Bewerberbedingungen
Vergabesperre
BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006 - 1 BvL 4/00 – Tariftreueerklärung zulässig – gesetzliche Landesregelung in Berlin nicht verfassungswidrig - aber Achtung: OLG Celle, Beschl. v. 3.8.2006 - 13 U 72/06 - VergR 2006, 756 = NZBau 2006, 660: Das OLG legt dem EuGH zur Vorabentscheidung wie folgt vor: "Stellt es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag dar, wenn dem öffentlichen Auftragggeber durch Gesetz aufgegeben wird, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Utnernehmen zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitenehmern be3i der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen? Fundstelle: http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20060711_1bvl000400.html - Leitsätze: 1. Bei strittiger gemeinschaftsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Rechtslage gibt es keine feste Rangfolge unter den vom Gericht gegebenenfalls einzuleitenden Zwischenverfahren (Vorabentscheidung nach Art. 234 EG und Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG). 2. Die Tariftreueregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln berührt das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht und verletzt nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. – ( zu § 1 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Vergabegesetzes vom 9. Juli 1999 (GVBl S. 369)
BVerfG, Beschl. v. 13. 6. 2006 - 1 BvR 1160/03 – Rechtsschutz in Vergabeverfahren unterhalb des Schwellenwerts – Leitsätze des BVerfG: 1. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bindet staatliche Stellen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. 2. Die in der Rechtsordnung dem übergangenen Konkurrenten eingeräumten Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge mit Auftragssummen unterhalb der Schwellenwerte genügen den Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs (Art. 20 Abs. 3 GG). 3. Es verletzt nicht den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dass der Gesetzgeber den Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen unterhalb der Schwellenwerte anders gestaltet hat als den gegen Vergabeentscheidungen, die die Schwellenwerte übersteigen.
hierzu auch Kämmerer, Axel/Thüsing, Gregor, Tariftreue im Vergaberecht, ZIP 2002, 596 - Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, Verfassungswidrigkeit, fehlende Praktikabilität
Däubler, Wolfgang, Tariftreue statt Sozialkostenwettbewerb ? ZIP 2000. 681;
Dreher, Meinhard, Politische Vorgaben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus rechtswissenschaftlicher Sicht, ZVgR 1999, 289;
v. Ullrich/Siebert, Stefan, "Tariftreueregelungen" bei der Vergabe öffentlicher Aufträge - vereinbar mit deutschem Kartellrecht und Europarecht ? BB 1999, 1825 ff;
Meyer, T.R., Brandenburgische Frauenförderung doch nicht effektiv ?, ZVgR 1999, 238
Opitz, Marc, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff des Kartellvergaberechts. NZBau 2001, 12;
Otting, Olaf, Chancengleichheit, Transparenz und Neutralitätsgebot im Vergaberecht, NJW 2000, 484;
Prieß//Pitschas, Die Vereinbarkeit vergabefremder Zwecke mit dem deutschen und europäischen Vergaberecht - dargestellt am Beispiel der Scientology-Erklärung, ZVgR 1999, 144; Quardt, Gabriele, Neutralitätspflicht des öffentlichen Auftraggebers Zulässigkeit von "Doppelmandaten", BB 1999, 1940;
Sacksofsky, U., Verfolgung ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts, NJW 2000, 2619;
Voigt, Eckardt v., Die Berücksichtigung vergabefremder Kriterien nach dem Berliner Vergabegesetz, ZVgR 1999, 291.
Seifert, Achim, Rechtliche Probleme von Tariftreueerklärungen - Zur Zulässigkeit einer Verfolgung arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen durch die Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ZfA 2001, 1
Dreher, Meinrad,Tariftreueregelungen - pur, light oder überhaupt nicht ?, NZBau 2001, Heft 9, V.
Ein trotz der Kürze lesenswerter Beitrag eines anerkannten Fachmannes, der sich kritisch - zu Recht ! - dem Gesetzentwurf des Bundesrates - Gesetzentwurf zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen - befasst und dessen im übrigen nicht allein anzutreffende Bedenken man sehr ernst nehmen sollte. Hier wird man auch die Entscheidung des BVerfG (Vorlage BGH) abzuwarten haben - in der Entscheidung des EuGH vom 15.3.2001 - Rs. C-165/98 - NZBau 2001, 489 - sind im übrigen die Schranken für die Festlegung der Zahlung von Mindestlöhnen bereits aufgezeigt. Abgesehen von den erheblichen rechtlichen Bedenken kann dem Praktiker, der ein EU-Vergabeverfahren durchführt, nur empfohlen werden, sich hinsichtlich der vergabefremden Zwecke zurückzuhalten. Selbst wenn das entsprechende Gesetz zu den Tariftreueregelungen vorliegen sollte, ist dies dann prekär, wenn man in Verfolg des Gesetzes sein Vergabeverfahren mit diesen Risiken belastet, Zeit verliert, ein Überprüfungsverfahren mit allen möglichen Folgen riskiert. Im übrigen wird auf die Stichworte "Vergabefremde Zwecke" sowie "Tariftreueerklärung" verwiesen.
Schwerwiegende Bedenken ergeben sich trotz der Entscheidung des BVerfG (s.o. auch OLG Celle, aaO)), wenn die Vergabesperre in "Bewerbungsbedingungen" der öffentlichen Hand enthalten sind. Zutreffend hatten das KG und der BGH (Vorlage an BVerfG, aaO, s.o.) in der "Tariftreuerklärung"-Entscheidung festgestellt:
"Die sofortige Sanktionierung mit einer zweijährigen Auftragssperre (erg. infolge Verstoßes gegen die Tariftreuerklärung) verstößt gegen § 9 Abs. 1 AGBG. Die Ausschlussklausel ist als Bestandteil der "Besonderen Vertragsbedingungen" eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die die Vergabestellen des Landes der jeweils anderen Vertragspartei bei Abschluss von Verträgen stellt. Sie muss sich deshalb an den Bestimmungen des AGB-Gesetzes messen lassen. Mit der Klausel eröffnet sich der Verwender die Möglichkeit, einen Vertragspartner unabhängig von der Schwere seines Verstoßes (Anzahl der unterbezahlten Arbeitnehmer, Zeitraum der untertariflichen Beschäftigung, Volumen des Auftrags, Verschuldensgrad) sofort für zwei Jahre zu sperren. Diese Rechtsfolge kann von Fall zu Fall unter zwei Gesichtspunkten unverhältnismäßig sein und den Bieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Bei leichteren und insbesondere bei erstmaligen Verstößen kann es bereits unangemessen sein, den betreffenden Unternehmer sogleich von der weiteren Vergabe auszuschließen. Zwar existiert keine bundesweit einheitliche Regelung für die Handhabung des Ausschlusses von der Teilnahme am Wettbewerb um öffentliche Bauaufträge (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam VOB, 8. Aufl., A § 8 Rz. 58). Jedoch gibt das Vergabehandbuch für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwaltungen (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB, 13. Aufl., Einl. Rz. 104) Anhaltspunkte dafür, welche Verfehlungen eines Unternehmers als so schwer anzusehen sind, dass seine Zuverlässigkeit als Bewerber (vgl. § 8 Nr.5 lit. c VOB/A) in Frage steht und eine sofortige Auftragssperre gerechtfertigt ist. Dies sind vollendete oder versuchte Beamtenbestechung, Vorteilsgewährung sowie schwerwiegende im Geschäftsverkehr begangene Straftaten, insbesondere Diebstahl, Unterschlagung, Erpressung, Betrug, Untreue und Urkundenfälschung. Ferner Verstöße gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, unter anderem die Beteiligung an Absprachen über Preise oder Preisbestandteile, verbotene Preisempfehlungen, die Beteiligung an Empfehlungen oder Absprachen über die Abgabe oder Nichtabgabe von Angeboten, über die Aufrechnung von Ausfallentschädigungen sowie über Gewinnbeteiligungen und Abgaben an andere Bewerber.
Aus den Materialien zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und anderer Gesetze vom 26. Juli 1994 (vgl. BT-Drucks. 12/7563, 5.10 f; dazu auch Ingenstau/Korbion, aaO, A § 8 Rz. 72) ergibt sich, dass der Bundesgesetzgeber eine Auftragssperre bei Verstößen gegen dieses Gesetz nicht in allen Fällen für zwangsläufig hält, sondern dass eine Gesamtwürdigung der Umstände vorzunehmen ist, bevor diese Rechtsfolgenanordnung ausgesprochen wird. Danach kommt es u. a. auf die relative und absolute Zahl der illegal beschäftigten Arbeitnehmer, die Dauer ihrer Beschäftigung, die Häufigkeit etwaiger Verstöße, eine etwa bestehende Wiederholungsgefahr und den Umfang der Auswirkungen eines Normenverstoßes auf den öffentlichen Auftraggeber an (vgl. Ingenstau/Korbion, aaO, A § 8 Rz. 72). Auch auf Länderebene gibt es Regelungen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Beispielsweise sieht ein Runderlass der Hessischen Landesregierung vor, dass bei Verfehlungen, durch die dem Auftraggeber kein oder nur ein geringer Schaden entstanden ist, unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit von einem Ausschluss abgesehen werden kann. In einem solchen Fall ist der betreffende Bewerber bzw. Unternehmer auf den festgestellten Sachverhalt und die im Wiederholungsfall zu erwartenden Konsequenzen hinzuweisen (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam, aaO, A. § 8 Rz. 59). Nicht jeder Verstoß gegen die Tariftreueerklärung wiegt so schwer, dass die sofortige Verhängung einer Auftragssperre als adäquate Rechtsfolge angemessen ist. Soweit es die Dauer der ausgesprochenen Auftragssperre anbelangt, geben die Gesetzgebungsmaterialien für das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und anderer Gesetze vom 26. Juli 1994 ebenfalls Anhaltspunkte für die Verhältnismäßigkeit von Sanktionen. Danach soll der Bewerber bei einer erstmaligen Verfehlung in der Regel für sechs Monate ausgeschlossen werden und (erst) im Wiederholungsfall für 2Jahre.
Demgemäß kann die sofortige Sanktionierung mit einer Auftragssperre von 2 Jahren den Auftragnehmer entgegen Treu und Glauben auch dann unverhältnismäßig benachteiligen, wenn der zeitweilige Ausschluss von weiteren Vergabeverfahren im Hinblick auf den Verstoß dem Grunde nach gerechtfertigt erscheint."
Dieser Entscheidung ist im Grundsätzlichen (Anwendung des AGBG) sowie in der Folgerungen nach § 9 Nr. 1 AGBG zuzustimmen.
Bartl/Harald, Handbuch, 2. Aufl., 2000, Rdnr. 14f
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