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2. EuGH vom 8.6.2023 – Rückforderung wegen Bestechung
EuGH, Urt. v. 8.6.2023 - C - 545 – 21 – ANAS - Rückforderung (EFRE – Mitfinanzierung) – Unregelmäßigkeiten – „In den schwerwiegendsten Fällen – wenn die Unregelmäßigkeit bestimmte Bieter/Bewerber begünstigt oder wenn ein zuständiges Gericht- oder eine Behörde einen Betrug im Zusammenhang mit der Unregelmäßigkeit nachgewiesen hat – kann eine Finanzkorrektur in Höhe von 100 % vorgenommen werden.“ - Bestechung mit Beteiligung von Beamten von ANAS - Art. 2 Nr. 7; Art. 98 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1083/2006 - Leitsatz (amtlich): 1. Art. 2 Nr. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Unregelmäßigkeit“ im Sinne dieser Bestimmung Verhaltensweisen erfasst, die als „Bestechungshandlungen“ eingestuft werden können, die im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags erfolgen, das die Durchführung von Arbeiten zum Gegenstand hat, die von einem Strukturfonds der Union mitfinanziert werden, und wegen denen ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren eingeleitet wurde, auch wenn nicht bewiesen ist, dass diese Verhaltensweisen einen tatsächlichen Einfluss auf das Verfahren zur Auswahl des Bieters gehabt haben, und kein tatsächlicher Schaden für den Unionshaushalt festgestellt wurde. 2. Art. 98 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten im Fall einer „Unregelmäßigkeit“, wie sie in Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung definiert wird, verpflichtet, für die Bestimmung der anwendbaren finanziellen Berichtigung eine Einzelfallprüfung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, wobei u. a. die Art und der Schweregrad der festgestellten Unregelmäßigkeiten sowie ihre finanziellen Auswirkungen für den betreffenden Fonds zu berücksichtigen sind.
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3. EuGH vom 26.1.2023 – Nichterfüllung und „automatische Aufnahme in Liste unzuverlässiger Unternehmen
EuGH, Urt. v. 26.01.2023 - C - 682 – 21 - „HSC Baltic“ UAB – „Bietergemeinschaft“ - vorzeitige Auftragsbeendigung (erhebliche oder dauerhafte Mängel/Nichterfüllung durch ein Mitglied der „Bietergemeinschaft“ – Listeneintrag (Ausschluss) aller Mitglieder – Ausschluss – Verhältnismäßigkeit – Rechtsbehelf gegen Eintragung in „Ausschlussliste“ - Art. 57 Abs. 4 Buchst. g Richtlinie 2014/24/EU - Leitsatz (amtlich): 1. Art. 18 Abs. 1 und Art. 57 Abs. 4 Buchst. g der Richtlinie 2014/24/EU ..... vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehen, wonach dann, wenn der öffentliche Auftraggeber einen an eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern vergebenen öffentlichen Auftrag wegen erheblicher oder dauerhafter Mängel, die zur Nichterfüllung einer wesentlichen Verpflichtung im Rahmen dieses Auftrags geführt haben, vorzeitig beendet, jedes Mitglied dieser Gruppe automatisch in eine Liste unzuverlässiger Auftragnehmer eingetragen wird und damit vorübergehend grundsätzlich daran gehindert ist, an neuen Vergabeverfahren teilzunehmen. 2. Art. 18 Abs. 1 und Art. 57 Abs. 4 Buchst. g der Richtlinie 2014/24 sind dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der Mitglied einer Bietergemeinschaft ist, an die ein öffentlicher Auftrag vergeben wurde, im Fall der vorzeitigen Beendigung dieses Auftrags wegen Nichterfüllung einer wesentlichen Verpflichtung zum Nachweis, dass seine Eintragung in eine Liste unzuverlässiger Auftragnehmer nicht gerechtfertigt ist, jeden Umstand einschließlich solcher, die Dritte wie das federführende Unternehmen dieser Bietergemeinschaft betreffen, geltend machen kann, der belegen kann, dass er die Mängel, die zur vorzeitigen Beendigung dieses Auftrags geführt haben, nicht verursacht hat und dass von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden konnte, mehr zu tun, als er getan hat, um ihnen abzuhelfen. 3. Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU ... ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der im Rahmen der Festlegung von Voraussetzungen für die Anwendung des in Art. 57 Abs. 4 Buchst. g der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes vorsieht, dass die Mitglieder einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern, an die ein öffentlicher Auftrag vergeben wurde, im Fall der vorzeitigen Beendigung dieses Auftrags wegen Nichterfüllung einer wesentlichen Verpflichtung in eine Liste unzuverlässiger Auftragnehmer eingetragen werden und damit von der Teilnahme an neuen Vergabeverfahren vorübergehend grundsätzlich ausgeschlossen sind, diesen Wirtschaftsteilnehmern das Recht gewährleisten muss, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen ihre Eintragung in diese Liste einzulegen.
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4. BGH vom 16.5.2023 – formwidriges Einreichen der Leistungsbeschreibung im PDF-Format
BGH, Urt. v. 16.5.2023 - XIII ZR 14-21 – Bauauftrag – erforderliches Einreichen der Leistungsbeschreibung mit vorgegebener GAEB-Datei – nicht formgerechtes Einreichen im PDF-Format – Ausschluss - Aufhebung und Zurückverweisung - §§ 11, 11a, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 – amtliche Leitsätze: a) Der Auftraggeber kann gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 festlegen, welche elektronischen Mittel (§§ 11, 11a VOB/A) bei der Einreichung von elektronischen Angeboten zu verwenden sind. b) Werden vorgegebene elektronische Mittel bei der Einreichung des Angebots nicht verwendet, ist das Angebot nicht formgerecht übermittelt und gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 auszuschließen.
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5.BayObLG vom 26.4.2023 – Medienausstattung keine Bauleistung
BayObLG, Beschl. v. 26.04.2023 - Verg 16 – 22 – Bauauftrag – Lieferauftrag - Medienausstattung - Hardware, Software, Displays, Audio- und Signalanlage, Montage - Demontage der Altanlage, Montage- und Werkstattplanung (Verkabelung am Gebäude - separate nationale Ausschreibung) – keine Bauleistungen (bei „Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände bilden vorliegend die Bauleistungen im Verhältnis zum Gesamtauftrag nur eine Nebenleistung, keinesfalls den Schwerpunkt oder den Hauptgegenstand des Auftrags“) – unzulässige nationale Vergabe – Rüge – Bindefristverlängerung – Antragsbefugnis wegen besserer Chance bei EU-Ausschreibung – „Bitte um Verlängerung der Bindefrist keine Änderung der Vergabeunterlagen - §§ 135 I, II, 160 I GWB, 57 VgV - Leitsatz (amtlich): 1. Die vom Auftraggeber beabsichtigte konkrete Nutzung eines Gebäudes genügt allein nicht, jede hierfür nötige Beschaffung von Gegenständen bereits aus diesem Grund als Bauauftrag zu qualifizieren, wenn weder ein Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks besteht noch es baulicher Änderungen oder mehr als nur unerheblicher Einbaumaßnahmen bedarf. 2. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist auch anwendbar, wenn der Auftrag - unzulässig - nur national ausgeschrieben war und die Antragstellerin ein Angebot abgegeben hat, ohne die fehlende europaweite Ausschreibung zu rügen. In einem derartigen Fall lässt sich eine Rügepflicht auch nicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis ableiten. 3. Die Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB beginnt nicht bereits mit dem Ablauf der Bindefrist im Rahmen einer - unzulässigen - nationalen Ausschreibung. 4. Eine Erledigung eines Antrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB durch Erlöschen des Beschaffungsbedarfs liegt nicht vor, wenn die beschafften Gegenstände wieder ausgebaut und zurückgegeben werden können. 5. Bei einem Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist der im Rahmen der nationalen Ausschreibung nicht berücksichtigte Bieter nur antragsbefugt, wenn er außer dem Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch darlegt, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit europaweiter Ausschreibung bessere Chancen auf den Zuschlag hätte. 6. Durch die Bitte des Auftraggebers um Verlängerung der Bindefrist über das in den Vergabeunterlagen vorgesehene Datum hinaus werden nicht die Vergabeunterlagen geändert. Ein Ausschluss des Angebots eines Bieters, der dem zunächst nicht nachkommen möchte, ist weder nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 noch nach Nr. 4 VgV möglich.
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6.BayObLG vom 11. 01. 2023 – unzulässige Angebote verbundener Unternehmen
BayObLG, Beschl. v. 11.01.2023 - Verg 2 – 21 – Busverkehr – Landkreis (AG) - Durchführung der Ausschreibung durch AVV GmbH – fakultativer Ausschluss – Gleichbehandlung – Verhältnismäßigkeit - Angebote verbundener Unternehmen (eigenständig und unabhängig voneinander? - zwei Angebote durch eine Person) – Eröffnung der „zweiten Chance“ durch Zurückversetzung – Empfangsbekenntnis (Wirkung) – PDF-Format – 1.4. zulässig - fakultative Ausschlussgründe des § 124 GWB abschließend – unzulässige Angebote, da nicht eigenständig und unabhängig (ausführlichst) - keine zulässigen Hauptangebote etc. – amtliche Leitsätze: „Leitsatz (amtlich): 1. Die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB ist abschließend. 2. Bei richtlinienkonformer Auslegung steht allerdings der in § 97 Abs. 2 GWB normierte Gleichbehandlungsgrundsatz einer Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegen, die zwar getrennt abgegeben wurden, aber weder eigenständig noch unabhängig sind. 3. Die Vergabestelle ist verpflichtet, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen, ob die Angebote miteinander verbundener Unternehmen eigenständig und unabhängig voneinander erstellt worden sind. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 4. Die Eröffnung der sogenannten „zweiten Chance“ durch eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, kommt nur in Betracht, wenn aufgrund der Sach- und Rechtslage am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung feststeht, dass ein vergaberechtskonformer Zuschlag unmöglich ist und sich daran auch durch bloße Fortsetzung des Vergabeverfahrens nichts mehr ändern kann.
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7.VK Nordbayern vom 23.3.2023 – unzulässige Gesamtvergabe statt Losaufteilung - teilbare Leistung – eigene Märkte
VK Nordbayern, Beschl. v. 23.03.2023 - RMF SG21 - 3194 - 8 – 6 – Patientenportal für Behandlungs- und Entlassmanagement – Gesamtvergabe statt Lose (getrennte Märkte – ausführliche Darstellung) - VHV mit TNWB - Ast. (nur) Unterauftragnehmer, nicht Bieter – Antragsbefugnis – Rüge: Verstoß durch Gesamtvergabe von digitalem Behandlungs- und Entlassmanagement ohne Losaufteilung - Leistung teilbar – eigener Markt – „Dieser Markteinschätzung der VSt - eine dokumentierte Markterkundung liegt nicht - vor folgt die Vergabekammer nicht. Nach ... der Vergabekammer existiert ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen für Entlassmanagement. Bei den Leistungen des Aufnahme- und Behandlungsmanagements auf der einen Seite und des Entlassmanagements auf der anderen Seite handelt es sich um Leistungen getrennter Märkte, die grundsätzlich in getrennten Fachlosen auszuschreiben sind.“ – ausführlich – keine wirtschaftlichen oder technischen Gründe für Gesamtvergabe nach § 97 IV S. 3 GWB (Ausnahme!) – Voraussetzung einer nur beschränkt überprüfbaren Entscheidung: Bewertung mit „Einschätzungsprärogative" – nur darauf zu überprüfen, „ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht ... Die Überprüfung erfolgt anhand der im Vergabevermerk zeitnah dokumentierten Abwägung ... Die VSt ist ... von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. ... Die VSt hat ...ihrer Entscheidung ... einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Damit überschreitet sie ... ihren Beurteilungsspielraum ... Dies allein stellt bereits einen vergaberechtlichen Verstoß dar.... Sie (Ast.) trägt zu Recht vor, dass ihr durch die Art der Ausschreibung der Zugang zur Vergabe verwehrt wird.... ist es für ein Unternehmen in der Regel immer von Nachteil, wenn es in die Position eines Nachunternehmers gedrängt wird.“ – auch mögliche Vergabe an Bietergemeinschaft bzw. Teilnahme als Unterauftragnehmer keine Rechtfertigung für Gesamtvergabe. – Zurückversetzung
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8. VK Südbayern vom 28.2.2023 – Datenschutz – ausschließliche Verarbeitung in Deutschland („USA-Problematik“)
VK Südbayern, Beschl. v. 28.02.2023 - 3194 . Z 3 - 3 _ 01 - 22 – 42 - TeleNotArzt-System - Antragsbefugnis – Ausschluss wegen Abänderung der Vergabeunterlagen (Zugriffsmöglichkeit durch ausländische, insbesondere US-Behörden auf geschützte Daten) - Zuschlagskriterien Preis (30 %) sowie drei Qualitätskriterien - Muster eines Auftragsverarbeitungsvertrag nach Art. 28 III DSGVO - Vorgabe: Ort der Leistungserbringung ausschließlich in Deutschland, Mitgliedsstaat der EU oder Vertragsstaat des EWG-Abkommens - keine Zulassung potentieller Bieter als Cloud-Provider mit Support aus Schweiz und IT-Infrastruktur in der EU auf Bieterfrage mit Bitte um Klarstellung - Angebot der Antragstellerin u. a. mit Betriebskonzept und Hosting zum Cloud-Service: NA-Cloud in den A… Datacenters komplett in Deutschland – Ausführungen im Einzelnen, Aufklärungsverlangen - Bayerischer Landesbeauftragte für den Datenschutz: nicht ausreichender Schutz – möglicher Zugriff durch US-Behörden – Information über Angebotsausschluss (§ 134 GWB): Cloud- Betrieb nicht datenchutzgerecht – unzureichende Prüfung der Voraussetzungen des § 57 I Nr. 4 VgV und Annahme des Verstoßes gegen Art. 44 ff. DSGVO und Vorgaben der Leistungsbeschreibung: „Die bisher vom Antragsgegner durchgeführte Prüfung des Angebots der Antragstellerin berücksichtigt angebotene technische Maßnahmen, die einen Zugriff von Drittstaaten auf unverschlüsselte personenbezogene Daten verhindern sollen, nicht ordnungsgemäß. Zudem ist aus der vom Antragsgegner vorgelegten Dokumentation nicht ersichtlich, ob er sich ausreichend mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob und inwieweit ein Risiko für etwaige drittstaatliche Auskunftsbegehren gegenüber dem Cloud-Provider überhaupt besteht, wenn zufällig personenbezogene Daten für kurze Zeit unverschlüsselt in der Cloud vorliegen.“ – Zurückversetzung – amtliche Leitsätze: 1. Der öffentliche Auftraggeber kann ein Angebot dann nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausschließen, wenn er im Rahmen der Prüfung der fachlichen Richtigkeit nachweisen kann, dass ein Angebot gegen die Vorgaben der Vergabeunterlagen verstößt. 2. Führt der öffentliche Auftraggeber eine Angebotsaufklärung durch, so hat er die von ihm als aufklärungsbedürftig erkannten Punkte klar und unmissverständlich dem Bieter mitzuteilen und konkrete Fragen zu stellen. 3. Ein öffentlicher Auftraggeber darf seine Beurteilung, ob ein Angebot hinsichtlich komplexer technischer und rechtlicher Fragen den Vergabeunterlagen entspricht nicht auf die Beurteilung externer Sachverständiger oder von Fachbehörden stützen, wenn diese ihrer Beurteilung ersichtlich nicht den vollständigen Sachverhalt oder alle relevanten Punkte zugrunde gelegt haben. 4. Bedient sich der öffentliche Auftraggeber bei der Überprüfung der fachlichen Richtigkeit des Sachverstandes von Dritten, so ist er verpflichtet, diesen die für die Überprüfung relevanten Umstände und Punkte umfassend mitzuteilen und die Antwort daraufhin zu überprüfen, ob auch alle essentiellen Fragen und Punkte gewürdigt wurden. 5. Entscheidet sich ein öffentlicher Auftraggeber einen Bieter auszuschließen so hat er zu dokumentieren, welche Aspekte er bei dieser Entscheidung berücksichtigt hat, welches Gewicht er ihnen zugemessen hat und was die tragenden Argumente für diese Entscheidung waren. Je komplexer die Prüfung des Ausschlussgrunds war, desto höhere Anforderungen werden auch an die Dokumentation der Entscheidung gestellt.
Vgl. auch VK Bund, Beschl. v. 13.02.2023 - VK 2 – 114 - 22 – Rahmenvereinbarungen Überlassung und Entwicklung von Anwendungen (Frontend und Backend) – Verarbeitung von Sozialdaten (Verarbeitung im Inland – Vertrauen auf das Leistungsversprechen der Beigeladenen [Bg.] – Unterauftragnehmerin mit USA-Muttergesellschaft - Datenverarbeitung im Inland (zulässig nach § 80 II SGB X)
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9. VK Sachsen vom 10.2.2023 – ungewöhnlich niedriger Preis – Auskömmlichkeit – Beurteilungsspielraum
VK Sachsen, Beschl. v. 10.02.2023 - 1 - SVK - 031 – 22 – Unauskömmlichkeit – Grundsätze –der Bewertung - Leitsatz (amtlich): 1. Die Vergabekammer hat nicht zu bewerten, ob ein Angebot auskömmlich oder unauskömmlich ist, sondern ob die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot als auskömmlich oder unauskömmlich zu bewerten, auf Basis eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen wurde und im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar ist. Bei dieser Prognoseentscheidung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher nur einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Vergabekammer unterliegt. 2. Ein Ausschluss eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots kommt nicht in Betracht, wenn der Auftraggeber nach der Prüfung gemäß § 60 Abs. 1 und 2 VgV anhand der vom Bieter vorgelegten Unterlagen die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten zufriedenstellend aufklären kann. Dann ist bereits der Tatbestand des Ausschlussgrunds aus § 60 Abs. 3 S. 1 VgV nicht gegeben. 3. Sofern der Bieter eine seriöse Kalkulation seines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots nachweist, indem er die Gründe seiner Angebots- und Preisgestaltung nachvollziehbar und stichhaltig aufschlüsselt, darf sein Angebot nicht ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist dabei, ob der Bieter nachvollziehbar erklären kann, aufgrund sach- und/oder unternehmensbezogener sowie wettbewerbsorientierter Gründe günstiger als das Bieterumfeld kalkuliert zu haben. 4. Ein nachvollziehbarer Grund für eine sehr niedrige Kalkulation kann im Einzelfall z. B. die Erlangung einer neuen Referenz sein, um damit ein – wettbewerblich erwünschtes - Verbleiben im Markt zu gewährleisten.
10. Literatur 2023 1 Jahreshälfte
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