Auf Kritik wird nicht gehört

Das Jahr 2012 brachte zahlreiche Neuerungen. Und schon erhalten die Beschaffer einen Ausblick auf das zukünftige Unionsrecht. Einige Beiträge sind bereits erschienen. In einem Beitrag dazu urteilt beispielsweise Hermann Summa, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Koblenz, in aller Schärfe: „Nach der Reform ist vor der Reform. Das gilt insbesondere für das Vergaberecht, wo ein nicht nachlassender Reformeifer auf allen Ebenen der Rechtssetzung dazu führt, dass dem Rechtsanwender kaum noch Zeit bleibt, sich mit dem gerade geltenden Recht vertraut zu machen. Getrieben wird das Reform(un-)wesen auch von einer zunächst eher schleichenden, seit einigen Jahren aber auch offen propagierten Umwandlung des Vergabeverfahrens in ein Instrument der Gesellschafts- und Umweltpolitik. Begründet wird diese Vorgehensweise mit der Vorbildfunktion der öffentlichen Hand – eine Vorstellung, deren Realitätsferne erstaunt.“

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass alle Beteiligten bei zukünftigen „Reformen“ und Umsetzungen von EU-Recht Fehler vermeiden sollten, die z. B. in den §§ 97 V GWB, 18 I VOL/A, 21 I EG VOL/A etc. anzutreffen sind. Mit Recht rügt das OLG Frankfurt die aus unserer Sicht eindeutig EG-EU-rechtswidrige Umsetzung in § 97 V GWB (Zuschlag auf „das wirtschaftlichste Angebot“ – entgegen Art. 53 Richtlinie 2004/18/EG).

Reformen wie die der EG VOB/A 2012 sind entbehrlich und kosten nur Geld und Mühe.

Die unzutreffende Umsetzung des Art. 53 Richtlinie 2004/18/EG in §§ 97 V GWB, 21 EG VOL/A etc. liegt an sich auf der Hand. Der Zuschlag ist auf den niedrigsten Preis oder „das wirtschaftlich günstigste Angebot“ zu erteilen (Preis und weitere Kriterien) – nicht aber „unter Berücksichtigung aller Umstände das wirtschaftlichste Angebot“, wobei obendrein „der niedrigste Preis allein“ nicht entscheidend ist (z. B. § 18 I VOL/A). Es ist gerade umgekehrt: Der niedrigste Preis ist allein entscheidend, sofern keine anderen weiteren Kriterien neben dem Preis bekannt gemacht sind (vgl. § 16 VII VOL/A). Irreführender als in § 18 I VOL/A, 21 I EG VOL/A kann man es nicht formulieren. Insofern war es Zeit für die Entscheidung des OLG Frankfurt/Main.

In diesem Zusammenhang darf auch darauf hingewiesen werden, dass es zumindest bei Lieferung und Leistungen nicht einfach sein dürfte, sich weitere Zuschlagskriterien neben dem Preis in einem unangreifbaren Punktesystem oder einer Wertungsmatrix aus den Fingern zu saugen, die „durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sind“ und weder der Leistungsbeschreibung, noch der Eignung zuzuschreiben sind. Dass die Bieter vielfach Punktesysteme etc. nicht rügen, steht auf einem anderen Blatt. Man sollte nicht übersehen, dass entsprechende Matrixen etc. auch Gegenstand der Amtsermittlung sein können (vgl. § 110 GWB) – Intransparenz, Manipulationsverdacht etc.
OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 5.6.2012 – 11 Verg 4/12 – ZfBR 2012, 603 – Rechnungslegung – Vergabe nach dem Kriterium des niedrigsten Preises – erhebliche Zweifel an § 97 V GWB wegen Art. 53 Richtlinie 2004/18/EG (zutreffend: Es ist erstaunlich, dass dies erst 2012 in diesem Beschluss zum Ausdruck kommt!)

Zur „Reform der EG VOB/A“: Insofern ist anzumerken, dass auch diese so genannte „Reform“ nur ein weiteres Argument gegen das so genannte „Kaskadenprinzip“ sowie die Einschaltung des DVA und DVAL darstellt. Für die „Anpassung“ der VOB/A an die EG VOL/A bestand kein Anlass. In der Sache hat sich grundsätzlich in der EG VOB/A nichts geändert – ein absolut überflüssiger Schritt.


~1604