Nach einem Beschluss des OLG München:

Aufhebungen kommen in der Praxis leider recht häufig vor, obwohl sie oft „letztes Mittel“ sind. Jetzt hat das OLG München in seinem Beschluss vom 28. August 2012 (Aktenzeichen: Verg 11/12) in Übereinstimmung mit anderen Entscheidungen festgestellt: Der Zuschlag muss zwar nicht erteilt werden (kein Zuschlagszwang!), die Aufhebung kann jedoch rechtswidrig sein und zu Schadensersatzansprüchen des Bieters führen.


Rechtswidrig ist eine Aufhebung dann, wenn die Aufhebungsgründe vom Auftraggeber verschuldet sind. Nun sind in § 17 I VOL/A (ähnlich § 17 I VOB/A) vier Aufhebungsgründe genannt (kein wertbares Angebot, wesentliche Änderung der Grundlagen der Vergabe, kein wirtschaftliches Ergebnis bzw. andere schwerwiegende Gründe).

An dem zuerst angeführten Grund scheiterte die Aufhebung im entschiedenen Fall, weil das Angebot entgegen dem Auftraggeber in der Wertung zu berücksichtigen war, stellte die Vergabekammer fest (keine Ausschlussgründe etc.). Daneben hatte der Auftraggeber das Verfahren auch deshalb aufgehoben, weil nach seiner Ansicht der Auftrag während der für seine Ausführung vorgesehenen „Theaterpause“ nicht mehr ausgeführt werden konnte. „Schuld“ daran war aber der durch das Verfahren vor der Vergabekammer entstandene Zeitverlust.

Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Dieser Fehler stellt sich auch nicht, wovon wohl die Vergabekammer im Beschluss vom 16. Mai 2012 ausgeht, als mehr oder weniger zwangsläufige und unvermeidbare Konsequenz der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahrens dar. Vielmehr fällt der Vergabestelle insoweit jedenfalls leichte Fahrlässigkeit zur Last.“ Es geht also um vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten. Eine Aufhebung ist rechtswidrig, wenn sie ihre Ursache in der Pflichtverletzung des Auftraggebers hat – z. B. etwa fehlerhaften Vergabeunterlagen (Leistungsbeschreibung etc.) und der entsprechenden „unsauberen“ Vorbereitung (wesentlich falsche Schätzung des Auftragswerts, fehlende Haushaltsmittel usw.). Der Zuschlag muss niemals erteilt werden (OLG München: „Vertragsfreiheit“), aber die Folgen sind teils schwerwiegend (Aufhebung der Aufhebung durch Vergabekammer etc., Schadensersatz bei rechtswidriger Aufhebung).

Auch hier zeigt sich nur, dass sich die Fehler bei der Erarbeitung der Vergabeunterlagen und im Vergabeverfahren „rächen“. Auch die Kosten eines Überprüfungsverfahrens sind schon kein „Pappenstiel“ (schnell einige tausend €). Grundsätzlich sind Aufhebungen rechtswidrig, wenn sie bei entsprechender Sorgfalt nicht erforderlich geworden wäre.

Aufhebungen müssen nach § 17 I VOL/A begründet werden! Verschuldet der Auftraggeber selbst den Grund der Aufhebung, ist die Aufhebung rechtswidrig und hat im Einzelfall auch Schadensersatzansprüche des benachteiligten Bieters zur Folge.

OLG München, Beschl. v. 28.08.2012 - Verg 11 / 12 – Residenztheater M. ‑ rechtswidrige Aufhebung (selbstverschuldeter unzutreffender Aufhebungsgrund) – Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A – amtlicher Leitsatz: „Im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung der Aufhebung kann sich der Auftraggeber nicht auf einen Aufhebungsgrund berufen, den er selbst schuldhaft herbeigeführt hat.“ ‑ Anpassungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Residenztheater M. ‑ Vergabe der bühnentechnischen Anlagen – EU-weite Ausschreibung im offenen Verfahren – 1. Aufhebung nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A wegen nicht wertbarer Angebote – weitere Aufhebung mit Blick auf den Spiel- und Probenplan des Theaters – begründeter Antrag auf Aufhebung durch Bieter auch im Beschwerdeverfahren.

Aus der Entscheidung: „Wegen der Vertragsfreiheit des Auftraggebers ist auch die rechtswidrige Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabestelle wirksam. Es besteht keine Zuschlagspflicht des Auftraggebers. Daraus haben die Beschwerdeführer bereits im Zuge des Verfahrens vor der Vergabekammer (und auch im Beschwerdeverfahren) die Konsequenz gezogen, dass sie nur noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung, jedoch nicht mehr die Fortführung des Vergabeverfahrens begehren.

Die Beschwerden sind begründet. ... Der vom Antragsgegner (Theater) vorgebrachte Grund, dass das Vorhaben nur in der wegen des Intendantenwechsels einmalig auf drei Monate verlängerten Spielpause im Sommer 2011 durchgeführt werden konnte, überzeugt für sich genommen zunächst. Bedenken ergeben sich aber aus den vom Senat im vorhergegangenen Verfahren Verg 14/11 gewonnenen Erkenntnissen.

2. Nach der Rechtsprechung kann sich der Aufraggeber, ungeachtet der Wirksamkeit der Aufhebung ... im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung (hier § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/) jedenfalls dann nicht auf einen Aufhebungsgrund berufen, wenn er diesen selbst schuldhaft herbeigeführt hat (OLG Düsseldorf, Beschlüsse v. 16.02.2005, VII-Verg 72/04 u. 16.11.2010, Verg 50/10).

Die Durchführung des Auftrags in der Sommerspielpause 2011 ist daran gescheitert, dass die Vergabestelle jedenfalls die bestplatzierte Antragstellerin am 13. April 2011 zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen hatte. Über die Berechtigung des Ausschlusses des Beigeladenen hat die Vergabekammer noch nicht entschieden, wie aus dem Senatsbeschluss vom 03. November 2011 ‑ Verg 14/11 ersichtlich. Dieser Fehler stellt sich auch nicht, wovon wohl die Vergabekammer im Beschluss vom 16. Mai 2012 ausgeht, als mehr oder weniger zwangsläufige und unvermeidbare Konsequenz der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahrens dar. Vielmehr fällt der Vergabestelle insoweit jedenfalls leichte Fahrlässigkeit zur Last.

Im Übrigen sind auch keine zureichenden sachlichen Gründe dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Vergabestelle nach dem Funktionstest vom 12.Januar 2011 drei Monate bis zum Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vom 13.April 2011 verstreichen ließ.

3. Der Antragsgegner kann nicht mit dem Vorbringen durchdringen, dass auch für den Fall, dass der Antragstellerin im Frühjahr 2011 der Zuschlag hätte erteilt werden sollen, wegen der als sicher anzunehmenden „Konkurrentenklage“ des Beigeladenen und der dadurch bedingten Verzögerung des Zuschlages eine Durchführung des Vorhabens im Sommer 2011 nicht möglich gewesen wäre. Der Sache nach handelt es sich um die Rechtsfigur der hypothetischen Kausalität, d. h. um den Einwand des Schädigers, dass der von ihm verursachte Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten wäre.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden auch aufgrund der Reserveursache eingetreten wäre, liegt beim Schädiger (Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Rdnr. 59 vor § 249 BGB), also dem Antragsgegner. Der Antragsgegner hätte sich diesbezüglich nicht auf die bloße Behauptung der Reserveursache Vergabenachprüfungsverfahren seitens des Beigeladenen beschränken dürfen. Vielmehr hätte er substanziiert und schlüssig dartun müssen, mit welcher tragfähigen Begründung der Beigeladene ein Vergabenachprüfungsverfahren hätte betreiben können und dass und warum dies insbesondere auch den Senat dazu hätte veranlassen müssen, die aufschiebende Wirkung gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zu verlängern.

Soweit sich der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vom 09. August 2012 darauf berufen hat, dass erfahrungsgemäß bereits das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Südbayern so lange gedauert hätte, dass eine Durchführung des Auftrages im Sommer 2011 nicht mehr möglich gewesen wäre, ist ihm dieser Einwand schon aus Rechtsgründen verwehrt. Das Vergabenachprüfungsverfahren ist regelmäßig binnen fünf Wochen zu erledigen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB). Die Vergabekammer Südbayern ist eine bei der Regierung von Oberbayern angesiedelte Dienststelle des Freistaats Bayern, also des Antragsgegners. Deshalb läuft der Einwand des Antragsgegners auf den untauglichen Versuch hinaus, sich mit mutmaßlichem eigenem Fehlverhalten exkulpieren zu wollen. Da der Einwand der hypothetischen Kausalität, wie dargelegt, hier nicht greift, kann offen bleiben, ob dieser Gesichtspunkt überhaupt Prüfungsgegenstand des Beschwerdeverfahrens nach §§ 116 ff GWB sein kann oder ob dieser dem Schadensersatzprozess vor den Zivilgerichten zugewiesen ist...“

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