Gleich mehrere Oberlandesgerichte haben entschieden: Einseitige Rahmenvereinbarungen ohne Abnahmepflichten des Auftraggebers sind nicht nur bedenklich Sie sind auch vergaberechtlich unzulässig und rügeanfällig.

Die früher in § 8 I c) VOL/A 2006 enthaltene Schranke des „ungewöhnlichen Wagnisses“ ist in der VOL/A sowie in der EG VOL/A 2009 nicht mehr enthalten. Und schon nehmen einige Vergabestellen heute an, dass Rahmenvereinbarungen mit einer einseitigen Lieferpflicht des Auftragnehmers ohne Abnahmepflicht des Auftraggebers unbedenklich sind ‑ vor allem auch deshalb, weil man hinsichtlich der Abrufmengen unsicher ist und keine weiteren Nachforschungen anstellen will.

So darf es aber nicht gehen. Hier liegen Vergabeverstöße in mehrfacher Hinsicht vor. Das haben mehrere Oberlandesgerichte entschieden. Vorsicht ist geboten!

Die insofern schon früher streitige Frage, ob eine Rahmenvereinbarung mit lediglich einseitig verbindlicher Ausgestaltung zulässig ist, hat durch die Formulierung in der VOL/A 2009 – Wegfall der Schranke „ungewöhnliches Wagnis“ – neue Nahrung erhalten. Aber bereits früher wurden Bedenken geäußert (vgl. Müller-Wrede, Malte, Hrsg., VOL/A, 3. Aufl., 2010, § 4 EG VOL/A Rn. 35 f; auch Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl., 2011, § 4 EG VOL/A Rn. 21 – jeweils m. w. Nachw.). Diese Rechtslage hat sich auf Grund der neueren Rechtsprechung etwas geklärt bzw. zu Lasten der Auftraggeber verschärft.

Insofern gelten folgende Grundsätze:

1. Für die Leistungsbeschreibung gelten die in § 7 VOL/A und 8 EG VOL/A enthaltenen Grundsätze mit der Einschränkung, dass gewisse Kalkulationsschwierigkeiten von den Bietern hinzunehmen sind.

2. Der Auftraggeber hat den Bedarf grundsätzlich vollständig zu ermitteln. Ist das nicht möglich, so ist eine nachvollziehbare Schätzung vorzunehmen.

3. Eine abschließende verbindliche Festlegung ist nicht erforderlich. Es gehört zum Wesen einer Rahmenvereinbarung, dass gewisse Unwägbarkeiten für den Auftragnehmer bestehen. Diese sind jedoch soweit wie möglich durch eine Konkretisierung z. B. auf Minimum und Maximum einzuschränken.

4. Rahmenvereinbarungen, die der einen Seite eine weitgehend konkretisierte z. B. mengenmäßige Lieferpflicht auferlegen, währenddessen für den Auftraggeber keinerlei Abrufverpflichtung vorgesehen ist, dürften in aller Regel ein „unzumutbares“ Risiko bzw. ein „ungewöhnliches Wagnis“ enthalten, das die Bieter rügen können.

5. Die Laufzeit darf grundsätzlich vier Jahre nicht überschreiten. Ausnahmen für Rahmenvereinbarungen müssen nachvollziehbar begründet werden.

Neuere Entscheidungen der Oberlandesgerichte zur „Wiedergeburt“ des „ungewöhnlichen Wagnisses“ bzw. zur Weitergeltung des Grundsatzes der „Unzumutbarkeit“ liegen vor:

OLG Dresden, Beschl. vom 2.8.2011 – Verg 4/11 – VergabeR 2012, 119, m. Anm. vom Noch, Rainer – Streusalz – Rahmenvertrag – Bedarfspositionen – ungewöhnliches Wagnis – §§ 97 II, 108 II GWB, § 8 Nr. 1 III VOL/A 2006 – § 7 VOL/A

OLG Düsseldorf, Beschl. vom 19.10.2011 – VII Verg 54/11 – NZBau 2012, 762 – Bildungsmaßnahmen – ungewöhnliches Wagnis nicht mehr Bestandteil der VOL/A – aber Prüfung der Unzumutbarkeit im Einzelfall (Kalkulationsrisiken – Pflicht zur Vorhaltung für 100 % der Plätze, Abnahme aber nur von 60 % der Plätze durch Auftraggeber) – keine Unzumutbarkeit

OLG Jena, Beschl. vom 22.8.2011 – 9 Verg 2/11 – NZBau 2011, 771 – Mindestabnahmegarantie bei Rahmenvereinbarungen – Auftausalz – ca. 30 100 t Auftausalz – Vertragsklausel: „Eine Mindestabnahmemenge der laut Ausschreibung veranschlagten Mengen kann vom Auftragnehmer nicht gefordert werden.“ – Antragsbefugnis – Begründetheit: Aufbürdung der Risiken auf Auftragnehmer in nicht mehr hinzunehmendem Umfang – § 4 I EG VOL/A – Ermessensentscheidung – ungewöhnliches Wagnis nach § 8 Nr. 1 III VOL/A a. F. – nach wie vor zu beachten – Willkürverbot etc.

Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. vom 2.12.2011 – 1 VK 6/11 – Betrieb einer Unterkunft (VOL/A) für wohnungslose Personen – Leistungen gemäß Anhang I Teil B EG VOL/A, nicht Anhang I Teil A EG VOL/A – für Anhang I B-Leistungen gilt die Belehrungspflicht nach § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB nicht (janusköpfige Auslegung der Vorschrift) – Aufhebung des Vergabeverfahrens – Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs – Bindung des Bieters an Vorgabe für Kalkulationsgrundlagen (Betriebs- und Nebenkosten) – zukünftige Schwankungen der Belegungszahl zulässig – kein Anspruch auf Vorgabe fester Werte – Weitergeltung des Verbots der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse auch nach Neufassung der VOL/A

Brauer, Eva, Die Behandlung ungewöhnlicher Wagnisse nach der Neufassung der VOL/A, VergabeR 2012, 343

Gehlen, Hans von/Hirsch, Veit, Verbindliche Abnahmemengen auch bei Rahmenvereinbarungen?, NZBau 2012, 736 (zu OLG Dresden, Beschl. vom 2.8.2011 – Verg 4/11 – NZBau 2011, 775 – Streusalz)

Laumann, Daniel Thomas/Scharf, Jan Peter, Liefer- und Abnahmepflichten bei Lieferverträgen und Rahmenvereinbarungen, VergabeR 2012, 156 – zu OLG Dresden, Beschl. vom 2.8.2011 – Verg 4/11

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