Zwei Gerichte eröffnen neue Möglichkeiten


Gibt es doch einen Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte? Das wird in der Rechtsprechung immer „realer“ zu Lasten der öffentlichen Auftraggeber. Zwei Gerichte, das OLG Düsseldorf und das LG Potsdam, haben neuerdings entsprechende Möglichkeiten eröffnet. Der Deutsche Anwaltverein hat bereits konkrete Vorschläge für einen Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte vorgelegt. In der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP ist die Frage ebenfalls angesprochen.

Da die ca. 32.000 Vergabestellen, die jährlich bei öffentlichen Auftraggebern millionenfach Aufträge unterhalb der Schwellenwerte vergeben, könnte sich hier durchaus eine „Verfahrenswelle“ ergeben – anders als im Bereich der Vergaben oberhalb der Schwellenwerte (nur ca. zehn Prozent der Auftragsvergaben). Hier kam es 2009 lediglich zu 1275 Verfahren vor den Vergabekammern und nur zu 199 Beschwerdeverfahren vor den Oberlandesgerichten.

Das OLG Düsseldorf hat in einem viel beachteten Urteil vom 13.01.2010 (Aktenzeichen: 1-27 U 1/09) betreffend ein Verfahren nach VOB/A eine vorläufige Unterlassung des Zuschlags durch eine einstweilige Anordnung sowie einstweilige Verfügung grundsätzlich für zulässig angesehen. Die EU-Auftragswerte waren nicht erreicht. Es handelte sich um eine Vergabe im Unterschwellenbereich. Die Ansprüche (Verfügungsanspruch) folge aus den §§ 241 II, 311 II BGB ohne den „Umweg“ über § 280 BGB. Ein Grundsatz „dulde und liquidiere“ besteht im deutschen Recht bei rechtswidrigen Handlungen nicht…

Vielmehr geht das deutsche Recht grundsätzlich davon aus, dass dem Gläubiger gegenüber (drohendem) rechtswidrigem Handeln des Schuldners ein Unterlassungsanspruch zusteht, und zwar unabhängig davon, aus welchem Rechtsgrund das Handeln des Schuldners rechtswidrig ist…“ Die Zulassung des Primärrechtsschutzes sei auch aus europarechtlichen Gründen geboten (Wettbewerb, Gleichbehandlung und Transparenz – Art. 43, 49 EG-Vertrag - ohne Differenzierung nach eindeutigem grenzüberschreitenden Interesse). Aus diesem Grunde sei auch eine einstweiligen Anordnung bis zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung zulässig (obwohl im Verfahren nach §§ 935 ff ZPO nicht vorgesehen). Prozessuale Probleme seien mit einer „sachgerechten Handhabung der sekundären Darlegungslast und Anforderungen an die Glaubhaftmachungslast“ zu bewältigen.

Wenn auch letztlich die Unbegründetheit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung scheiterte, so ist doch auch hier die Tendenz zu beachten, den Bieter nicht schutzlos vor die Zuschlagsentscheidung zu stellen und auf § 27 VOL/A a. F. bzw. § 19 VOL/a n. F. zu verweisen. Das zeigt, dass die Umrisse des einstweiligen Rechtsschutzes unterhalb der Schwellenwerte sich immer deutlicher konkretisieren. Vor allem die europarechtliche Sicht rückt stärker in das Blickfeld (vgl. EuGH, Urt. v. 23. 12.2009 - C-376/08 – VergabeR 2010, 469, m. Anm. v. Pinkenburg/Volz).

Wenn ein Rechtsschutz im Unterschwellenbereich freilich greifen soll, müsste aus Gründen der Transparenz im Übrigen auch eine Information, wenn auch in weniger strenger Form des § 101a GWB, vorgesehen sein – einschließlich Akteneinsicht. Andernfalls können an die Glaubhaftmachung keine großen Anforderungen gestellt werden.

Aus der Entscheidung des OLG Düsseldorf, aaO, folgt im Übrigen („zwischen den Zeilen“) ein starkes Unbehagen hinsichtlich der Rechtsschutzlücke vor allem bei Bauaufträgen derzeit bis zu einem Schwellenwert von 4.845.000 € netto. Hier ist es mit einem „dulde und liquidiere“ nicht nur für den Mittelständler (Schadensersatzanspruch: „entgangener Gewinn“) nicht getan; das Ziel der Bauunternehmer ist der Auftrag für die Beschäftigung der Mitarbeiter – und nicht ein Schadensersatzanspruch.

Auch das LG Potsdam liegt in seinem Beschluss vom 20.11.2009 (Aktenzeichen: 40 371/09) mit dem Erlass einer einstweiligen Verfügung auf dieser Linie. Es ging um die Beauftragung für Flächennutzungsplan zu Preisen unterhalb der zwingend festgelegten HOAI-Sätze. Das LG Potsdam bejahte auch hier den Verfügungsanspruch (§§ 241 II, 311 II, 280 BGB in Verbindung mit den entsprechenden Verdingungsordnungen oder Art. 3 GG i. V. „den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden wesentlichen Vergabegrundsätzen…. Transparenzgebot …“) und den Verfügungsgrund (Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung. Die Entscheidung erging wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung.

Am Rande wird noch darauf hingewiesen, dass der Deutsche Anwaltverein (www.anwaltverein.de) einen konkreten Vorschlag für einen Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte ab einem Netto-Auftragswert von 10.000 € vorgeschlagen hat. Das ist wohl recht übertrieben. Hier sollte in VOL/A-Vergaben schon ein höherer Schwellenwert (75.000 €) und VOB/A (100.000 €) vorgesehen werden.

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