Besondere Bedeutung hat die Entscheidung des EuGH, Urt. v. 17.06.2021 - C - 23 – 20 – Nutricia, die eine offene Rahmenvereinbarung“ ohne Höchstwertangabe betrifft. Rahmenvereinbarungen müssen „fair“, transparent gestaltet sein. In die Bekanntmachung ist der geschätzte Höchstwert bzw.-menge aufzunehmen (m.E. auch die Mindestmenge). 

EuGH, Urt. v. 17.06.2021 - C - 23 – 20 - Nutricia – „offene Rahmenvereinbarung“ ohne Höchstwertangabe rechtswidrig - Erwerb von Ausrüstung für künstliche Ernährung über Sonden häuslich versorgter Patienten und für Heime – Erforderlichkeit der Bekanntmachung mit Schätzwert oder Schätzmenge und Höchstmenge oder Höchstwert - Auftragsbekanntmachung ohne Angaben zum geschätzten Wert der Beschaffung der Rahmenvereinbarung und ohne Höchstwert der Rahmenvereinbarungen oder der geschätzten Menge oder Höchstmenge der nach den Rahmenvereinbarungen zu beschaffenden Waren: „54 Im Hinblick auf die in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 genannten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz sowie die allgemeine Systematik der Richtlinie ist es jedoch nicht hinnehmbar, dass öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung keine Angaben zu einem Höchstwert der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren machen.“ ...“68 Aus alledem folgt, dass öffentliche Auftraggeber, die von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt sind, sich für sich selbst und für potenzielle öffentliche Auftraggeber, die in dieser Vereinbarung eindeutig genannt werden, nur bis zu einer Höchstmenge und/oder einem Höchstwert verpflichten können und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist.“ – Aber: Unwirksamkeit des Rahmenvertrags wäre unverhältnismäßig – also Einschränkung der Unwirksamkeit - Tenor: 1. Art. 49 der Richtlinie 2014/24/EU .... Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz sind dahin auszulegen, dass in der Bekanntmachung sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben sind und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist. Art. 49 der Richtlinie 2014/24 sowie deren Anhang V Teil C Nrn. 7 und 10 Buchst. a in Verbindung mit deren Art. 33 und den in Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz sind dahin auszulegen, dass die Schätzmenge und/oder der Schätzwert sowie eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren als Gesamtmenge oder -wert in der Bekanntmachung anzugeben sind und dass in dieser Bekanntmachung zusätzliche Anforderungen festgelegt werden können, über deren Aufnahme in die Bekanntmachung der öffentliche Auftraggeber entscheidet. 2. Art. 2d Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht anwendbar ist, wenn eine Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, selbst wenn zum einen die Schätzmenge und/oder der Schätzwert der gemäß der geplanten Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren nicht aus der Bekanntmachung, sondern aus der Beschreibung hervorgehen und zum anderen weder in der Bekanntmachung noch in der Beschreibung eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren angegeben sind.“ – Unverhältnismäßigkeit.

EuGH, Urt. v. 08.07.2021 - C - 295 – 20 – „Abfallexport“ in andere Mitgliedsstaat – erforderliche Zustimmung der zuständigen Behörden desanderen Mitgliedsstaates für die Ausführung des Abfalls in einen anderen Mitgliedsstaat – Unzulässigkeit der Ablehnung eines Angebots wegen fehlenden Nachweises der Erfüllung der Bedingung für die Ausführung des Auftrags zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebots – Art. 18 I, II, 58, 70 RL 2014/24/EU - Tenor: 1. Art. 18 Abs. 2, Art. 58 und Art. 70 der Richtlinie 2014/24/EU ... sind dahin auszulegen, dass in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Abfallbewirtschaftungsdienstleistungen die sich insbesondere aus Art. 2 Nr. 35 und Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 ... vom 14.06.2006 über die Verbringung von Abfällen ergebende Pflicht eines Wirtschaftsteilnehmers, der Abfälle von einem Mitgliedstaat in einen anderen Staat verbringen will, über die Zustimmung der zuständigen Behörden der von der Verbringung betroffenen Mitgliedstaaten zu verfügen, eine Bedingung für die Ausführung dieses Auftrags darstellt. 2. Art. 70 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass er es verbietet, das Angebot eines Bieters allein deshalb abzulehnen, weil dieser zum Zeitpunkt der Abgabe seines Angebots nicht nachweist, dass er eine Bedingung für die Ausführung des betreffenden Auftrags erfüllt.

EuGH, Urt. v.17.06.2021 - C 862 - 19 P – unzulässige freihändige Vergabe bei EU-Fördermittel-Mitteln - Ausnahmevorschrift für Auftragsvergabe nur durch Rundfunk- und Fernsehanstalten - Art. 16 Buchst. b RL 2004/18/EG - Prüfung der kofinanzierten öffentlichen Aufträge für Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen von aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Europäischen Sozialfonds (ESF) – unzulässige freihändige Vergabe; kein Eingreifen der Ausnahme für „Kauf, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Programmen, die zur Ausstrahlung durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten bestimmt sind, sowie die Ausstrahlung von Sendungen“ nach Art. 16 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 sein könnten – ferner Vergabe der fraglichen vier Aufträge vom Ministerium für regionale Entwicklung sowie vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport , nicht durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten

EuGH, Urt. v. 03.06.2021, C - 210 – 20 – Rad Service –Italien – automatischer Ausschluss (unzulässig) – wahrheitswidrige Angaben eines Subunternehmers als Ausschlussgrund ohne zumindest Gestattung zum Ersatz des Subunternehmens - Art. 49, 56 AEUV, Art. 63 der RL 2014/24/EU – Tenor: Art. 63 der Richtlinie 2014/24/EU ... ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen der öffentliche Auftraggeber einen Bieter automatisch von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auszuschließen hat, wenn ein Hilfsunternehmen, dessen Kapazitäten er in Anspruch nehmen möchte, eine wahrheitswidrige Erklärung zum Vorliegen rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilungen vorgelegt hat, ohne dem Bieter in einem solchen Fall vorschreiben oder zumindest gestatten zu dürfen, dieses Unternehmen zu ersetzen.

EuGH, Beschl. v. 20.05.2021, C - 6 - 20 – Lebensmittelhilfe (Estland) durch Auftragnehmer aus einem anderen Mitgliedstaat– Eignungsanforderungen – vgl. EuGH, SchlussA. v. 28.01.2021, C - 6 / 20 - Zeitpunkt für Nachweis nicht bereits bei Abgabe des Angebots – Vertrauensschutz- Art. 2, 46 RL 2004/18/EG – Registrierung und Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat ausreichend für die Vermutung der Eignung – andernfalls Diskriminierung durch Verlangen der Zulassung etc. im auftragsvergebenden Mitgliedstaat – Tenor: 1. Die Art. 2 und 46 der Richtlinie 2004/18/EG .... sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der öffentliche Auftraggeber in einer Bekanntmachung als qualitatives Auswahlkriterium verlangen muss, dass die Bieter bereits bei Abgabe ihres Angebots den Nachweis erbringen, dass sie über eine Registrierung oder eine Zulassung verfügen, die nach den Vorschriften erforderlich ist, die für die Tätigkeit, die Gegenstand des betreffenden öffentlichen Auftrags ist, gelten, und die von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats der Ausführung des Auftrags erteilt wurde, auch wenn sie in dem Mitgliedstaat, in dem sie niedergelassen sind, bereits über eine entsprechende Registrierung oder Zulassung verfügen. 2. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist dahin auszulegen, dass er nicht von einem öffentlichen Auftraggeber geltend gemacht werden kann, der im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zur Einhaltung der nationalen Vorschriften des Lebensmittelrechts von den Bietern verlangt hat, dass sie bereits bei Abgabe ihres Angebots über eine Registrierung oder eine Zulassung durch die zuständige Behörde des Mitgliedstaats der Auftragsausführung verfügen.

EuGH, Beschl. v. 24.03.2021, C - 771 – 19 – Nama – Archi - technische Beratungsdienste für die Erweiterung der Athener Metro - Art. 1 Abs. 1 RL 92/50/EWG - DKR; Art. 1 Abs. 2 RL 92/50/EWG - DKR; Art. 2 Abs. 1 a RL 92/50/EWG - DKR; Art. 2 Abs. 1 b RL 92/50/EWG - DKR; Art. 2a Abs. 2 RL 92/50/EWG – DKR – Ausschluss vor der Vergabe – Antrag auf Aussetzung der Vollziehung - Geltendmachung von Gründen – Rüge – rechtskräftige Entscheidung – Tenor der Entscheidung: „Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b sowie Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 92/13/EWG ... vom 25. Februar 1992 ... die Richtlinie 2014/23/EU ... vom 26. Februar 2014 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass ein Bieter, der in einer Phase vor der Vergabe eines öffentlichen Auftrags vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde und dessen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung, mit der er von diesem Verfahren ausgeschlossen wurde, zurückgewiesen wurde, in seinem zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung, mit der das Angebot eines anderen Bieters zugelassen wurde, sämtliche Gründe geltend machen kann, mit denen ein Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, gerügt wird, also auch solche, die in keinem Zusammenhang mit den Mängeln stehen, aufgrund deren sein Angebot ausgeschlossen wurde. Diese Möglichkeit wird nicht dadurch berührt, dass der Antrag auf vorgerichtliche Nachprüfung bei einer unabhängigen nationalen Stelle, den der Bieter nach dem nationalen Recht gegen die Entscheidung über seinen Ausschluss zuvor stellen musste, abgelehnt wurde, sofern diese Entscheidung nicht rechtskräftig geworden ist.“

EuGH, Urt. v. 03.02.2021, C - 155 - 19 und C - 156 – 19 - Italienischer Fußballverband - Öffentlicher Auftraggeber - privatrechtlicher Verein – Sportverband - Auftrag an Consorzio X – Tenor der Entscheidung: „1. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a der Richtlinie 2014/24/EU ... vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass bei einer Einrichtung, die mit im nationalen Recht abschließend festgelegten öffentlichen Aufgaben betraut ist, auch dann angenommen werden kann, dass sie im Sinne dieser Bestimmung zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, wenn sie nicht in der Form einer öffentlichen Verwaltungsstelle, sondern in der Form eines privatrechtlichen Vereins gegründet wurde und bestimmte ihrer Tätigkeiten, hinsichtlich deren sie über Eigenfinanzierungskapazität verfügt, keinen öffentlichen Charakter haben. 2. Die zweite der in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c der Richtlinie 2014/24 aufgeführten Tatbestandsvarianten ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass ein nationaler Sportverband nach dem nationalen Recht über Leitungsautonomie verfügt, nur dann anzunehmen ist, dass die Leitung dieses Verbands der Aufsicht einer öffentlichen Einrichtung untersteht, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der Befugnisse dieser Einrichtung gegenüber dem Verband ergibt, dass eine aktive Aufsicht über die Leitung vorliegt, die diese Autonomie faktisch so sehr in Frage stellt, dass sie es der Einrichtung ermöglicht, die Entscheidungen des Verbands im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beeinflussen. Der Umstand, dass die verschiedenen nationalen Sportverbände die Tätigkeit der betreffenden öffentlichen Einrichtung dadurch beeinflussen, dass sie mehrheitlich an deren wichtigsten beratenden Kollegialorganen beteiligt sind, ist nur dann maßgeblich, wenn sich feststellen lässt, dass jeder dieser Verbände für sich genommen in der Lage ist, einen so erheblichen Einfluss auf die von dieser Einrichtung ihm gegenüber geführte öffentliche Aufsicht auszuüben, dass diese Aufsicht neutralisiert und er damit die Entscheidungshoheit über seine Leitung wiedererlangen würde, und zwar ungeachtet des Einflusses der anderen nationalen Sportverbände, die sich in einer ähnlichen Lage befinden.“

EuGH, Schlussantrag v. 21.01.2021, C - 721 - 19 und C - 722 – 19 – Sofortlotterien – wesentliche Änderung eines Konzessionsvertragsamtlicher Vorschlag:1. Sieht die ursprüngliche Konzession für die Veranstaltung nationaler Sofortlotterien die Fortsetzung des Konzessionsverhältnisses über einen zweiten Zeitraum von neun Jahren mit demselben Konzessionsnehmer vor, stehen diese Vorschriften dem nicht entgegen, dass diese Maßnahme durch eine Bestimmung mit Gesetzeskraft erlassen wird, nachdem die konzessionserteilende Verwaltung bestätigt hat, dass die Fortsetzung des Verhältnisses im öffentlichen Interesse liegt und der ursprünglichen Konzession entspricht. 2. Vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht sind Änderungen der Konzessionsbedingungen, die sich unter Aufrechterhaltung des Konzessionsvertrags, des rechtlichen Gegenstands, der Höhe der Vergütung und ihrer Entrichtung in zwei Tranchen darauf beschränken, die Teilbeträge, in denen der Konzessionsnehmer diese Raten zu zahlen hat, zu ändern, nicht wesentlich im Sinne von Art. 43 der Richtlinie 2014/23. 3. Wirtschaftsteilnehmer, die an der Verwertung der Konzession interessiert sind, sind berechtigt, die Fortsetzung des Konzessionsverhältnisses mit dem Konzessionsnehmer mit der Begründung anzufechten, dass die Bedingungen für die Fortsetzung eine wesentliche Änderung der ursprünglichen Konzession darstellen. Insoweit ist es unerheblich, dass diese Wirtschaftsteilnehmer nicht an der ursprünglichen Ausschreibung teilgenommen haben.“

EuGH, Urt. v. 17.12.2020 - C 475-19P und C 688-19P - Vermarktung von Bauprodukten - Rechtsmittel – Rechtsangleichung – Verordnung (EU) Nr. 305/2011 – Harmonisierte Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten – Harmonisierte Normen und harmonisierte technische Vorschriften – Harmonisierte Normen EN 14342:2013, EN 14904:2006, EN 13341:2005 + A1:2011 und EN 12285-2:2005 – Nichtigkeitsklage Deutschlands – bejahte Zulässigkeit – keine Begründetheit