Beschaffungsvorgang Beginn BayObLG, Beschl. v. 22. 1.2002
- Verg 18/01 - NZBau 2002, 397 Altpapierentsorgung Stadtratsbeschluß (Antragsgegner) nach Kündigung des bisherigen Vertrages mit der Antragstellerin zur Vergabe an Beigeladene Nachprüfungsverfahren: Untersagung der Auftragsvergabe ohne öffentliche Ausschreibung nach VOL/A entsprechende Vergabekammerentscheidung - Bestätigung durch BayObLG - Soll der gegenständliche Auftrag vergeben werden, ist, von Ausnahmen abgesehen (vgl. § 3 Nrn. 2 bis 4 VOL/A), nach §§ 97 I, 100 I, 101 GWB i. V. mit § 3a Nr.1 I VOL/A auszuschreiben - Nachprüfungsverfahren ohne förmliches Vergabeverfahren: Zwar gewährleisten die §§ 102ff. GWB einen Primärrechtsschutz grundsätzlich nur während eines Vergabeverfahrens. Zulässig ist ein Nachprüfungsantrag deshalb unter anderem nur dann, wenn er sich auf ein konkretes Nachprüfungsverfahren bezieht, das begonnen und noch nicht abgeschlossen ist. Für einen vorbeugenden Rechtsschutz ist das Nachprüfungsverfahren nicht geschaffen (OLG Düsseldorf NZBau 2000, 306 [310]; vgl. auch OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 25.9.2000 - 11 Verg 2/99).
Dies schließt die Zuständigkeit der Vergabekammern für Auftragsvergaben jedoch nicht aus, bei denen die Ausschreibung rechtswidrig unterblieben ist. Um nämlich einen solchen besonders schwerwiegenden Vergabeverstoß zu erfassen, ist ein materielles Verständnis des Vergabeverfahrens erforderlich. Es ist in Abgrenzung zu bloßen Markterkundungen darauf abzustellen, ob und inwieweit der öffentliche Auftraggeber den Beschaffungsvorgang organisatorisch und planerisch bereits eingeleitet und mit potenziellen Anbietern Kontakte mit dem Ziel aufgenommen hat, das Beschaffungsvorhaben mit einer verbindlichen rechtsgeschäftlichen Einigung abzuschließen (s. OLG Düsseldorf, NZBau 2001, 696). ---Von einem solchermaßen konkreten Vorgang ist hier auszugehen. Die Ag. hat nicht nur Angebote eingeholt, sondern darüber hinaus bereits durch den Stadtrat als das zuständige Organ (Art. 29, 30 II GO) entschieden, dass dem Vorschlag der Verwaltung folgend der gegenständliche Entsorgungsauftrag der Beigel. erteilt werden soll. Ein konkreter Beschaffungsvorgang liegt somit vor. Dieser Beschaffungsvorgang ist noch nicht zum Abschluss gebracht (vgl. §§ 104 111, 114 II GWB), weil er dazu noch der rechtlichen Umsetzung durch den ersten Bürgermeister bedarf (5 Art. 38 GO). Demnach ist jedenfalls in zeitlicher Hinsicht die Zuständigkeit der Vergabekammer zur Gewährung von Primärrechtsschutz gegeben. Antragsbefugnis Ihr Interesse am Auftrag (§107 II 1 GWB) hat sie hier schon dadurch ausreichend belegt, dass sie auf Anforderung der Ag. hin, außerhalb eines Vergabeverfahrens, dieser am 16.5.2001 ein Angebot unterbreitet hat. Dies in Verbindung mit dem Umstand, dass die Ast. als Fachunternehmen der Entsorgungs- und Abfallwirtschaft einen ähnlichen Entsorgungsauftrag bis 31.12.2001 innehatte, also in der Lage war, gleichartige Leistungen zu erbringen, lässt erwarten, dass sie sich an einem Vergabeverfahren beteiligt und in diesem Verfahren zumindest eine Aussicht auf Berücksichtigung gehabt hätte (vgl. Boesen, Komm. z. VergabeR, § 107 Rdnr. 53). ---Nach § 107 II 2 GWB ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Bei einer Auftragserteilung ohne Vergabeverfahren genügt hierfür regelmäßig, dass der Antragsteller darlegt, durch die Missachtung der Vergabevorschriften sei ihm bisher die Möglichkeit genommen worden, im Wettbewerb ein aussagekräftiges und detailliertes Angebot zur Erbringung der (noch auszuschreibenden) Leistung abzugeben (OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 45 [481], sowie Beschl. v. 20.6.2001 - Verg 3/01). Gewährleistung der Grundsätze nur durch förmliches Verfahren - Sofern also bei der fraglichen Maßnahme eine Auftragsvergabe ,,nach außen- und nicht nur eine innerorganisatorische Aufgabenverlagerung vorliegt, hat die Ast. aus § 97 VII GWB einen subjektiven Anspruch auf Einhaltung der einschlägigen Vergabevorschriften nach VOL/A. kein Verstoß gegen eine Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge oder Unzulässigkeit wegen Treuwidrigkeit Rügeobliegenheit: Unabhängig hiervon setzt auch die Rügeobliegenheit des § 107 III 1 GWB die positive Kenntnis des vertretungsberechtigten Organs des Unternehmens voraus. Diese besitzt grundsätzlich erst, wer nicht nur die die Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen kennt, sondern auch den Schluss aus den Tatsachen auf die Fehlerhaftigkeit gezogen hat. Kenntnis wird allerdings regelmäßig auch dann angenommen, wenn sich ein redlich Denkender nicht der Überzeugung verschließen würde, die der rechtlichen Würdigung der tatsächlichen Umstände zu Grunde liegt. Dabei dürfen objektive Unsicherheiten in der rechtlichen Bewertung nicht einseitig zu Lasten der Bieterrechte gehen (Marx, in: Beck'scher VOB-Komm., §§ 107, 108 Rdnr. 27; s. auch BayObLGZ 1999, 127 [139 f.]). ---Die Ast. ist dem mit ihren Rügen vom 3./5. 9. 2001 rechtzeitig nachgekommen. Letztendlich wird die Rügepflicht nur dann ausgelöst, wenn die Rechtslage selbst eindeutig ist; objektive Unsicherheiten allein genügen also nicht (BayObLGZ, 1999, 127 [139]; zustimmend: Marx, in: Beck'scher VOB-Komm., §§ 107, 108 Rdnr. 27). Von einer eindeutigen Rechtslage kann jedoch bei den hier aufgeworfenen Fragen nicht die Rede sein (vgl. nur: Boesen, §100 Rdnr. 98). kein Verstoß gegen das der Vorschrift des § 107 III 1 GWB zu Grunde liegende Prinzip von Treu und Glauben (Marx, in: Beck'scher VOB-Komm., §§ 107, 108 Rdnr. 26; s. auch: Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 242 Rdnrn. 16, 17): Zwar war der Ast. spätestens seit 4.7.2001 bekannt, dass sie den Auftrag nicht erhalten werde. Ferner ergibt sich aus einem Aktenvermerk vom gleichen Tage und einem weiteren Angebot vom 20.7. 2001 an die Beigeladene das Bemühen der Ast. als Subunternehmerin ins Geschäft zu kommen. Diese Umstände allein genügen jedoch nicht, um die Rüge des unterbliebenen Vergabeverfahrens als treuwidrig zu bezeichnen. Denn es ist jedenfalls solange nicht widersprüchlich, sich außerhalb eines Vergabeverfahrens um einen Auftrag zu bemühen, als dem Bewerber nicht positiv bekannt ist, dass ein Vergabeverfahren rechtlich zwingend durchgeführt werden muss. Von einer treuwidrigen Verzögerung der Rüge kann angesichts der konkreten Umstände des Falles ebenso wenig die Rede sein. Dabei ist insbesondere der Umstand bedeutsam, dass für die Ast. Rechtsklarheit erst mit dem Gutachten ihrer anwaltlichen Berater vom 31.8.2001 geschaffen war, die Rüge wenige Tage später erhoben wurde und die Beigeladene die Abnahme und Verwertung des Altpapiers erst zum 1.1.2002 übernehmen sollte. --- Kein vergabefreies Eigengeschäft Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Richtlinie 93/36/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge anwendbar, wenn eine Gebietskörperschaft als öffentliche Auftraggeberin beabsichtigt, mit einer Einrichtung, die sich formal von ihr unterscheidet und die ihr gegenüber eigene Entscheidungsgewalt besitzt, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über die Lieferung von Waren zu schließen, wobei es unerheblich ist, ob diese Einrichtung selbst ein öffentlicher Auftraggeber ist (EuGH, NZBau 2000, 90 - ,,Teckal"). In einer weiteren Entscheidung vom 7.12.2000 hat der EuGH zu erkennen gegeben, dass für den Bereich der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG das Vorliegen eines Eigengeschäfts nach den gleichen Grundsätzen zu prüfen ist wie im Bereich der Richtlinie 93/36/EWG (NZBau 2001, 99 [101 unter Rdnr. 40] - ,,ARGE Gewässerschutz"). ---Auch der BGH folgt den in der Teckal-Entscheidung aufgestellten Grundsätzen für den Bereich der Dienstleistungsrichtlinie (BGH, NZBau 2001, 517 [519]). Nach dieser vom erkennenden Senat gebilligten Rechtsprechung ist bei funktioneller Betrachtungsweise auch dann, wenn ein entgeltlicher Vertrag vorliegt, der der Richtlinie 92/50/EWG unterfallen würde, eine Auftragsvergabe gem. § 99 I GWB zu verneinen, wenn ein Eigengeschäft in dem Sinne vorliegt, dass die Dienstleistung von einer Stelle erbracht wird, die der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist. ---Dies ist nach den vom EuGH aufgestellten Kriterien nur dann der Fall, wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche juristische Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben (EuGH, NZBau 2000, 90 [91 bei Rdnr. 50]). Zutreffend wird diese Aussage dahingehend verstanden, dass damit nicht eine identische, sondern nur eine vergleichbare Kontrolle gemeint sein kann (vgl. Faber, DVBI 2000, 248 [253 f.]). Denn wenn man eine identische Kontrolle für erforderlich hält, bleibt für eine Ausnahme nahezu kein Anwendungsbereich, weil der Grad der Weisungsgebundenheit integrierter Dienststellen von beherrschten Unternehmen auch bei größter Abhängigkeit des selbstständigen Trägers von der öffentlichen Hand nicht erreicht werden kann (Faber, DVBI 2000, 248 [253]). ---Es kommt demnach auch weniger auf eine Beherrschung als vielmehr auf die Möglichkeit einer ,,umfassenden Einflussnahme" der Gebietskörperschaft auf das Unternehmen an (Dreher NZBau 2001, 360 [363]). Verneinung der Weisungsgebundenheit der Beigeladenen gegenüber der Ag., die mit derjenigen über eine eigene Dienststelle vergleichbar wäre. Ob das zusätzliche Kriterium, nämlich eine Tätigkeit der Beigel. im Wesentlichen für die Ag. oder A, der ihre Anteile innehat, erfüllt ist, kann offenbleiben. maßgeblich Verhältnisse des Gesellschaftsvertrags kein Ausnahmefall des § 100 II lit. g GWB: Zwar ist die Ag. entsorgungspflichtig (Art. 3 I AbfG); jedoch hat die Beigel. kein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung (dazu VK Düsseldorf NZBau 2001, 46 [47], Boesen, § 100 Rdnr. 82, Faber, DVBI 2000, 248 [255], Gnittke/Siederer, ZVgR 2000, 236 [239 f.]; Gröning, ZIP 2001, 497 [500]). Die auf § 16 I KrW-/AbfG beruhende Beauftragung der Beigel. durch die Ag. vollzieht sich nämlich nicht durch Gesetz oder Verordnung. Im Übrigen verbliebe trotz ihrer Beauftragung weiterhin eine Entsorgungspflicht der öffentlich-rechtlichen Körperschaft gegenüber privaten Haushalten (vgl. § 15 II KrW-/AbfG; s. auch: Gröning; ZIP 2000, 497 [500]). Vergaberegime hier auch kommunalverfassungsrechtlich (Art. 28 II GG, Art. 11 II GV) unbedenklich (dazu ausführlich: Burgi, NVwZ 2001, 601 [604 f.]; auch VK Düsseldorf NZBau 2001, 46 [47]): Die Ag. und A werden nämlich nicht gehindert, sich zur Erfüllung von Pflichtaufgaben gemischt-wirtschaftlicher Gesellschaften zu bedienen. Öffnen sie sich durch die Hereinnahme privater Unternehmen bewusst dem Markt, um dessen Chancen zu nutzen, so ist es auch nur konsequent, diese Betätigung grundsätzlich den für einen freien Wettbewerb geltenden Vergabevorschriften zu unterwerfen. --- Zur Auftragsvergabe an gemischtwirtschaftliche Gesellschaften auch grundlegend Dreher, NZBau 2002, 245.
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