BGH bremst Bieter aus
Immer weniger Chancen auf Schadensersatzansprüche der nicht berücksichtigten Bieter? Jedenfalls entschied der BGH: Ein Bieter hat nur dann einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn sein Angebot eine „echte Chance“ auf den Zuschlag gehabt hätte. Die „echte Chance“ hat der unterlegene Bieter nur dann, wenn sein nicht berücksichtigtes Angebot vergleichbar ist mit dem Angebot, das den Zuschlag erhielt. Dies gilt auch dann, wenn eine fehlerhafte Leistungsbeschreibung zu nicht vergleichbaren Angeboten führt. Darüber hinaus: Gibt ein Bieter, dem bekannt ist, dass die Leistungsbeschreibung fehlerhaft ist, dennoch ein Angebot ab, steht ihm auch kein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens zu.

BGH, Urteil vom 1. August 2006 - X ZR 146/03 – NZBau 2007, 58 - Beratungs- und Dienstleistungen bei sozialpolitischen Maßnahmen - Schadensersatz nur bei „echter Chance“ im Zuge einer Vergleichbarkeit der Angebote - § 126 GWB - §§ 311, 241 II, 280 BGB - §§ 8, 16 VOL/A – Leitsätze: a) An einer echten Chance im Sinne von § 126 GWB fehlt es, wenn die Leistungsbeschreibung fehlerhaft war und deshalb mangels Vergleichbarkeit die abgegebenen Angebote nicht gewertet werden können. b) Ist dem Bieter bekannt, dass die Leistungsbeschreibung fehlerhaft ist, und gibt er gleichwohl ein Angebot ab, steht ihm wegen dieses Fehlers der Ausschreibung ein Anspruch aus culpa in contrahendo auf Ersatz des Vertrauensschadens nicht zu.
Tatbestand:
1. Die Klägerin verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Ersatz des Schadens, der ihr als Bieter durch die Teilnahme an einem Vergabeverfahren entstanden ist. Die Klägerin bietet Beratungs- und Dienstleistungen im Rahmen sozialpolitischer Maßnahmen an und ist vornehmlich für öffentliche Auftraggeber tätig.
2. Die Klägerin bewarb sich auf eine Ausschreibung der Beklagten vom 11. Mai 2000. Sie wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 14. Juni 2000, dem ein Leistungskatalog beigefügt war, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Mit Schreiben vom 20. Juni 2000 rügte die Klägerin, dass der Leistungskatalog nicht ausreichend spezifiziert sei. Die Beklagte nahm in ihrer Antwort den Standpunkt ein, eine weitere Spezifizierung sei für ein qualifiziertes Angebot nicht nötig. Die Klägerin gab am 26. Juli 2000 ein Angebot ab. Einer der beiden weiteren Bewerber erhielt den Zuschlag.
3. Am 14. Juni 2000 stellte die Klägerin den Antrag, ein Vergabeprüfverfahren durchzuführen. Dieses Verfahren endete mit einem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 2001, durch den festgestellt wurde, dass die Ausschreibung wegen Unvollständigkeit des Leistungskatalogs nicht den vergaberechtlichen Anforderungen genügt und die Klägerin in ihren Rechten verletzt habe.
4. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe eine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt, und beziffert ihren Schaden auf rund 37.000,-- €. Dieser Schaden sei ihr durch die Tätigkeit und durch Reisen ihrer Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Erstellung des Angebots entstanden. Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 37.071,95 € nebst Zinsen zu verurteilen.
5. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
6. Die Revision ist nicht begründet.
7. I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch aus § 126 GWB verneint, weil dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin habe keine echte Chance im Sinne dieser Vorschrift gehabt. Eine Vergleichbarkeit der Angebote habe auf Grund der nur unvollständigen und den Bestimmtheitserfordernissen der §§ 8 und 16 Nr. 1 VOL/A nicht genügenden Ausschreibungsbedingungen nicht erreicht werden können. Das Oberlandesgericht Düsseldorf habe in seinem Beschluss vom 14. Februar 2001 ausgeführt, dass die Ausschreibungsunterlagen, die die Beklagte dem Vergabeverfahren zugrunde gelegt habe, insbesondere der Leistungskatalog, unvollständig und nicht hinreichend bestimmt gewesen seien. Es handele sich um eine so genannte funktionale Ausschreibung, die Beklagte habe jedoch nicht die Rahmenbedingungen und die wesentlichen Einzelheiten des zu vergebenden Auftrags festgelegt. Art und Umfang der erwarteten Leistungen seien nicht klar genug umschrieben gewesen. Es habe an der Vergabereife gefehlt, weil die Ausschreibung der Beklagten nicht als Grundlage für einen Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot geeignet gewesen sei. Die Vergleichbarkeit der eingegangenen Angebote sei auf dieser Grundlage nicht gewährleistet gewesen. Es könne mangels Vergleichbarkeit der Angebote mithin nicht festgestellt werden, dass die Klägerin ohne den Vergaberechtsverstoß eine echte Chance gehabt hätte, den Zuschlag zu erhalten.
8. Einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo hat das Berufungsgericht verneint, weil die Klägerin kein schutzwürdiges Interesse im Hinblick auf die Vergabe des Auftrags gehabt habe. Ihr sei der Verstoß der Beklagten gegen die Vorschriften des öffentlichen Vergaberechts von Anfang an bekannt gewesen.
9. II. Dies hält rechtlicher Prüfung stand.
10. 1. a) Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs nach § 126 GWB ist es, dass der Bieter ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß eine echte Chance gehabt hätte, den Zuschlag zu erhalten. § 126 GWB ist durch das Vergaberechtsänderungsgesetz mit Wirkung zum 01. Januar 1999 eingeführt worden. Die Vorschrift erweitert den Kreis der Anspruchsberechtigten. Dies sind alle am Vergabeverfahren beteiligten Bieter mit echter Chance und nicht nur derjenige Bieter, der bei ordnungsgemäß durchgeführter Ausschreibung den Zuschlag erhalten hätte (Immenga/Mestmäcker/Stockmann, GWB, 3. Aufl., § 126 Rdn. 2).
11. b) An einer echten Chance fehlt es jedoch, wenn die Leistungsbeschreibung fehlerhaft war und es deshalb an einer Vergleichbarkeit der abgegebenen Angebote und damit an einer Grundlage für die Beurteilung der echten Chance fehlt. Die fehlerhafte Leistungsbeschreibung stellt eine solche Grundlage dann nicht dar, weil auf die daraufhin abgegebenen Angebote von vornherein kein Zuschlag erteilt werden darf.
12. c) Zu der Frage, wer eine echte Chance im Sinne des § 126 GWB hat, besteht weitgehend Einigkeit, dass ein Bieter, der bei Geltung der VOB/A nicht in die engere Wahl nach § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A gekommen wäre, auch keine echte Chance auf die Erteilung des Zuschlags gehabt hat (Ingenstau/ Korbion/Müller-Wrede, VOB, 15. Aufl., § 126 GWB Rdn. 4; Immenga/Mestmäcker/Stockmann aaO; Byok/Jaeger/Gronstedt, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 126 GWB Rdn. 1288). Die Ansicht von Prieß (in Ibsen, Öffentliches Auftragswesen im Umbruch, S. 81, 91), wonach jedes Angebot eine echte Chance hat, das alle formellen Voraussetzungen der Ausschreibung erfüllt, wird überwiegend als zu weit gehend angesehen. Statt dessen soll es darauf ankommen, ob ein Bieter zur Spitze der Bieterliste gehört hat (Hucko, Vergaberecht 1998, 16) oder ob die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers für oder gegen ein Gebot aufgrund des im Rahmen des § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A vorhandenen Ermessens beziehungsweise des dem öffentlichen Auftraggeber zustehenden Beurteilungsspielraums rückblickend nicht mehr gerichtlich nachprüfbar sei (Schnorbus, Baurecht 1999, 77 ff., 93; Ingenstau/ Korbion, aaO; Boesen, Vergaberecht, § 126 Rdn. 25; Immenga/Mestmäcker/Stockmann, aaO, Rdn. 14; Byok/Jaeger/Gronstedt aaO, Rdn. 1294). Eine echte Chance soll demnach dann anzunehmen sein, wenn die Erteilung des Zuschlags an den Anspruchsteller innerhalb der Grenzen des Wertungsspielraums liegt, der dem Auftraggeber bei der Angebotsbewertung zusteht.
13. d) Voraussetzung ist jedoch stets, dass überhaupt ein Angebot vorliegt, das den Zuschlag hätte erhalten können. Daran fehlt es, wenn bereits die Wertungsmöglichkeit nicht besteht, weil eine nicht hinreichend spezifizierte und daher unklare Ausschreibung zu sachlich unterschiedlichen Geboten führt, zwischen denen eine Vergleichbarkeit nicht hergestellt werden kann. Nur über einen solchen Vergleich ist aber das Bestehen einer echten Chance festzustellen.
14. 2. Das Berufungsgericht hat auch zu Recht einen Anspruch aus culpa in contrahendo verneint. Ein solcher Anspruch wäre zwar ergänzend zu der Spezialregelung des § 126 GWB grundsätzlich denkbar, seine Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.
15. Eine Ersatzpflicht des öffentlichen Auftraggebers aus culpa in contrahendo hat nach der Rechtsprechung des Senats ihren Grund in der Verletzung des Vertrauens der Bieter darauf, dass das Vergabeverfahren nach den einschlägigen Vorschriften des Vergaberechts, insbesondere unter Beachtung der Verdingungsordnungen abgewickelt wird (BGHZ 139, 281, 283 für eine Ausschreibung nach VOB/A).
16. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin mehrmals auf die Unzulänglichkeit der Verdingungsunterlagen hingewiesen worden sei und sodann das Vergabenachprüfverfahren eingeleitet habe. Dies zeige, dass die Klägerin seit der Übersendung des Leistungskatalogs erkannt habe, dass die Ausschreibung nicht den Anforderungen der §§ 8, 16 VOL/A entsprochen habe und dass die Abgabe eines mit den Angeboten anderer Bieter vergleichbaren Angebots nicht möglich gewesen sei. Dies ergebe sich auch aus dem eindeutigen Wortlaut der Schreiben der Klägerin vom 20. und 27. Juni 2000. Die Klägerin habe daher auf eigenes Risiko die Aufwendungen für die Erstellung des Angebots veranlasst, was einen Anspruch aus culpa in contrahendo ausschließe.
17. Voraussetzung eines Anspruchs aus culpa in contrahendo ist, dass der Bieter sein Angebot tatsächlich im Vertrauen darauf abgibt, dass die Vorschriften des Vergabeverfahrens eingehalten werden. An diesem Vertrauenstatbestand fehlt es, soweit dem Bieter bekannt ist, dass die Ausschreibung fehlerhaft ist. Er vertraut dann nicht berechtigterweise darauf, dass der mit der Erstellung des Angebots und der Teilnahme am Verfahren verbundene Aufwand nicht nutzlos ist. Erkennt der Bieter, dass die Leistung nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben ist, so handelt er bei der Abgabe des Angebots nicht im Vertrauen darauf, dass das Vergabeverfahren insoweit nach den einschlägigen Vorschriften des Vergaberechts abgewickelt werden kann. Ein etwaiges Vertrauen darauf, dass gleichwohl sein Angebot Berücksichtigung finden könnte, ist jedenfalls nicht schutzwürdig. 18 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.