Geheimhaltung - Vertraulichkeit - Geheimwettbewerb

Vertraulichkeit (Geheimwettbewerb) gehört zu den Grundsätzen eines Vergabeverfahrens.
Vgl. §§ 3 UVgO, 5 VgV.
Hierzu Bartl, Harald, UVgO, 2017, § 3 UVgO - auch § 5 VgV Anm. 1.

§ 3 Wahrung der Vertraulichkeit

(1) Sofern in dieser Verfahrensordnung oder anderen Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, darf der Auftraggeber keine von den Unternehmen übermittelten und von diesen als vertraulich gekennzeichneten Informationen weitergeben. Dazu gehören insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und die vertraulichen Aspekte der Angebote einschließlich ihrer Anlagen.

(2) Bei der gesamten Kommunikation sowie beim Austausch und der Speicherung von Informationenmuss der Auftraggeber die Integrität der Daten und die Vertraulichkeit der Teilnahmeanträge und Angebote einschließlich ihrer Anlagen gewährleisten. Die Teilnahmeanträge und Angebote einschließlich ihrer Anlagen sowie die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote sind auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln.

(3) Der Auftraggeber kann Unternehmen Anforderungen vorschreiben, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen im Rahmen des Vergabeverfahrens abzielen. Hierzu gehört insbesondere die Abgabe einer Verschwiegenheitserklärung.

 

Kommentierung

1. Allgemeines

§ 3 UVgO entspricht wörtlich § 5 VgV.

Die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit war bereits in früheren Vorschriften anzutreffen. Insofern sind die §§ 12 IV, 13 II, 14 III VOL/A, 14 I, 16 II EG VOL/A zu nennen.

Auch nach § 3 UVgO müssen Teilnahmeanträge, Angebote etc. insofern gesichert sein. Das gilt für die Zeit nach Bekanntmachung bzw. Aufforderung zur Teilnahme oder zum Angebot bis zum Zuschlag – aber auch nach Zuschlag oder Aufhebung. Insofern bestehen grundsätzlich auch keine Ansprüche auf Einsicht Dritter oder Vertreter der Medien. Anderes gilt für die Akteneinsicht im EU-Verfahren nach § 165 GWB. Aber selbst im Vergabeüberprüfungsverfahren sind Schranken zu beachten (vgl. § 165 II GWB). In diesem Zusammenhang ist auch der von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang genannte Grundsatz des „Geheimwettbewerbs“ zu nennen.

Vgl. Vgl. Bartl, VgV, § 5 Vor Anm. 1; Kulartz u. a., VgV, § 5 Rn. 2, 10 m. Hinw. auf VG Wiesbaden v. 4.9.2015 – 6 K 687/15 WI; auch Vergabekammer Bund, Beschl. v. 26.03.2014 - VK 2 - 19/14 - Instandsetzung von Getriebebaugruppen – Verstoß gegen Geheimwettbewerb durch Absprache; zur Vertraulichkeit Ziekow/Völlink (Vavra), Vergaberecht, VOL/A, § 13 Rn. 2; § 14 EG Rn. 1; auch Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal (Dierkes), VOL/A, § 14 EG, Rn. 8; Kulartz/Marx/Portz/Prieß (Dittmann), VOL/A, 3. Aufl., 2014, § 14 EG Rn. 8; 16 EG Rn. 37.

 

2. Vertraulichkeit der Informationen der Auftragnehmer durch Auftraggeber

Zu den Informationen gehören sämtliche Angaben, Mitteilungen und Äußerungen der Unternehmen, die im Laufe des „Vorlaufs“ bis zur Bekanntmachung und sodann mit Angebotsabgabe und danach übermittelt werden.

Entscheidend ist, dass diese Informationen von den Unternehmen als „vertraulich gekennzeichnet“ sein müssen. Das verlangt eine klare und eindeutige Mitteilung in „körperlicher“ Form. Das folgt aus der Formulierung „gekennzeichnet“. Diese Kennzeichnung muss sich vor, neben oder in Bezug auf die Information eindeutig ergeben. Der betreffende Hinweis muss konkret gehalten sein und sich auf bestimmte Informationen beziehen. Nicht ausreichend sind Hinweise: „Sämtliche Unterlagen sind vertraulich.“ Es geht hier um den besonderen Schutz bestimmter Informationen entsprechend dem Willen des Unternehmens.

Beispielhaft werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse genannt. Darunter sind sämtliche nicht offenkundige Tatsachen zu verstehen, die der Unternehmer berechtigterweise geheim hält und/oder geheim halten will. Geschäftsinteressen beziehen sich auf den kaufmännischen Geschäftsverkehr (etwa Kundenadressen, im Vergabeverfahren Referenzen). Betriebsgeheimnisse weisen z. B. technischen Charakter auf. Wie im UWG ist die Unterscheidung zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vergaberechtlich nicht relevant.

Vgl. Bartl, VGV, § 5 Anm. 1; Kulartz u. a., VgV, § 5 Rn. 3; zu den Zusammenhängen Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Auf., 2016, § 17 UWG Rn. 4a, m. w. Nachw.

In jedem Fall sind konkret als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bezeichnete Informationen vertraulich zu behandeln.

Vgl. Bartl, VGV, § 5 Anm. 1; Kulartz u. a., VgV, § 5 Rn. 3; vgl. zum bisherigen Recht Ziekow/Völlink (Vavra), § 13 VOB/A, Rn. 6, m. w. Nachw.

Die Formulierung „vertrauliche Aspekte der Angebote“ ist sehr weitgehend, bringt aber lediglich den ohnehin bestehenden Grundsatz des „Geheimwettbewerbs“ verstärkt zum Ausdruck. Ohne Vertraulichkeit der Angebote wäre das Vergabeverfahren aus den Angeln gehoben. Dementsprechend bestehen Pflichten zum Verschluss und zur Verschlüsselung.

Die Verletzung der vergaberechtlichen Pflicht kann zu zivilrechtlichen Ansprüchen führen (§§ 241 II, 311 II, III, 280 f BGB) oder den konkurrierenden Bieter zu Rügen nach § 160 III GWB veranlassen. Entsteht dem Bewerber oder Bieter durch die Verletzung der Pflicht zur Vertraulichkeit, so kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, wenn das Bekanntwerden seiner Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu einem Schaden führt.

Ziekow/Völlink (Vavra), § 13 VOB/A, Rn. 6, m. w. Nachw.

3. Vertraulichkeit der gesamten Kommunikation und Datensicherheit

Nach 3 II UVgO und gleichlautend nach § 5 II VgV hat der Auftraggeber Pflichten in zweifacher Weise:

3.1. Vertraulichkeit der Kommunikation und der Angebote etc.

3.1.1. Kommunikation

Unter Kommunikation ist jeder Kontakt (persönlich, elektronisch etc.) zu verstehen. Die Kommunikation bezieht sich hierbei nicht nur auf die Beschaffungsstelle (Einkauf), sondern auch auf die übrigen Abteilungen (Fachabteilung, Rechtsabteilung etc.), sofern mit diesen „kommuniziert“ wird. Auch vor Beginn des Verfahrens (vgl. § 28 I VgV) im Zusammenhang etwa mit Markterkundungsmaßnahmen ist Vertraulichkeit zu wahren. Gerade in dem Bereich des sog. „Vorlaufs“ wird hier häufig gegen die Pflicht zur Vertraulichkeit verstoßen. Mitarbeiter in den Fachabteilungen (= auch Bedarfsstellen genannt) geben teils in Unkenntnis entsprechender Pflichten Informationen an Dritte oder andere Interessenten weiter, die vertraulich zu halten sind. Das können auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens sein. Zur Verhinderung dieser Verstöße sind Belehrungen der Mitarbeiter und das Verlangen entsprechender Verpflichtungserklärungen zumindest bei den EU-Verfahren unabdingbar.

Soweit es um Datenverarbeitung etc. geht, sind die erforderlichen IT- Maßnahmen zu ergreifen, die die Vertraulichkeit (Integrität der Daten) sicher zu stellen. Wie in der Begründung zu Absatz 2 der VgV ausgeführt ist, sind die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten.

Vgl. Bartl, VgV, § 5 Anm. 2.1.1.; auch Kulartz u. a., VgV, § 4 Rn. 8 m. Hinw. auf Glossar des BSI (www.bsi.bund.de).

3.1.2. Vertraulichkeit der Angebote etc.

Vertraulichkeit ist ferner hinsichtlich der Interessensbekundungen (vgl. § 52 III VgV), den Interessensbestätigungen (vgl. § 52 III VgV), den Teilnahmeanträgen (vgl. §§ 14 II, III, 16 I, 18 I und 19 II VgV) und den Angeboten zu „gewährleisten“. Insofern sind entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Hierzu gehört die Verhinderung des Zugriffs durch Unbefugte. Auch die Verschwiegenheit der Mitarbeiter hinsichtlich der gesamten Unterlagen ist sicher zu stellen (Verpflichtungserklärungen, Aufklärung und Hinweise). Das gilt auch für die Dokumentation der Öffnung (vgl. §§ 8 I, 55 I, II VgV) und Wertung (vgl. §§ 57 f VgV). Das gilt für die Zeit nach Abschluss des Vergabeverfahrens – für die Zeit der Aufbewahrung greift § 8 III VgV ein (siehe dort).

Vgl. Bartl, VgV, § 5 Anm. 2.1.2.; Kulartz u. a., VgV, § 5 Rn. 9.

Welche Maßnahmen hier im Einzelnen zu treffen sind, obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen eines sorgfältig arbeitenden Auftraggebers. Unterlagen, die verschlüsselt oder mit Zugangscode abgesichert werden, sind anders als verkörperte (Papier-) Unterlagen zu behandeln. Bei zuletzt genannten Unterlagen ist der Zugang nur für bestimmte Personen zu den abgeschlossenen Räumen oder Behältern vorzusehen. Zugangszeitpunkte, Zugangspersonen und Einsicht oder die Kopie von Unterlagen sind nachvollziehbar zu erfassen und die „Vertraulichkeitsdokumentation“ aufzunehmen.

Pflichtverletzungen können zu den o. unter Anm. 1. a. E. behandelnden Ansprüchen der Teilnehmer bzw. Bieter führen.

Bartl, VgV, § 5 Anm. 1.

4. Verschwiegenheitserklärungen

4.1. Verschwiegenheitserklärungen der Mitarbeiter

Denkbar sind auch (deklaratorische) zusätzliche Verschwiegenheitserklärungen der Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers. An sich gehört dies zu den selbstverständlichen Pflichten dieses Personenkreises. Allerdings sind die Mitarbeiter über die Besonderheiten des „Geheimwettbewerbs“ generell“ und im Übrigen bei zeitaufwändigen EU-Verfahren mit nicht selten zahlreichen externen Kontakten auf die Pflicht zur Vertraulichkeit hinzuweisen. In vielen Vergabestellen wird zumindest bei jedem EU-Vergabeverfahren eine konkret gehaltene Verschwiegenheitserklärung von den Mitarbeitern verlangt, die das Vergabeverfahren durchführen bzw. z. B. als Mitarbeiter der Fachabteilungen eingeschaltet werden.

Bartl, VgV, § 5 Anm. 3.1.; auch Kulartz u. a., VgV, § 5 Rn. 11.

4.2. Verschwiegenheitserklärung der Unternehmen

Nach § 5 III VgV „kann“ der Auftraggeber zum Schutz der Vertraulichkeit der Informationen besondere „Anforderungen“ vorsehen (vgl. § 128 II GWB). Ob und welche „Anforderungen“ vorgesehen werden, entscheidet der Auftraggeber unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Falls nach pflichtgemäßem Ermessen. Speziell in Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialogen und Innovationspartnerschaften wird es vielfach nicht zu verhindern sein, dass die Bewerber etc. Informationen über andere Angebote etc. mittelbar oder unmittelbar erhalten. Das „kann“ den Auftraggeber abgesehen von weiteren Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit auch dazu veranlassen, von den Unternehmen (und nicht nur von den Auftragnehmern) eine konkret auf das Vergabe verfahren zugeschnittene „Verschwiegenheitsklärung“ zu verlangen. Das darf aber nicht über das hinausgehen, was für das jeweilige Vergabeverfahren vertretbar ist.

Natürlich kann das Verlangen der Verschwiegenheitserklärung den Auftraggeber nicht hinsichtlich der Pflichten zur Wahrung der Vertraulichkeit entlasten oder diese gar zu vernachlässigen.

Bartl, VgV, § 5 Anm. 3.2.; auch Kulartz u. a., VgV, § 5 Rn. 11.

 

Erläuterungen

§ 3  Wahrung der Vertraulichkeit

●          § 3 entspricht wortgleich dem § 5 VgV zur Wahrung der Vertraulichkeit.

 

 

 

 




Vergabeart - VOL/A, VOB/A - VgV, UVgO
Sofern die Voraussetzungen der Geheimhaltungsbestimmungen vorliegen, kann die Freihändige Vergabe nach § 3 Nr. 4 f VOB/A bzw. nach § 3 Nr. 4 g) VOL/A gewählt werden. Denkbar ist auch eine Beschränkte Ausschreibung nach § 3 Nr. 3 d) VOL/A. Die Beschaffungsstelle hat insofern die Darlegungs- und Beweislast.

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