Auftragsgegenstand bildenden Produkts unter Bezugnahme auf eine bestimmte Handelsmarke festlegt, die Eigenschaften des von einem Bieter angebotenen und als gleichwertig dargestellten Produkts nur auf die Eigenschaften von Produkten bezogen werden dürfen, die von dem Hersteller noch hergestellt werden, dessen Produkt als Referenz für die betreffende technische Spezifikation diente, oder können sie auch auf auf dem Markt befindliche Produkte dieses Herstellers bezogen werden, deren Produktion eingestellt wurde?

Zur Vorlagefrage

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Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht von der Annahme ausgeht, dass die Richtlinie 2004/18 im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits anwendbar sei, ohne jedoch Angaben zu machen, aus denen sich die Anwendbarkeit dieses Sekundärrechtsakts ergäbe.

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Die besonderen, strengen Verfahren in den Richtlinien der Europäischen Union zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gelten aber nur für Verträge, deren Auftragswert den in den jeweiligen Richtlinien ausdrücklich festgelegten Schwellenwert überschreitet. Diese Richtlinien gelten daher nicht für Aufträge, deren Wert den dort festgelegten Schwellenwert nicht erreicht (Urteil SECAP und Santorso, C-147/06 und C-148/06, EU:C:2008:277, Rn. 19 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Mithin ist Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18, um dessen Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits nicht anwendbar. Der Wert des betreffenden öffentlichen Auftrags ohne Mehrwertsteuer liegt nämlich bei 58 600 Euro, während der maßgebliche Schwellenwert dieser Richtlinie, wie er in deren Art. 7 Buchst. b festgelegt ist, 200 000 Euro beträgt.

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Jedoch ist zu beachten, dass die Vergabe von Aufträgen, die in Anbetracht ihres Wertes nicht in den Anwendungsbereich der genannten Richtlinie fallen, gleichwohl den Grundregeln und den allgemeinen Grundsätzen des AEU-Vertrags unterliegt, insbesondere den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie der daraus folgenden Pflicht zur Transparenz, sofern an diesen Aufträgen angesichts bestimmter objektiver Kriterien ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a. C-159/11, EU:C:2012:817, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17

Auch wenn das vorlegende Gericht die Grundregeln und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts im Vorabentscheidungsersuchen nicht direkt nennt, kann der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung gleichwohl - um dem Gericht, das ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, eine sachdienliche Antwort zu geben - auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen nicht angeführt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Medipac - Kazantzidis, C-6/05, EU:C:2007:337, Rn. 34).

18

Hierzu ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht die Gesichtspunkte vorgetragen hat, die erforderlich sind, damit der Gerichtshof prüfen kann, ob im Ausgangsverfahren ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Der Gerichtshof muss jedoch, wie sich aus Art. 94 seiner Verfahrensordnung ergibt, einem Vorabentscheidungsersuchen eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen, und des Zusammenhangs zwischen diesen Umständen und den Fragen entnehmen können. Die Feststellung der Gesichtspunkte, die erforderlich sind, um das Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses prüfen zu können, sowie ganz allgemein sämtlicher Feststellungen, die von den nationalen Gerichten zu treffen sind und von denen die Anwendbarkeit eines Aktes des Sekundärrechts oder des Primärrechts der Union abhängt, sollte daher vor einer Befassung des Gerichtshofs erfolgen (vgl. Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 "Spezzino" u. a., C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn. 47).

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Hat das vorlegende Gericht in Bezug auf das etwaige Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses keine derartigen vorherigen Feststellungen getroffen, so führt dies jedoch in Anbetracht der Zusammenarbeit, die das Verhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens kennzeichnet, nicht zwingend zur Unzulässigkeit des Ersuchens, sofern sich der Gerichtshof in der Lage sieht, dem vorlegenden Gericht anhand der in der Akte enthaltenen Angaben eine sachdienliche Antwort zu geben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Vorlageentscheidung genügend einschlägige Angaben enthält, um feststellen zu können, ob ein derartiges Interesse besteht. Die Antwort des Gerichtshofs steht allerdings unter der Prämisse, dass das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren nach eingehender Würdigung aller maßgeblichen Gegebenheiten ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse feststellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 "Spezzino" u. a., C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20

Hinsichtlich der objektiven Kriterien, die auf das Bestehen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses hinweisen können, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass derartige Kriterien u. a. ein gewisses Volumen des fraglichen Auftrags in Verbindung mit dem Leistungsort oder technische Merkmale des Auftrags sein können. Das vorlegende Gericht kann bei seiner umfassenden Würdigung des Bestehens eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses auch das Vorliegen von Beschwerden von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen, sofern sich erweist, dass diese Beschwerden real und nicht fiktiv sind (vgl. Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 "Spezzino" u. a., C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Im vorliegenden Fall könnte an dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag - trotz des geringen Auftragswerts und fehlender Ausführungen des vorlegenden Gerichts - angesichts des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, insbesondere des Umstands, dass es in diesem Verfahren um die Lieferung von Computersystemen und Computerhardware mit einem Referenzprozessor einer internationalen Marke geht, ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehen.

22

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände, die den Kontext der bei ihm anhängigen Rechtssache kennzeichnen, umfassend zu prüfen, ob an dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag tatsächlich ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Die folgenden Ausführungen stehen unter dieser Prämisse.

23

Die Vorlagefrage ist demnach dahin zu verstehen, dass sie sich im Rahmen eines Auftrags, der nicht unter die Richtlinie 2004/18 fällt, an dem aber ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, auf die Auswirkungen der Grundregeln und der allgemeinen Grundsätze des Vertrags bezieht, insbesondere der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der daraus folgenden Pflicht zur Transparenz.

24

Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass im Ausgangsverfahren die Einstellung der Produktion bei weiterer Verfügbarkeit am Markt nicht ein von einem Bieter angebotenes Produkt betrifft, sondern das Produkt, auf das sich die streitige technische Spezifikation bezieht. Die maßgebliche Frage ist somit nicht, ob der öffentliche Auftraggeber zusätzlich zu den insoweit in den Verdingungsunterlagen zu dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag enthaltenen Erläuterungen verlangen kann, dass das von einem Bieter angebotene Produkt noch hergestellt wird, sondern vielmehr, ob der öffentliche Auftraggeber, der eine technische Spezifikation durch Bezugnahme auf ein Produkt einer bestimmten Marke festgelegt hat, diese Spezifikation im Fall der Einstellung der Produktion dieses Produkts ändern kann, indem er sich auf ein vergleichbares Produkt derselben Marke bezieht, das nunmehr hergestellt wird und das andere Eigenschaften besitzt.

25

Was die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie die Pflicht zur Transparenz betrifft, ist den Mitgliedstaaten ein gewisses Ermessen zuzuerkennen, um zur Einhaltung dieser Grundsätze bestimmte Maßnahmen zu erlassen, die öffentliche Auftraggeber bei jedem Verfahren zur Vergabe eines Auftrags zu beachten haben (vgl. Urteil Serrantoni und Consorzio stabile edili, C-376/08, EU:C:2009:808, Rn. 31 und 32).

26

Die Verpflichtung zur Transparenz soll u. a. die Gefahr willkürlicher Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers ausschließen (vgl. zu Art. 2 der Richtlinie 2004/18 Urteil SAG ELV Slovensko u. a., C-599/10, EU:C:2012:191, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Dieses Ziel würde aber nicht erreicht, wenn sich der öffentliche Auftraggeber von den Bedingungen befreien könnte, die er selbst festgelegt hat. Es ist ihm daher untersagt, die Zuschlagskriterien während des Vergabeverfahrens zu ändern. Insoweit haben die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie die Pflicht zur Transparenz hinsichtlich der technischen Spezifikationen dieselbe Wirkung.

28

Demzufolge ist es dem öffentlichen Auftraggeber nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung und der Pflicht zur Transparenz untersagt, ein den Anforderungen der Ausschreibung genügendes Angebot unter Berufung auf Gründe abzulehnen, die nicht in der Ausschreibung vorgesehen sind (Urteil Medipac - Kazantzidis, C-6/05, EU:C:2007:337, Rn. 54).

29

Daher kann der öffentliche Auftraggeber nach der Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung eine technische Spezifikation, die sich auf eine Komponente einer Ausschreibung bezieht, nicht unter Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie die Pflicht zur Transparenz ändern. Insoweit ist es unerheblich, ob die Komponente, auf die sich diese Spezifikation bezieht, noch hergestellt wird oder am Markt verfügbar ist.

30

Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18 auf einen öffentlichen Auftrag, dessen Wert den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schwellenwert nicht erreicht, nicht anwendbar ist. Im Rahmen eines Auftrags, der nicht unter diese Richtlinie fällt, an dem aber ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, sind die Grundregeln und die allgemeinen Grundsätze des Vertrags, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie die daraus folgende Pflicht zur Transparenz, dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber ein den Anforderungen der Vergabebekanntmachung entsprechendes Angebot nicht ablehnen kann, indem er sich auf Gründe stützt, die in dieser Bekanntmachung nicht vorgesehen sind.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1251/2011 der Kommission vom 30. November 2011 geänderten Fassung ist auf einen öffentlichen Auftrag, dessen Wert den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schwellenwert nicht erreicht, nicht anwendbar. Im Rahmen eines Auftrags, der nicht unter diese Richtlinie fällt, an dem aber ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, sind die Grundregeln und die allgemeinen Grundsätze des AEU-Vertrags, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie die daraus folgende Pflicht zur Transparenz, dahin auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber ein den Anforderungen der Vergabebekanntmachung entsprechendes Angebot nicht ablehnen kann, indem er sich auf Gründe stützt, die in dieser Bekanntmachung nicht vorgesehen sind.