Akteneinsichtsrecht - § 165 Abs. 1 GWB

Grundsätze

  • Die Beteiligten des Vergabeverfahrens können nach § 165 Abs.1 GWB die Akten bei der Vergabekammer einsehen und sich durch die Geschäftsstelle der Vergabekammer auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften erteilen lassen. Begrenzt wird das Akteneinsichtsrecht, soweit "wichtige Gründe" entgegenstehen ( §§ 111 II GWB). Hierunter fallen insbesondere
  • der Geheimnisschutz
  • sowie die Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen.
  • Die Überprüfung der Frage erfolgt durch die Vergabekammer. Diese wird gewährt, soweit keine Gründe (dann Versagung derAkteneinsicht) entgegenstehen.Das überprüft die Vergabekammer von Amts wegen.
  • Die  Vergabekammer ist  entlastet, soweit die Beteiligten bei Übersendung  "seiner Akten und Stellungnahmen"  nicht auf  "Geheimnisse" hinweisen und diese in den Unterlagen kenntlich machen.
  • Dies entbindet  die Vergabekammer nicht, diese "wichtigen Gründe" zu überprüfen und danach die Entscheidung unabhängig und selbständig zu treffen.
  • Fehlen Hinweis und Kenntlichmachung durch die Beteiligten, so darf die Vergabekammer die Akte zur Einsicht den antragstellenden Beteiligten freigeben. In diesen Fällen wird von der Zustimmung zu einer entsprechenden Akteneinsicht ausgegangen.
  • Beteiligte, die  nicht Antragsteller bzw. Antragsgegner im Vergabenachprüfungsverfahren sind und deren "Akten" - z.B. Angebote - zur Einsicht anstehen, müssen insofern vorher zur Zustimmung aufgefordert werden, da ihre Angeboteetc.  Bestandteil der Vergabeakte sind, die möglicherweise ohne ihre Kenntnis in das Nachprüfungsverfahren eingeführt wird.
  • Soweit der Beteiligte einen Versagungsgrund für die Einsicht darlegt, ist dieser von der Vergabekammer zu überprüfen. Insbesondere ist festzustellen, ob in der Tat "Geheimnisse" betroffen sind, so daß nicht auf diesem Umweg das Nachprüfungsverfahren intransparent wird. Das grundsätzlich bestehende Transparenzgebot des § 97 I GWB und der Schutz der "Geheimnisse" kollidieren insofern. Solange nicht die Voraussetzungen des "Geheimnisschutzes" eindeutig belegt sind, muß dem Transparenzgebot Vorrang eingeräumt werden.

Neuere Entcheidungen und Literatur 

  • Akteneinsicht - Opheys, Sascha/ Tmimi, Selina, Das Recht auf Akteneinsicht im Vergabeverfahren ,VergabeR 2021, 426

  • OLG Celle, Beschl. v. 05.10.2020 - 13 Verg 5 – 20 – Stadtreinigung – Akteneinsicht - Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen VK-Entscheidung (Gewährung der Akteneinsicht) – Entscheidung der Vergabekammer zur Akteneinsicht ist rechtsmittelfähig (BGH, Beschl. v. 31. 01. 2017 – X ZB 10/16) – Darlegung der nicht wiedergutzumachenden Beeinträchtigung durch Akteneinsicht seine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und Gründe für besonderen Schutz der konkreten Daten – Beteiligte am „OLG-Verfahren“: Bieter und Einsicht begehrendes Unternehmen, Auftraggeber nur bei Berührung eigener Geheimschutzbereiche (BGH, a. a. O.) – sofortigen Beschwerde keine „Vorabentscheidung“ über Zulässigkeit etc. des Nachprüfungsantrags, sondern Gerichtskontrolle der Entscheidung über die Akteneinsicht zur Vorbeugung von schwerwiegenden Schäden durch Offenlegung der Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse im Wettbewerb (unabhängig vom Ausgang der Hauptsache – hier: keine eigenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Vergabestelle, auch keine Darlegung der konkreten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Bieter der Mindestbietenden und dritter Unternehmen in den geschwärzten Dateien - ferner auch Vorbehalt der Vergabekammer für weitere Prüfung (weitere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse?) - Notwendigkeit der Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten wegen Anwaltszwangs vor dem OLG
  • OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.07.2020 - Verg 17 – 16 – ÖPNV - Direktvergabe – Insolvenz des Bieters - Vorinformation (Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007) – Nachprüfungsverfahren und Insolvenz (Rechte in Insolvenzmasse) – nicht mehr vorhandene Antragsbefugnis (Fortbestand des Interesses während des Nachprüfungsverfahrens – keine Darlegung (trotz richterlicher Aufforderung) der Bereitschaft der weiteren Ausführung des operativen Geschäfts trotz Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und der Bereitschaft zur Teilnahme am Wettbewerb) – Ablehnung der Akteneinsicht („nur in dem Umfang, wie es zur Durchsetzung der subjektiven Rechte des betreffenden Verfahrensbeteiligten erforderlich ist“ und Schriftsatznachlass infolge unzulässig gewordenen Nachprüfungsantrags
  • OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2020 - Verg 10 – 18 – ÖPNV – Direktvergabe – Voraussetzung für AkteneinsichtOLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2020 - Verg 10 – 18 – ÖPNV – Direktvergabe – Voraussetzung für Akteneinsicht
  • OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2020 - 27 U 3 – 20 – unvollständige Akteneinsicht - Einstweilige Verfügung - Wegenutzungsvertrag (Strom) – Untersagung des Abschlusses eines „Stromkonzessionsvertrags“ wegen unvollständiger Aktieneinsicht für den dies beantragenden Bieters – Voraussetzungen (nur Antrag) und Schranken des Einsichtsrechts: 1. Relevanz für die Auswahlentscheidung 2. Verhältnismäßigkeit und geringstmöglicher Eingriffs 3. Akteneinsichtsrecht in die zum Angebot gehörenden Angebotsunterlagen erst in einem zweiten Schritt und Nichtausreichen der Einsicht in den Auswertungsvermerk (nicht immer erforderlich) insbesondere für Rügen 4. Versagung der Akteneinsicht zu Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen
  • OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.03.2020, 2 U 1 - 18 ( Kart ) – Gaskonzession – Akteneinsicht – Auskunft - Geltendmachung der Nichtigkeit nach § 135 GWB (sechs Monate) - § 46 EnWG – keine Akteneinsicht nach § 810 BGBkeine Einsicht in Auswertung und in Angebot des Konkurrenten aus Transparenzgebot – keine Auskunft über Inhalt des Auswertungsgutachtens und des Angebots des Konkurrenten – Feststellungsantrag hinsichtlich der Nichtigkeit des Konzessionsvertrags nach § 134 BGB als Verstoß gegen Treu und Glaubenerheblicher Verstoß gegen eigene Pflichten: Klage gegen Vertragsschluss erst nahezu 1 ½ Jahre nach Vertragsschluss
  • OLG Köln, Beschl. v. 29.01.2020 - 11 U 14 – 19 – Teilneubau Krankenhaus – Akteneinsicht im Verfahren unterhalb des Schwellenwertes (abgelehnt) – Bauvergabe - Rechtschutzbedürfnis – Verwirkung – Treu und Glauben – Geheimnisschutz - §§ 165 GWB (im Unterschwellenbereich gerade nicht vorgesehen), §§ 14, 14a und 19 VOB/A (Grenzen, Geheimnisschutz, Unterschiede zwischen Information, Einsicht, Übermittlung etc.)  - § 242 BGB – § 810 BGB - Geheimnisschutz amtlicher Leitsatz: „1. Der Anspruch auf Akteneinsicht ist für Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich gesetzlich nicht geregelt. § 165 GWB [erg. Akteneinsicht] gilt nicht im Unterschwellenbereich. 2. Soweit sich ein Anspruch auf Akteneinsicht in Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich aus § 242 BGB ergeben kann, sind für den Umfang der Akteneinsicht bei Vergabeverfahren nach der VOB Teil A die Wertungen der §§ 14, 14a und 19 VOB/A zu berücksichtigen.“ – Voraussetzung der Verwirkung des Auskunftsrechts (kein Eingreifen der 6-Monats-Regel etc.)
  • OLG München, Beschl. v. 19.03.2019 - Verg 03 – 19 - „Infusionstechnik" Ordensgemeinschaft (kein öffentlicher Auftraggeber): unrichtiger Hinweis auf Nachprüfung (spätere Klarstellung des Fehlers vor Vergabekammer) - kein Vertrauensschutz für Antragsteller auf unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung – kein Tief- und Hochbau nach § 99 Nr. 4 GWB, sondern Lieferauftrag – keine Akteneinsicht, da keine entscheidungsrelevante Teile der Akten – keine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung (§ 173 II S. 1 GWB) – bei summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten: Rechtsweg nicht eröffnet: kein öffentlicher Auftraggeber bzw. kein Eingreifen des § 99 Nr. 2 oder Nr. 4 GWB: „Liegen die Voraussetzungen objektiv nicht vor, führen weder die Verkennung dieser Eigenschaft durch die ausschreibende Stelle noch „Dokumentationsversäumnisse“ noch eine falsche Belehrung zur Eröffnung des von Amts wegen zu prüfenden Rechtswegs.“
  • VK Berlin, Beschl. v. 06.01.2021- VK - B 2 - 53 – 20 – Akteneinsicht – rechtliches Gehör (umfassende grundsätzliche Entscheidung) – Offenlegung und Geheimhaltungsinteresse – Abwägung (Beurteilungsspielraum) – „in camera-Verfahren“ – „multipolarer Konflikt“ - § 165 II GWB – Anordnung der eingeschränkten Akteneinsicht auf bestimmte Teile – grundsätzliche und ausführliche Auseinandersetzung zur Akteneinsicht

Literatur –Auswahl

  • Kermel, Cornelia, Die Akteneinsichtspflicht der Kommunen nach § 47 Abs. 3 EnWG  und die Folgen der Nichteinhaltung im Zivilprozess, VW 2020, 11
  • Rosenkötter, Annette, Wissen ist Macht – Akteneinsicht bei der Überprüfung von Vergabeentscheidungen, NZBau 2/2021, 96

Ältere Entcheidungen, Entwicklung und Literatur 

  • Restriktive Anwendung des Akteneinsichtsrechts -  Vergabekammer des Bundes, Beschluß v. 29.4.1999 - Vk 1 - 99 - Euromünzplättchen II - BB 1999, 1076 = WUW 1999, 660; weiter OLG Jena OLG Jena v. 13.10.1999 - 6 Verg 1/99 - Fischer/Noch EzEG 2.16.1. = BauR 2000, 95 - Gymnasium-Umbau; hierzu auch Bartl, Harald, Handbuch, 2. Aufl., 2000, Rdnr. 178; ferner Spießhofer/Lang, ZIP 2000, 446; ausführlich zum Akteneinsichtsrecht auzh Griem WUW 1999, 1182; vgl. ferner zum Informationsrecht EuGH v. 28.10.1999 - Rs. C 81/98 - Alcatel - NJW 2000, 569 = NZBau 2000, 33 - vor Zuschlag/Vertragsschluß: Nachprüfungsmöglichkeit für Bieter - andernfalls keine rechtskonforme Umsetzung der EG-Richtlinie (hierzu Kus NJW 200=, 544; Rust NZBau 2000, 66; Hausmann EuZW 1999, 672.
  • Zum Akteneinsichtsrecht im Zusammenhang mit dem Umweltinformationsgesetz EuGH NVwZ 1998, 945; 1999, 1209. Hierzu im übrigen auch Erdl, BauR 1999, 1341; ferner Boesen, Arnold, Vergaberecht, Komm. Zu §§ 97 ff., 2000, § 111, Rdnr. 7 ff - freilich wenig weiterführend; auch Korbion, Vergaberechtsänderungsgesetz, 1999, § 111 Rdnr. 3.
  • Die Entscheidung über die Verweigerung oder Zulassung der Akteneinsicht ist nur im Zusammenhang mit der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache angreifbar (vgl. § 111 IV GWB).
  • Akteneinsicht - BayObLG, Beschl. v. 19.12.2001 - Verg 7/00 - NZBau 2002, 295 (Ls.)– keine Einleitung des Überprüfungsverfahrens nach Vertragsschluß – Akteneinsichtsrecht in der Zulässigkeitsprüfung nur soweit als für die Beurteilung der Zulässigkeit erforderlich
  • Akteneinsicht - OLG Jena, Beschl. 12.12.2001 – 6 Verg 5/01 - VergabeR 2002, 305 – Akteneinsichtsrecht und Voraussetzungen - Stattgabe des Antrags
  • Akteneinsicht - OLG Jena, Beschl. v. 12.12.2001 – 6 Verg 5/01 - NZBau 2002, 294 – Einräumung des
  • Akteneinsichtsrechts nur in dem Umfang, wie es zur Rechtsdurchsetzung erforderlich ist – Akteneinsichtsrecht im konkreten Fall bezieht sich nicht auf das Konkurrentenangebot, da es um die frage geht, ob im Offenen Verfahren hätte ausgeschrieben werden müssen bzw. ob der Antragsteller in einem Nichtoffenen Verfahren hätte berücksichtigt werden müssen
  • Akteneinsicht Thüringer OLG, Beschl. v. 7.11.2001 – 6 Verg 6/01 – Vergabenews 2002, 5 – Umfang des Aktieneinsichtsrechts – kein Aktieneinsichtsrecht hinsichtlich der Angebote, die nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt sind.

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